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Filmfestival der Menschenrechte
Von tristen Unterkünften und endlosen Wartezeiten

Die Politik Deutschlands trage eine Mitschuld, dass zahlreiche Menschen auf der Flucht sind, sagt Andrea Kuhn, Leiterin des Menschenrechts-Filmfestivals in Nürnberg, das am 30. September beginnt. Auch deswegen sollen nicht etwa Helferglückseligkeit und Willkommensgesten gefeiert werden, sondern Filme jenseits öffentlicher Betroffenheitsduselei.

Von Thomas Senne | 29.09.2015
    Flüchtlinge auf ihren Betten in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
    Filmfestival-Leiterin Andrea Kuhn: "Unsere Wirtschafts-, unsere Außen- und Rüstungspolitik führt leider dazu, dass Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen." (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Die Suche nach dem Paradies endet in der Hölle. Verzweifelte Menschen drängen sich in baufälligen Booten. Hoher Seegang spült viele der Refugees über Bord. Und die, die es auf der Flucht nach Europa geschafft haben, erwartet ein wahrer Horrortrip: eine makabre Mischung aus tristen Unterkünften, endlosen Wartezeiten und Hoffnungslosigkeit.
    Der im letzten Jahr entstandene Film "Those who feel the fire burning" des niederländischen Regisseurs Morgan Knibbe ist ein Plädoyer gegen die "Festung Europa", eine Dokufiction, bei der die Kamera, quasi als Geist eines ertrunkenen Flüchtlings, surreal durch europäische Städte schwebt - eines der Werke, die in diesem Jahr beim 9. Internationalen Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte im Mittelpunkt stehen.
    "Aktuell, wenn man die Bilder sieht, sind wir ja wieder in so einem symbolischen Diskurs – der traurige Flüchtling, der erschöpfte Flüchtling, der dankbare Flüchtling. Wir wollen das zurückbringen auf Fluchtursachen. Denn wir haben konkret etwas damit zu tun, dass die Menschen zu uns kommen. Die kommen nämlich nicht, weil' s bei uns so schön ist, weil sie das friedliche Deutschland entdeckt haben, sondern weil wir zum Teil aktiv daran beteiligt sind, dass sie aus ihren Ländern abwandern müssen. Unsere Wirtschafts-, unsere Außen- und Rüstungspolitik führt leider dazu, dass Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen."
    Den Hintergründen menschlicher Katastrophen nachspüren
    Die Leiterin des Menschenrechtsfilmfestivals, Andrea Kuhn, hat nicht die Helferglückseligkeit einer in Willkommensgesten ertrinkenden Gesellschaft ins Zentrum ihres Programms gestellt, das sich in diesem Jahr besonders dem Thema "Flucht und Migration" widmet, sondern Filme jenseits öffentlicher Betroffenheitsdusselei. Filme, die spannend, innovativ, ästhetisch überzeugend und aufrüttelnd sind, die vor allem aber den Hintergründen menschlicher Katastrophen nachspüren.
    Außer mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt sich das Nürnberger Festival in diesem Jahr beispielsweise auch mit Konflikten in der Ukraine auf dem Maidan-Platz oder mit der umstrittenen Fracking-Ölförderung in den USA, wo statt Wohlstand und Arbeit oft Obdachlosigkeit und Resignation herrschen. Rassismus gegen Sinti und Roma in Ungarn kommt in dem Streifen "Judgement in Hungary" zur Sprache.
    "White out, black in" hingegen ist ein bizarrer Cocktail aus Musikfilm, Science-Fiction und Dokumentation, geprägt von Endzeitvisionen, Polizeigewalt und Rassismus in Brasilien.
    Als Ehrengast stellt der US-Amerikaner Joshua Oppenheimer zum Auftakt des Menschenrechtsfilmfestivals seinen neuen politischen Film "Looking Silence" über den Völkermord in Indonesien vor. In "The Act of Killing", für den er 2013 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, ließ der Regisseur noch die Täter über die Vorgänge von 1965 in dem asiatischen Land zu Wort kommen. So konfrontierte er die Zuschauer mit der Alltäglichkeit des Bösen. Jetzt gibt Oppenheimer, der seine Filme als Waffen versteht, mit denen er global gegen Menschenrechtsverletzungen zu Felde zieht, den Opfern eine Stimme.
    Bei uns gibt' s keinen roten Teppich
    Auch der Schriftsteller Ilija Trojanow wird in Nürnberg mit dem Publikum über die Hintergründe von Flucht und Migration diskutieren - nach der Präsentation von "Land Rush", einer Produktion, die sich mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen in Mali durch ein multinationales Agrarkonsortium beschäftigt. Podiumsdiskussionen, so Festivalleiterin Andrea Kuhn, seien bei dem Cineasten-Stelldichein in Nürnberg das "Salz in der Suppe".
    "Kern unseres Festivals ist neben der Präsentation von Filmkunst natürlich der Austausch – zwischen Filmschaffenden aus aller Welt untereinander, vor allem aber mit unserem Publikum. Bei uns gibt' s keinen roten Teppich, bei uns gibt' s keine Absperrbänder. Und das ist eine extrem wichtige Grundlage. Sonst würden die Filme nicht funktionieren und sonst würde auch unser Selbstverständnis Schaden nehmen, wenn wir diesen Austausch nicht ermöglichen würden – ohne Grenzen und ohne Brücken, die zu überwinden sind."
    ... nicht zuletzt mit in Deutschland selten oder noch nie gezeigten Filmen, die nach den Kriterien Aktualität und Qualität ausgewählt wurden: ein Festival, das gerade in unseren turbulenten Zeiten wichtige kulturelle und sozialpolitische Akzente setzen kann.