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Filmfest München
Die neue Eigenständigkeit der jungen Kreativen

"Neues deutsches Kino" - die wichtigste Sektion des Filmfests München hatte in den vergangenen Tagen 15 Weltpremieren zu bieten. Junge heimische Spiel- und Dokumentarfilm-Macher werden hier nicht nur gezeigt, sondern auch ausgezeichnet. Fest steht: Sie sind erfrischend anders.

Von Patrick Wellinski | 03.07.2015
    "Hast du das gehört, Babs? Adam legt auf meinem Geburtstag auf ... "
    Lange ist es her. Da hatte das deutsche Kino seine Monster: Den Kindermörder Hans Beckert, den wahnsinnigen Dr. Caligari oder den nicht weniger verrückten Dr. Mabuse - dann kam der Krieg. Die Monster wurden real. Und es dauerte lange, bis sich Regisseure wieder daran machten, dem deutschen Horrorfilm neue Bilder zu verleihen. Aber jetzt ist es da. Das erste relevante Kino-Monster des jungen deutschen Films: Der Nachtmahr.
    "Ihr denkt vielleicht, dass ich so ein bisschen strange bin oder so. Aber es war plötzlich da und jetzt ist es wieder weg."
    Regisseur AKIZ hat mit "Der Nachtmahr" sicherlich den aufregendsten deutschen Film des Münchner Filmfestes gedreht. Eine in trancehaftes Stroboskoplicht getränkte Techno-Monster-Parabel über eine Teenagerin, die sich ihre Magersucht als außerirdisches Wesen imaginiert. Dabei entlehnt AKIZ seinen düster-fatalistischen Ton den Mythen und Sagenwesen der deutschen Klassik und Romantik.
    Regisseur AKIZ heißt eigentlich Achim Bornhak. Zwei seiner Kurzfilme waren für den Oscar nominiert. 2006 drehte er mit dem Uschi-Obermaier-Film "Das wilde Leben" sein Debüt. Für ihn ein Desaster, denn die auf Kommerz ausgerichtete Produktion zu "Das wilde Leben" raubte ihm die künstlerische Freiheit. Jetzt nennt sich Bornhak also AKIZ. Und "Der Nachtmahr" ist somit auch ein Neuanfang im doppelten Sinn. Ein Film, der sich als Widerstand versteht. Sowohl ästhetisch als auch auf Produktionsebene.
    Abseits des Schweiger/Schweighöfer-Mainstreams
    Ähnlich kann man auch Franz Müllers hervorragende Buddy-Komödie "Happy Hour" verstehen, die drei Freunden nach Irland folgt, damit sich einer von Ihnen von der betrügenden Ehefrau erholen kann. Langsam brechen die Männer im Ausland aus ihren festgefahrenen Rollen. Gefühle werden frei:
    "Das war dann komischerweise auch nicht so schlimm. Die Zeit davor war blöd, als ich nichts wusste. Da hat sie so eine Wellnessreise gemacht, nach Usedom. Und ich habe das bezahlt ... "
    In der Sektion "Neues Deutsches Kino" beim Filmfest München beweist Sektionsleiter Christoph Gröner seit nun gut drei Jahren ein untrügliches Gespür für den Mittelbau des deutschen Kinos. Also jene Brücke, die den Schweiger/Schweighöfer-Mainstream mit dem Petzold/Hochhäusler-Arthouse verbinden soll. Ein Kino, das die Genreregeln umarmt, unterhalten kann, und dennoch ein tiefer Ausdruck seines Machers ist. Während so "Der Nachtmahr" Genregrenzen neu zieht, beweist sich Franz Müller in "Happy Hour" als sensibler Beobachter von differenzierten Männerbildern. Den weiblichen Gegenpol dazu verkörpert die Debütantin Uisenma Borchu mit ihrer merkwürdig-verstörenden Einsamkeitsstudie "Schau mich nicht so an".
    O-Ton "Schau mich nicht so an:
    "Das ist doch schön, wenn der Opa kommt."
    "Schön!"
    "Nein!"
    Eine alleinerziehende Mutter verliebt sich in ihre Nachbarin. Die beiden Frauen suchen nach neuen Formen der körperlichen und emotionalen Nähe; sie sondieren so ihre seelische Verfassung. Dann erscheint der Vater der Alleinerziehenden, gespielt von Josef Bierbichler. Wieder entstehen neue Konstellationen. Was aber bleibt, ist tiefe Trauer, verschlossen in fragilen Frauenköpern und dieser irritierende Ton der Fremde, der den mutigen Debütfilm durchzieht und ihm seine Kraft verleiht.
    "Morgen früh wird Polen angreifen, da müssen wir zurückschlagen!"
    Während die unbekannten Regisseure überzeugen konnten, schwächelten die bekannten. Dietrich Brüggemann präsentierte mit "Heil" eine unausgegorene Neonazi-Satire. Und sein Kollege Axel Ranisch mit "Alki Alki" eine Alkoholiker-Farce, die zügellos sein möchte, aber der mehr Ordnung gut getan hätte:
    O-Ton "alki alki"
    "Es geht einfach darum: Man muss nicht morgens um 10 schon saufen."
    "Nein, das muss man wirklich nicht"
    Dennoch: Man braucht sich um das junge deutsche Kino keine übertriebenen Sorgen zu machen. Denn die diesjährigen Filme demonstrierten eindringlich, dass hierzulande - trotz Filmförder-Handschellen - eine Generation von Nachwuchsfilmemachern es geschafft hat, bereits mit ihren ersten Werken eigenständige Stimmen und originelle Bilder zu entwickeln.
    Das lässt hoffen: Auf noch mehr Monster, einsame Männer und Frauen und ja – hin und wieder auch auf einige Alkoholiker.
    O-Ton "alki alki:
    "Dann kann ich einfach eine Zeit lang einfach mal nicht mehr trinken"