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Filmkritik: "Der gute Göring"
Der vergessene Bruder

Unterschiedlicher könnten Brüder kaum sein: Albert und Hermann Göring verbindet außer ihrem Namen nicht viel. Der eine glühender Nazi, der andere erklärter Gegner der NSDAP. Das Erste zeigt in einem Dokudrama die Geschichte der ungleichen Brüder. Den Nazigegner Albert Göring damit aus dem Schatten seines Bruders zu befreien, gelingt dem Film allerdings nicht.

Von Silke Lahmann-Lammert | 08.01.2016
    Die Schauspieler Francis Fulton-Smith und Natalia Wörner kommen zur Teampremiere des Films "Der gute Göring" am 16.12.2015 in Berlin.
    Die Schauspieler Francis Fulton-Smith und Natalia Wörner bei der Premiere zu "Der gute Göring" (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Schon äußerlich haben die Brüder wenig gemein: Neben dem drallen Reichsmarschall mit seinen Schaftstiefeln und Orden-gespickten Uniformen wirkt Albert Göring wie ein Dandy: Schlank, elegant, ein Menjou-Bärtchen über der Oberlippe. Ein Mann mit Charme, Witz und Wirkung auf Frauen.
    In die NSDAP ist der jüngere Bruder von Hermann Göring nie eingetreten. Im Gegenteil: Aus Protest gegen das Naziregime nimmt er die österreichische Staatsbürgerschaft an. In Wien arbeitet er für die Filmindustrie. Mit Politik will er nichts zu tun haben. Doch als die Nationalsozialisten auch hier die Macht übernehmen, nutzt er seinen Namen, um Verfolgten zu helfen. Sein jüdischer Chef, Oskar Pilzer, verdankt ihm sein Leben:
    "Zwei Tage, nachdem die Deutschen einmarschiert sind, kamen die Nazis zu uns in die Wohnung und haben meinen Vater festgenommen, weggeschleppt. Und der Göring ist sofort eingesprungen und hat es geschafft, auf seinen Namen hin, meinen Vater wieder frei zu bekommen."
    Albert Göring - erinnert sich Pilzers Sohn George – hilft seinem Vater, das Land zu verlassen.
    "Anfangs sind es Freunde und Bekannte, dann auch Fremde, die sich in ihrer Not an Albert Göring wenden. Ihnen besorgt er Pässe und Visa. Er setzt sich für die Verfolgten ein. Der Name Göring wirkt Wunder."
    Späte Anerkennung Albert Görings
    Der frühere SPIEGEL-Redakteur und Autor der Dokumentation, Gerhard Spörl, kämpft seit Jahren darum, die Rettungsaktionen von Albert Göring bekannt zu machen:
    "Weil ich es mich ärgert, dass eine Figur, die Bedeutsames geleistet hat, so in Vergessenheit geraten ist. Als ich damals recherchiert habe, habe ich mich mit vielen Historikern unterhalten, die wussten alle nichts davon. Ich habe mir die dicken Biographien über Hermann Göring angeguckt, da kommt er allenfalls in 'ner Fußnote vor. Als ein Bruder, der Hermann Schwierigkeiten macht."
    Eine "Oskar-Schindler"-Geschichte innerhalb der Familie Göring: Spannender könnte der Stoff für eine Dokumention nicht sein: Dass der Film sein eigenes Anliegen nicht erfüllt, liegt vor allem an der Inszenierung als "Dokumentarspiel":
    Filmausschnitt: "Falsche Unterschriften? Das stimmt so nicht. Ich habe mit Göring unterschrieben."
    Nicht die Erinnerungen der Zeitzeugen stehen im Mittelpunkt, sondern Spielszenen, in denen Francis Fulton-Smith und Barnaby Metschurat in die Rollen von Hermann und Albert Göring schlüpfen.
    Charaktere wie in einer Vorabendserie
    Die Dialoge der Reenactments stammen aus der Feder von Jörg Brückner. Sein erster Ausflug ins dokumentarische Genre. Bisher hat Brückner Drehbücher für Daily Soaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" geschrieben.
    Jörg Brückner: "Egal, welchen Stoff ich schreibe, es interessiert mich einfach, mich in Personen rein zu versetzen. Und zu überlegen, warum die so und nicht anders handeln. Und das ist ja in den "Roten Rosen" nicht anders als jetzt bei den Görings."
    Filmausschnitt: "Ich glaube dir nicht, dass sich in dir kein Gewissen regt! Mein Gewissen heißt Adolf Hitler."
    Tatsächlich zeichnet Brückner die Brüder so eindimensional wie Charaktere einer Vorabendserie. Hermann, der perfide Bösewicht. Albert, sein selbstloser Gegenspieler. Der eine dröhnt Naziparolen, der andere stammelt Gutmensch-Bekenntnisse.
    Filmausschnitt: "Ich sehe täglich Menschen, die Angst um ihr nacktes Leben haben. (mit ersterbender Stimme:) Es war meine Pflicht, wenigstens ein paar von ihnen zu retten."
    Noch ärgerlicher als das übertriebene Pathos ist die Stilisierung des Kriegsverbrechers Hermann Göring zu einem nationalsozialistischen J.R. Ewing - und damit zum heimlichen Hauptdarsteller des Films. Dabei soll das Dokumentarspiel doch eigentlich Albert Göring in den Fokus rücken.
    Jörg Brückner: "Es ist leider so, wenn man Filme schreibt, die negativen Charaktere, die drängeln sich immer nach vorne. Die negativen Charaktere, die greifen sich immer die Bühne."
    Vor lauter Schurkenspiel-Dramatik gerät die Dokumentation der Ereignisse und historischen Quellen ins Hintertreffen. Zurück bleibt das Gefühl, einen schlechten Nazikrimi gesehen zu haben. Fiktion statt Fakten. Albert Göring hätte ein besseres Portrait verdient.
    Sendetermin, So, 10.01.16, 21.45 Uhr
    Das Erste