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Wie Mary Poppins ins Kino kam

Fünf Oscars und ein märchenhaftes Filmmusical: Auch heute noch begeistert "Mary Poppins" Groß und Klein. Doch bis die eigenwillige Gouvernante 1965 die Leinwand eroberte, war es es ein harter Kampf - vor allem zwischen ihrer Schöpferin, der Autorin P.L. Travers, und Cartoon-Tycoon Walt Disney.

Von Josef Schnelle | 06.03.2014
    Tom Hanks (r) und die britische Schauspielerin Emma Thompson posieren für die Fotografen auf der Weltpremiere von "Saving Mr. Banks" auf dem 57. Londoner Film Festival im Oktober 2013.
    Tom Hanks (r) und die britische Schauspielerin Emma Thompson posieren für die Fotografen auf der Weltpremiere von "Saving Mr. Banks" auf dem 57. Londoner Film Festival im Oktober 2013. (picture alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga)
    "Ah – da sind Sie. Endlich. Oh mein gutes Mädchen. Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich freue, Sie endlich kennenzulernen." – "Es ist mir eine Ehre, Mr. Disney." – "Oh Walt, bitte Walt. Mr. Disney war mein alter Herr, stimmt's Don?" – "Absolut Walt." – "Kommen Sie, kommen Sie. Darf ich vorstellen: die einzigartige Pamela Travers." – "Es ist mir eine große Freude."
    So überschwänglich hat er sie sicher 1961 tatsächlich empfangen - Cartoon-Tycoon Walt Disney die Schriftstellerin P.L. Travers, deren erfolgreiches Kinderbuch "Mary Poppins" er unbedingt verfilmen wollte. Am Ende standen 1965 fünf Oscars und ein märchenhafter Kassenerfolg mit einem neuartigen Filmmusical, das erstmals gemalte Szenen mit den Auftritten realer Schauspieler kombinierte.
    Doch das ist nicht die Geschichte, die dieser Film erzählt. Er erzählt vielmehr von den Schwierigkeiten, die ein von sich selbst überzeugter Filmproduzent mit einer ängstlichen Autorin hat, die ihre Schöpfung am liebsten nicht hergeben will für einen lärmenden, komischen Film. Dabei braucht sie dringend das Geld, was ihr ihr Agent immer wieder klar macht. Die Geschichte der fantasievollen Gouvernante in einem erzbritischen Haushalt war ursprünglich 1934 erschienen. Zu dem Zeitpunkt, an dem der hier rezensierte Film spielt, sind die Verkäufe der Bücher rückläufig. Da entschließt sich P.L. Travers endlich, die Filmrechte zu verkaufen.
    "Achtung es geht los: Kommt her, hier ist viel Platz für jedermann. Der Schutzmann jagt den Räubermann. Wie hört sich das an?" – "Nein, nein, nein, nein nein. Nein."
    Nicht nur Walt Disney wartet auf die Autorin, auch ein Drehbuchautor und ein Storyboardzeichner sowie das Brüderpaar Richard und Robert Sherman, das für Liedtexte und Musik verantwortlich zeichnen soll. Weil sie sich natürlich allerlei künstlerische Freiheiten gegenüber der Vorlage herausnehmen wollen, ist die Anwesenheit der resoluten Schriftstellerin für sie eine harte Nuss. Eigentlich sollte das Mitspracherecht der Autorin nur pro forma für zwei Wochen gelten, um eine gute Ausgangsstimmung herzustellen. Doch P.L. Travers will ihren Stoff nicht loslassen und droht immer wieder mit Total-Boykott. Schließlich hat sie die Rechtevereinbarung noch nicht endgültig unterzeichnet.
    "Sie wird keines ihrer albernen Cartoons." – "Sagt die Frau, die eine fliegende Nanny mit sprechendem Schirm Kinder retten ließ." – "Sie denken, die Absicht Mary Poppins wäre, die Kinder zu retten? Oh je."
    Tatsächlich hatte sich Walt Disney schon 20 Jahre – angeblich seinen Töchtern zuliebe – um die Rechte an dem Stoff bemüht. Doch so sehr sich das professionelle Personal auch anstrengt: Sie kriegen die alte Dame – hervorragend spleenig und spröde gespielt von Emma Thompson – nicht geknackt. Ihr gegenüber ist Walt Disney – Tom Hanks in einer Paraderolle – der laute und selbstgerechte Amerikaner, der gewohnt ist, alles zu bekommen, was er haben möchte. Er ist aber auch ein sensibler Seelenversteher, der es schafft, das Geheimnis von P.L.Travers zu entdecken. Nicht um die Kinder war es ihr gegangen, sondern um die Ehrenrettung von Mr. Banks, in dem sie ihren Vater Travers porträtiert hatte. Das war die Entdeckung eines Dokumentarfilms von 2002 gewesen, die die Autoren dieses Films nun Walt Disney andichten. Die Mary Poppins-Autorin stammte nämlich ursprünglich aus Australien und hatte als Kind ihren Vater elend an seinem Alkoholismus zugrunde gehen sehen. In der Figur des Mr. Banks idealisierte sie ihren lebensunfähigen Spaß-Papa. Im Film erfahren wir das alles durch eine Serie von - deutlich zu sentimentalen - Rückblicken in die Kindheit. Dass "Saving Mr. Banks" trotzdem ein äußerst sehenswerter Film geworden ist, verdankt sich neben den Hauptdarstellern vor allen den lebendigen und humorvollen Einblicken in die schöpferische Magie der Disney-Fabrik in ihrer Hochphase. Lieder, Bilder und Figuren entstehen allein schon aus kreativen Impulsen am Klavier und am Zeichenbrett. Es mag zwar nicht genauso gewesen sein. Aber liebenswert ist die Vorstellung doch, ein Hollywoodstudio könnte einst auch pure Poesie gewesen sein. Die ersten Sätze von Mary Poppins kann ja doch sicher jeder noch nachsprechen
    "Wind dreht nach Ost. Nebel kommt auf. Der Himmel sieht plötzlich so merkwürdig aus."