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Filmkritik: "Birdman"
Vom Geltungsdrang gefallener Stars

Der Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritu ist ein Meister des episodischen Erzählens. Nach Film-Mosaiken wie "21 Gramm" oder "Babel" hat sich der Mexikaner jetzt einem anderen Genre zugewandt. "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" ist seine erste Komödie - und zählt zu Recht zu den großen Oscar-Favoriten

Von Jörg Albrecht | 28.01.2015
    Der Schauspieler Michael Keaton bei der Eröffnung der 71. Filmfestspiele von Venedig.
    Der Schauspieler Michael Keaton. Wie könnte man einen Film über einen ehemaligen Filmstar genialer besetzen als mit einem ehemaligen Filmstar? (picture alliance / dpa)
    "Wie sind wir hier nur gelandet? In diesem Drecksloch. Du bist ein Filmstar. Schon vergessen?"
    Die Wirklichkeit aber spricht eine andere Sprache als die Stimme, die der Schauspieler Riggan Thomson immer dann in seinem Kopf hört, wenn er allein in seiner Garderobe ist. Dazu genügt ein Blick in den Spiegel. Nichts ist da mehr zu sehen von dem Filmstar, der vor 20 Jahren von jedem verehrt wurde. Damals – nach seinen drei "Birdman"-Comicverfilmungen – war er der Größte in Hollywood. Doch Riggan Thomsons Ruhm ist längst verblasst. Die eigene Tochter muss ihn daran erinnern.
    "Du hattest deine Karriere, Dad. Vor der dritten Comicverfilmung, bevor die Menschen auf einmal vergessen haben, wer in dem Vogelkostüm steckte."
    Nur seine innere Stimme will das immer noch nicht wahrhaben. Sein unbesiegbarer Superheld Birdman ist über die Jahre zu Riggan Thomsons zweitem Ich geworden. Die Schizophrenie hat ihre Spuren hinterlassen. Aber Thomson hat noch einmal seine Kräfte gebündelt und bastelt an einem Comeback. Nicht beim Film, sondern am Broadway. Er will ein ambitioniertes Theaterstück auf die Bühne bringen.
    "Das ist meine Chance, endlich was zu schaffen, was wirklich von Bedeutung ist. – Von Bedeutung für wen? ... Du tust das nur, weil du eine scheiß Angst hast – genau wie alle anderen, dass du unwichtig bist. Weißt du was, du hast Recht: Du bist unwichtig. Das ist unbedeutend, okay? Du bist unbedeutend. Also gewöhn dich dran!"
    Die Handlung von "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" setzt wenige Tage vor den geplanten Voraufführungen des Theaterstücks ein. Und als habe Thomsen nicht schon genug damit zu tun, gegen seine Selbstzweifel anzukämpfen, droht jetzt auch noch der gesamte Zeitplan zu scheitern. Ein Unfall hat den Hauptdarsteller des Stücks außer Gefecht gesetzt.
    "Wir haben keinen Schauspieler. Wenn wir die erste Vorpremiere absagen, wittert die Presse Blut und wir können es uns nicht leisten, noch mehr Geld zu verlieren. – Okay. Und was soll ich jetzt tun? – Wir haben eine Zweitbesetzung. Nehmen wir die. – Nein. – Weißt du, Mike ist verfügbar. – Welcher Mike? – Ich dachte, er macht diese ... Ja. Aber er hat hingeschmissen oder wurde gefeuert. – Welcher beschissene Mike? – Shiner. – Oh mein Gott! Woher kennst du Mike Shiner? – Wir teilen uns eine Vagina."
    Ein lächerlicher Mann, der endlich wieder wer sein will
    Mit dem exzentrischen Shiner allerdings geht das Drama erst richtig los. Aber was heißt hier eigentlich Drama?! "Birdman" ist schließlich eine Komödie. Eine, in der die Übergänge zur Tragödie fließend sind. Die traurige Gestalt im Zentrum ist ein lächerlicher Mann, der endlich wieder wer sein will. Er sucht die Anerkennung, weil er ohne Erfolg nicht existiert. Dabei liefert dieser kluge, böse und pointierte Film Innenansichten aus der Welt des Schauspiels inklusive diverser Seitenhiebe auf den ganzen Mist, den Hollywood täglich produziert. Was ist der Anspruch an die eigene Arbeit, was bedeutet Ruhm, wo beginnt das Schauspiel, wo endet die Realität?
    "Wenn das ein Schuss in den Ofen wird, verpisst du dich wieder zu deinen Studio-Kumpels und fabrizierst wieder diesen kulturellen Völkermord. – Jede Minute wird ein Blödmann geboren. Das war P.T. Barums Hypothese, als er den Zirkus gründete. Und es hat sich nicht viel geändert. Und ihr wisst ganz genau: Wenn ihr einen scheiß Schrottfilm nach dem anderen rausbringt, werden die Menschen anstehen und bezahlen. Aber wenn du nicht mehr da bist, stehe ich immer noch auf der Theaterbühne, verdiene mein Geld, offenbare meine Seele und ringe mit komplexen menschlichen Emotionen. Denn das tun wir. ..."
    Wie könnte man einen Film über einen ehemaligen Filmstar genialer besetzen als mit einem ehemaligen Filmstar ...
    O-Ton ("Batman"): "Lass mich leben! Bring mich nicht um! – Ich werde dich nicht töten. Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust. Du wirst all deinen Freunden von mir berichten. – Was bist du? – Ich bin Batman. ..."
    Es ist Michael Keaton, der Riggan Thomson spielt. Vor über 20 Jahren steckte er selbst im Superheldenkostüm und war einer der Größten. Wieder verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Realität. Von "Batman" also zu "Birdman". Es ist bittere Ironie, dass Michael Keaton erst 63 und fast ein Nobody in Hollywood werden musste, um die Rolle seines Lebens zu spielen. Aber nicht nur er ist grandios. Seine Co-Stars – vor allem Edward Norton als Mike Shiner – liefern ebenfalls Bestleistungen in ihrer Karriere ab.
    "Hör zu, mit diesem Stück steht eine Menge auf dem Spiel. – Bullshit. Die kennen nicht dich und deine Arbeit. Die kennen den Typen mit dem Vogelkostüm, der bei Letterman leicht übelerregende Peinlichkeiten von sich gibt. – Oh entschuldige, dass ich beliebt bin. – Beliebtheit ist die nuttige kleine Cousine von Wertschätzung, mein Freund."
    Messerscharfe Dialoge verbinden sich mit surrealen Momenten. Charakterstudie trifft auf schwarze Komödie. Obwohl "Birdman" größtenteils im Innern eines Theaters am Broadway spielt, ist der Film weit entfernt von einem klassischen Kammerspiel. Alejandro Gonzáles Iñárritu hat seinen Film – abgesehen von der Eingangs- und der Schlussszene – in einer einzigen Einstellung inszeniert. Ohne erkennbaren Schnitt folgt die ständig in Bewegung befindliche Kamera dem Geschehen. Dieser Fluss wird selbst durch Zeitsprünge nicht unterbrochen. Das macht den inhaltlich brillanten "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit" auch formal zu einem Meisterwerk.