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Filmfestival Thessaloniki
Politisch ausgerichtet

Das Filmfestival von Thessaloniki ist in diesem Jahr politischer denn je: Festivaldirektor Dimitris Eupides forderte die Filmschaffenden dazu auf, geschlossen Position zu beziehen und für eine neue Emigrationspolitik in Europa zu werben.

Von Marianthi Milona | 11.11.2015
    Fast gerät man in Versuchung zu glauben, es handle sich nicht mehr um Filmkunst, um Kino, um erdachte und später auf Leinwand großgezogene Bilder.
    Man sieht schreiende Frauen, hilflos und am Ende ihrer Kräfte. Eine von ihnen heißt Zenaida. Sie ist jung, schön und tablettenabhängig. Zenaida ist die Protagonistin in dem gleichnamigen Film. In der griechisch-kapverdischen Koproduktion geht es um Menschenhandel. Ein ganz aktuelles Thema in Griechenland. Dazu der Regisseur Jiannis Fotou:
    "Die Situation ist im Augenblick tragisch und wird von Tag zu Tag immer schlimmer. Es werden Frauen in ein kleines peloponnesisches Dorf gebracht und von dort erst auf die Hauptstädte Athen und Thessaloniki verteilt. Andere transportiert man gleich weiter nach Westeuropa. Man nimmt diesen Frauen die Papiere weg, setzt sie unter Drogen, misshandelt sie, um sie so wehrlos zu machen. Und das geht über viele Jahre so."
    Mit "Zenaida" wollten die beiden Filmemacher in den Ursprungsländern der misshandelten Frauen, auf das abschreckende Gesicht Europas hinweisen, sagen sie. Der Film feierte zwar gestern in Thessaloniki Premiere, wurde aber im Vorfeld auf den Kapverdischen Inseln gezeigt und hat sein Ziel bereits jetzt schon erreicht: Den jungen Mädchen die Gefahren, die auf ihrem Weg zu einem besseren Leben drohen, aufzuzeigen. 66 Minuten lang spricht Zenaida so gut, wie gar nicht. Man erfährt über den Schrecken ihres Alltags nur aus ihrem blassen Gesicht, ihren beinahe leblosen Augen und aus dem immer wieder sich wiederholenden Tagesablauf. Der Film soll jetzt weiterreisen in mehrere afrikanische Länder und Brasilien aber er kommt auch nach Berlin.
    Ein Zeichen setzen
    "Mich würde interessieren, wie die Meinung der Deutschen wäre, die pro Flüchtlinge sind, wenn sie wichtige Elemente ihres Privatlebens aufgeben müssten," sagt Regisseur Christian Zübert. Sein Film "Ein Atem" handelt von einem wohlhabenden deutschen Paar, das auf die Hilfe eines Kindermädchens angewiesen ist. Der Mutter fällt es allerdings sehr schwer, ihr Kind einer fremden Frau zu überlassen. Regisseur Zübert möchte mit seinem Film Zeichen setzen. Dass ein Umdenken in der deutschen Gesellschaft stattfinden muss. Zübert.
    "Wir hatten auch mal ein Kindermädchen aus der Ukraine. Meine Frau musste damals wieder arbeiten, ich auch und wir kannten sie eigentlich gar nicht so gut. Da gab's einen Tag, wo sie mit dem Kind länger weg war und wir konnten sie nicht erreichen. Da haben wir uns gefragt, was ist das für ein Leben, für eine Welt, ist die Arbeit so wichtig, dass man sein Kind einem anderen anvertraut, den man gar nicht kennt. Das war so kurzgefasst die Inspiration."
    Das Festival stand schon mal schlechter da
    Wie es ist, wenn man den Westen erreicht hat, ohne Papiere und bloß zu einem Asylanten degradiert wird, davon erzählen in "Rising Voices", beinah dokumentarisch gedreht, Benedicte Lienard und Mary Jimenez. Es geht um den Hungerstreik von 60 Flüchtlingen in Brüssel. Die Hauptrolle spielt die deutsch-iranische Schauspielerin, Maryam Zaree, in Deutschland bekannt durch Burham Qurbanis viel besprochenen Film "Shahada". Für "Rising voices" hat sie sich bewusst entschieden, erklärt Zaree, um sich künstlerisch-politisch zu äußern. Und um in Deutschland zu erklären, dass es die Flucht nach Europa schon lange gibt.
    "Fakt ist glaub ich, dass Deutschland lange Zeit wegen de Maizière weggeguckt hat. Griechenland und die anderen südlichen Länder haben lange Zeit darauf hingewiesen. Jetzt müssen wir uns damit auseinandersetzen und ich hoffe, dass der Diskurs wieder dahin gebracht wird, dass er wieder sachlich stattfindet und nicht auf Ängsten beruht, die jetzt vom rechten Rand abgefischt werden, um damit Politik zu machen."
    Das diesjährige Filmfestival von Thessaloniki ist sehr politisch ausgerichtet. Ganz bewusst, ganz aktuell, ganz überraschend interessant. Mit Filmstoffen, die alle in Europa ansprechen, manchmal sogar betreffen. Und die Erstlingsfilme von jungen Filmemachern aus dem Balkan haben gute Chancen auf den großen Festivals in Europa gezeigt zu werden. Das Internationale Filmfestival von Thessaloniki stand schon mal schlechter da.