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Filmfestival im tschechischen Karlovy Vary
Angst vor Gesellschaftskritik

In diesem 53. internationalen Filmfestival im ehemaligen Karlsbad gewann das politisch ambitionierte Werk des Rumänen Radu Jude den Kristallglobus für den besten Film. Seine Konkurrenten hielten sich mit kritischen oder politischen Beiträgen weitestgehend zurück.

Von Kirsten Liese | 08.07.2018
    Regisseur Radu Jude erhält den Crystal Globe in der Kategorie Bester Film beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Karlovy Vary für seinen Film "I Do Not Care If We Go Down in History as Barbarians".
    Regisseur Radu Jude erhält den Crystal Globe in der Kategorie Bester Film beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Karlovy Vary für seinen Film "I Do Not Care If We Go Down in History as Barbarians". (picture alliance/Katerina Sulova/CTK/dpa)
    Zwei Jungen suchen nach einem Abenteuer, eine junge Frau trauert um ihre Mutter, ein Radsportler gefährdet seine Gesundheit. Die Filmemacher des Ostens haben wenig zu erzählen. Entsprechend unspektakulär und leise kam der Wettbewerb in Karlovy Vary daher. Zwar berührte im Nebenwettbewerb "East of the West" ein einzelner Beitrag mit der Flüchtlingskrise ein aufgeheiztes Thema, dies aber seltsam peripher. Da folgt man einem Paar auf der Suche nach einem Angehörigen an die griechisch-mazedonische Grenze zu einem Aufnahmelager für Migranten. Und mit der Ankunft ist der Film auch schon zu Ende. Festivaldirektor Karel Och kann die Tendenz bestätigen, dass die jungen Filmschaffenden aus Osteuropa auffallend unpolitische Filme machen:
    "Bei uns gibt es offenbar Angst oder Abneigung, sich mit der gegenwärtigen Realität zu beschäftigen. Die Filmemacher wollen sich nicht damit auseinandersetzen, was in der Welt vor sich geht. Künstler diskutieren zwar solche Themen, aber in die Kunst fließen sie kaum ein. Vielleicht geht es uns einfach heute zu gut, wirtschaftlich betrachtet. Mitunter müssen Leute gewisse Krisen in einer Gesellschaft durchleben, um Dinge zu verstehen, alarmiert zu sein und sich darüber zu äußern."
    Nationalismus und Rassismus im heutigen Rumänien
    Zumindest das rumänische Kino bescherte dem durchwachsenen 53. Wettbewerbsjahrgang einen anspruchsvollen gesellschaftskritischen Beitrag: "Mir ist es egal, ob wir in die Geschichte als Barbaren eingehen" von Radu Jude gewann verdient den Kristallglobus für den besten Film. Dieses Werk in Weltpremiere zeigen zu können, ist für Karlovy Vary ein großer Glücksfall, konkurrieren doch zunehmend auch die größeren Festivals in Cannes, Venedig und Berlin um hochwertige Filmkunst aus Osteuropa. Jude behandelt das 1941 von rumänischen Besatzungstruppen begangene Massaker an 25.000 Juden in Odessa, und zugleich Nationalismus und Rassismus im heutigen Rumänien. Mit Liebe fürs Detail erzählt er von einer Aktivistin, die die historischen Ereignisse mit einer Theatergruppe nachspielt und damit beim Publikum antisemitische Reaktionen provoziert.
    Der Filmemacher selbst sah sich in seiner Heimat schon Anfeindungen ausgesetzt:
    "Ich bin zwar kein Jude, aber die nationalistische, rechtskonservative Presse in Rumänien nimmt meinen Namen gerne zum Anlass, gegen mich zu hetzen, zumal Jude kein gewöhnlicher rumänischer Name ist. Sie sagen, ich sei ein dreckiger Jude, der ihre ruhmreiche Geschichte beschmutzt."
    Aufarbeitung verdrängter Geschichte
    Radu Jude führt die menschenverachtenden Reaktionen darauf zurück, dass der Holocaust in Rumänien unter Staatsführer Ion Antonescu im Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang verdrängt und geleugnet wurde. Mit seinem Film will er dazu beitragen, dieses Kapitel aufzuarbeiten:
    "In Zeiten kommunistischer Diktatur wurde darüber geschwiegen. Später wollte es niemand mehr wahrhaben, dass unsere Autoritäten und Landsmänner Massenmorde begangen haben. Es hat auch etwas damit zu tun, dass unser Land klein und provinziell ist, dass die Rumänen stets das Bedürfnis habe, gut über sich zu reden, so dass die anderen uns nur von der besten Seite sehen."
    Künstlerischer Aufschwung in Tschechien
    Beachtung in Karlovy Vary verdiente zudem die starke Präsenz des tschechischen Kinos. Es war in den Vorjahren derart schwach vertreten, dass sich schon Unmut regte und bringt nun vor allem unterhaltsame, humorvolle Komödien hervor. Die schönste darunter, "Winter Flies" von Olmo Omerzu, honorierte die Jury mit dem Preis für die beste Regie. Zwei jugendliche Pfiffikusse meistern in diesem Roadmovie allerhand brenzlige Situationen und retten einen Hund.