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Filmfestival in Cannes
Maren Ade begeistert an der Riviera

Acht Jahre ist es her, dass eine deutsche Produktion im Wettbewerb in Cannes vertreten war. Jetzt zeigte die Regisseurin Maren Ade ihren Film "Toni Erdmann", ein berührendes und zugleich sehr komisches Werk über die Konflikte zwischen Eltern und ihren Kindern. Die Chancen auf die Goldene Palme stehen gut, waren sich Kritiker einig.

Von Maja Ellmenreich | 14.05.2016
    Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in einer Szene des Films "Toni Erdmann": Das Filmfestival Cannes schickt mit "Toni Erdmann" der Regisseurin Maren Ade seit Jahren wieder einen deutschen Beitrag ins Rennen um die "Goldene Palme".
    Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in dem Wettbewerbsbeitrag "Toni Erdmann" von Regisseurin Maren Ade (picture alliance / dpa / Komplizen Film/NFP)
    "I'm Toni. Toni Erdmann – I'm a Consultant and Coach. I'm Ambassador Erdmann. Willst Du mich fertigmachen, oder was?"
    Nein, seine Tochter fertigmachen, das will Toni Erdmann ganz sicher nicht. Dieser Mann mit dem schlechten Gebiss und der strähnigen Perücke, der sich mal als Berater und Coach, mal als Botschafter vorstellt. In Wirklichkeit ist er beides nicht. Er heißt auch nicht Toni Erdmann, sondern Winfried Conradi. Und der hat eine Tochter: Ines.
    Ines Conradi ist eine knallharte Unternehmensberaterin, die den ganzen Tag mit "business cases, outsourcing und steering committees" beschäftigt ist. Zur Zeit arbeitet sie in Bukarest. Dort arbeitet sie, aber dort lebt sie nicht wirklich, vermutet Winfried. Deshalb reist er aus dem heimatlichen Aachen in die rumänische Hauptstadt und besucht Ines – ohne Anmeldung, ganz spontan.
    "Na? Bist du denn auch ein bisschen glücklich hier? - Was meinst'n mit Glück? Glück ist ja ein ziemlich starkes Wort. – Ich meine, ob du mal ein bisschen zum Leben kommst auch. Halt auch mal was machen, was Spaß macht. – Schwirren jetzt ganz schön viele Begriffe hier rum: Spaß, Glück, Leben. Was findest denn du lebenswert? Wenn du schon die großen Themen hier hochbringst?"
    Ines lässt sich wohl oder übel auf den Rollenwechsel ein
    Wie man hören kann: Ines ist nicht begeistert von den Nachfragen ihres Vaters, auch nicht so recht von den Witzen, die er immer und mit jedem macht. Als es nicht so recht klappen will zwischen Vater und Tochter, reist Winfried Conradi wieder ab – aber kehrt kurz darauf zurück: im Geschäftsleben von Ines und als Toni Erdmann, Berater und Coach. Der komische Kauz, der jeden aufs Glatteis zu führen vermag - er heftet ihr sich an die Fersen. Widerstand ist zwecklos, und deshalb lässt sich Ines wohl oder übel auf den Rollenwechsel ein.
    Sandra Hüller spielt Ines Conradi als eine blasierte, tiefgekühlte Ehrgeizlerin, die sich Gefühle mit aller Kraft vom Leib zu halten weiß. Freundlich ist sie nur, wenn es sie weiterbringt. Dagegen Peter Simonischek als Toni alias Winfried – er trägt das Herz am rechten Fleck, pflegt mit Furzkissen, falschen Zähnen und Theaterschminke einen nahezu kindlichen Humor. Zu dieser liebenswerten Naivität passt auch sein Gerechtigkeitssinn; der wiederum passt aber so gar nicht zu Ines‘ Geschäftsgebaren. Den wichtigsten Verhandlungspartner von ihr nimmt - zu diesem Zeitpunkt noch: Winfried - trotzdem auf den Arm.
    "Sie ist ja kaum noch zu Hause, und deshalb habe ich mir jemanden als Ersatztochter engagiert. – Das ist ja eine moderne Lösung. – Genau. - Und ist die andere Tochter besser? – Also, die Kuchen sind besser. Und sie schneidet mir die Fußnägel."
    Das Publikum in Cannes gab mehrfach Szenenapplaus
    Doch Winfried möchte eigentlich eine Tochter, die ihm nah ist. Nicht geografisch, aber emotional. Und je wilder er es treibt mit der Verkörperung seines Alter ego, desto näher kommt er seinem Ziel. Aber das dauert: Über zweieinhalb Stunden lässt Regisseurin Maren Ade der fabelhaften Sandra Hüller Zeit für den "Aufweichungsprozess", für die "Wieder-Menschwerdung", wenn man so will.
    Doch diese zweieinhalb Stunden sind nicht zu lang, wenn man zudem Peter Simonischek dabei zusehen darf, wie er einen spielt, der einen spielt. Das Ringen von Tochter und Vater Winfried beziehungsweise Nicht-Vater Toni, es birgt Weisheiten, aber auch große Lacher, die das internationale Publikum in Cannes mehrfach zu Szenenapplaus verleitet haben.
    Und damit ist Ken Loach und seine Kritik am Sozialstaat Großbritannien nicht mehr alleine an der Spitze des bisherigen, zugegeben noch kurzen – Wettbewerbs in Cannes. So wie Loachs' Daniel Blake ist auch Maren Ades Toni Erdmann ein kluger Mann, der richtig und falsch voneinander unterscheiden kann und sich für das eine und gegen das andere ausspricht. Somit ist Toni Erdmann wohl doch ein Berater und Coach, sogar ein Botschafter.
    "I’m Ambassador Erdmann. I’m a Consultant and Coach."