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Filmminister Goebbels

Wer weiß schon, daß Joseph Goebbels als radikaler Antibolschewist ein großer Fan des russischen Revolutionskinos war? Ein großer Bewunderer etwa von Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin"? Ebenso überraschend ist die Tatsache, daß der Propaganda- und Filmminister das Hollywood-Epos "Vom Winde verweht" und die sozialkritische Steinbeck-Verfilmung "Früchte des Zorns" über den grünen Klee gelobt hat. Bei all diesem Lob drängt sich zwangsläufig die Frage auf: Wo bleibt denn hier das nationalsozialistische Feindbild?

Klaus Englert | 12.08.1998
    Goebbels war zwar von seinen Vorbildern im sowjetischen und amerikanischen Film beeindruckt, doch letztendlich war er von der Idee beseelt, einen faschistischen Film zu schaffen. Allerdings wußte er nur, was dieser nicht sein sollte. Immer wieder wandte er sich deshalb gegen SA-Filme, die - wie er kritisierte - "Propaganda mit dem Holzhammer machen". Selbst der Film "SA-Mann Brand", immerhin im Juni 1933 während einer großen Galapremiere in Anwesenheit Hitlers uraufgeführt, konnte ihn nicht zufriedenstellen. Nein, Goebbels wollte den Propagandafilm, der sich an ästhetischen und technischen Qualitäten orientiert. Er wollte einen Film, der nicht einfach, so Goebbels, das "Parteiprogramm dialogisiert", sondern einen Stoff wirklich gestaltet. Im faschistischen Italien waren keine Vorbilder zu sehen. Daß aber gerade die ideologischen Gegner auf diesem Gebiet Erstaunliches geleistet hatten, ließ den Filmminister nicht ruhen. Er träumte vom "nationalsozialistischen Potemkin". Er träumte von einer deutschen Filmindustrie, die es mit Hollywood aufnimmt und zur "beherrschenden kulturellen Weltmacht" wird.

    Heute wissen wir, daß die deutsche Filmindustrie unter dem gebieterischen Einfluß von Goebbels allenfalls Mittelmaß erzeugt hat. Dies ist die Geschichte, die uns Felix Moeller in seiner umfangreichen Abhandlung "Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich" erzählt. Um es gleich vorwegzunehmen: Aus dem faschistischen Film, der sich mit den innovativen Filmen eines Eisenstein, Wertow, Pudowkin oder Dowshenko messen könnte, ist nichts geworden. Statt dessen: eine Handvoll "nationaler Großfilme" wie der antisemitische Hetzfilm "Jud Süss", der Burenfilm "Ohm Krüger", der Friedrich-Film "Der große König". Und schließlich, nicht zu vergessen, "Kolberg": die letzte militärisch-cineastische Großoffensive des Nationalsozialismus. Mit diesem Film über den Widerstand der pommerschen Hafenstadt Kolberg gegen die napoleonischen Truppen wollte Goebbels, wie Felix Moeller betont, den Film zum Vehikel des "totalen Krieges" machen. Zum Katalysator des deutschen Widerstands und zum Mittel der "geistigen Kriegsführung". Für Goebbels war dieser Film die Verlängerung der militärischen Kriegsführung in die Kinosäle. Niemals standen einem deutschen Regisseur mehr Ressourcen zur Verfügung als Veit Harlan für "Kolberg": Laut offizieller Anordnung des Ministers sollten die Dienststellen von Wehrmacht, Staat und Partei ihm jeden Wunsch erfüllen. Deswegen konnte Harlan im Film allein 187.000 Soldaten-Statisten aufmarschieren lassen. Doch der am 30. Januar 1945, dem 13. Jahrestag der Machtergreifung, uraufgeführte Film konnte die erhoffte Massenmobilisierung nicht mehr in Gang setzen.

    Einer der interessantesten Aspekte von Moellers materialreicher Studie bildet die Filmproduktion in den Kriegsjahren. Zwar wurden nun weit weniger Filme hergestellt, und auch ausländische Produktionen kamen weniger zur Aufführung. Dennoch konnte der Propagandaminister im kriegszerstörten Deutschland eine hocherfreuliche Meldung verkünden: "Die Filmwirtschaft blüht trotz des Krieges in unvorstellbarer Weise." Noch Ende März 1944 schwärmte er: "Die Filmspielergebnisse sind in diesem Monat weiter gestiegen, trotz des Luftkrieges. Der Film ist einfach nicht totzukriegen."

    Es ist unbestritten: Goebbels setzte auf die Wirkungsmöglichkeiten des neuen Mediums. Zwar spielte der politische Film, trotz eines Veit Harlan und Karl Ritter, im Dritten Reich kaum eine Rolle, doch die politische Funktion des Filmes war von zentraler Bedeutung. Goebbels schien durchaus vom Stalin-Regime gelernt zu haben, das seit dem ersten Fünf-Jahres-Plan hauptsächlich "Movies for the Millions" in die Kinos brachte. Denn auch die deutschen Kinos brachten vornehmlich seichte Unterhaltungsfilme, die dem Ablenkungsbedürfnis der Zuschauer Rechnung tragen sollten. So kam es, daß während des Kriegsbeginns, wie Moeller berichtet, für den Film "Mutterliebe" eine enorme Propagandakampagne gestartet wurde. Und gar im Februar 1943, nach dem Stalingrad-Desaster, konnten sich die deutschen Kinogänger an Filmen wie "Geliebte Welt", "Liebe kann lügen" und "Hab mich lieb" erfreuen.

    Trotz Hitlers Forderung nach heroischen Soldatenfilmen ist auch nach Kriegsbeginn der anspruchsvolle politische Film nur in Konturen sichtbar. Dennoch darf der Propagandafaktor der Wochenschauen nicht unterschätzt werden. Immerhin standen den Abteilungen der Wehrmacht "Propagandakompanien" aus Fotografen, Journalisten, Kameraleuten und Rundfunksprecher zur Seite. Allein 14.000 Mitglieder dieser PKs waren dafür verantwortlich, daß der Krieg zum medialen Ereignis wurde.

    Einen wichtigen Hinweis hat Felix Moeller in seiner allzu historisch ausgerichteten Studie übersehen. In seinem Pariser Exil schrieb Walter Benjamin 1935, die Nazis hätten die Kontrollmechanismen des Films perfektioniert, indem sie sich seine "Schockwirkung" zunutze machten. Denn diese fördere nicht die Konzentration aufs Kunstwerk, sondern das Zerstreuungsbedürfnis der Massen. Zu einer Zeit als der "Blitzkrieg" in vollem Gange war, träumte Goebbels, auch die Wochenschauen sollten "wie ein Blitz einschlagen".