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Finanzierung des Ausbaus der Kleinkinderbetreuung noch offen

Der Streit in den Bundesländern über die Finanzierung des geplanten Ausbaus der Kleinkinderbetreuung geht weiter. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus sagte, bei den Kosten stünden Länder und Kommunen in der Verantwortung. Falls es zusätzliche Mittel des Bundes geben sollte, müssten auch die neuen Länder entsprechend partizipieren.

Moderation: Jürgen Liminski | 03.04.2007
    Jürgen Liminski: In Deutschland soll bis zum Jahr 2013 für jedes dritte Kleinkind ein Betreuungsplatz bereitstehen. Darauf verständigten sich Vertreter von Ländern und Gemeinden gestern bei einem Spitzentreffen mit Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen in Berlin. Das scheint ein konkretes Ergebnis zu sein, aber es passt nicht zu der anderen Zahl, wonach es insgesamt 750.000 Krippenplätze geben soll, und auch die Finanzierung ist nicht geregelt. Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Ministerpräsidenten von Thüringen Dieter Althaus. Er ist jetzt am Telefon. Zunächst mal guten Morgen Herr Althaus!

    Dieter Althaus: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Herr Althaus, für jedes dritte Kind ein Krippenplatz. Das bedeutet, dass bis 2013 rund 650.000 Krippenplätze zur Verfügung stehen sollen, denn 2005 wurden 86.000 Kinder geboren. Nach den Berechnungen der Demographen dürften es in sechs Jahren etwa 650.000 sein. Das sind also 100.000 weniger, als von der Bundesministerin als Zielmarke genannt. Ist der Bedarf überhaupt richtig gerechnet?

    Althaus: Wir müssen von der heutigen Demographie ausgehen. Leider ist die Geburtenzahl deutlich gesunken. Ich glaube also, dass es nicht in der Größe notwendig ist, Krippenplätze zu schaffen. Das muss noch mal genau nachgeprüft werden. Ich denke das Ziel von 250.000 bis zum Jahr 2010 und dann möglicherweise noch 100.000 mehr würde auch ausreichen.

    Liminski: Nach einer Umfrage von Ipsos, die vom Familiennetzwerk in Auftrag gegeben und von der FAZ Ende vergangener Woche teilweise veröffentlicht wurde, wünschen sich 70 Prozent der Frauen, ihr Kind selber zu erziehen, wenn sie das Geld bekämen, das ein Krippenplatz kosten würde. Daraus ergäbe sich in der Tat ein Bedarf von insgesamt nur 350.000 bis 400.000 Plätzen. Wäre es denn nicht sinnvoller, das Geld bei den Familien zu belassen, als in Objekte wie Gebäude oder Planstellen zu investieren, die wegen der demographischen Entwicklung sowieso bald nicht mehr gebraucht würden?

    Althaus: Für die echte Wahlfreiheit ist es ohnedies wichtig, die Eltern zum einen in der Verantwortung zu belassen und zum anderen auch mit dem Geld auszustatten. Was Ipsos in der Studie nachweist ist auch unsere Erfahrung, dass etwa ein Drittel, etwa 35 Prozent ihre Kinder unter drei abgeben. Deshalb müssen die Eltern auch diese Entscheidung fällen können und deshalb sollten sie auch finanziell in die entsprechende Situation gebracht werden, dass sie solche Entscheidungen fällen können.

    Liminski: Warum werden dann seriöse Umfragen wie die von Ipsos in den Familiennetzwerken nicht wahrgenommen? Den Teilnehmern der Konferenz waren sie jedenfalls zugänglich gemacht worden.

    Althaus: Ich glaube es passt nicht in die aktuelle Diskussionsrichtung, aber es ist natürlich genau die Erfahrungswelt, die wir erleben und die wir auch selbst immer erlebt haben, dass Eltern diese Entscheidung selbst fällen wollen und dass der größte Teil der Eltern bei unter Dreijährigen ihre Kinder lieber zu Hause erziehen wollen und erst mit wachsendem Alter sie in eine Betreuung geben wollen.

    Liminski: Warum schafft man denn nicht eine echte Wahlfreiheit oder anders gefragt hat die Bundesregierung das Ziel echter Wahlfreiheit aufgegeben?

    Althaus: Wir brauchen die echte Wahlfreiheit. Das heißt die Eltern müssen in den finanziellen Stand gesetzt werden zu entscheiden und es muss gleichzeitig eben Alternativangebote geben, die dann auch genutzt werden können. Ich glaube perspektivisch kommen wir nicht umhin, ähnliche Wege zu gehen, wie sie Norwegen und Schweden gegangen sind oder gerade gehen, Eltern eben in den Stand zu setzen, damit sie entscheiden können. Wir haben in Thüringen ähnliche Erfahrungen gemacht, dass sich dann dieses etwa eine Drittel der Eltern für Kinderkrippenplätze entscheidet und die anderen ihr Kind zu Hause betreuen.

    Liminski: Wie sieht die Alternative in Thüringen konkret aus?

    Althaus: Wir haben das Erziehungsgeld im Jahr von zwei bis drei. Das bekommen die Eltern und sie können dann selbst entscheiden, wie sie das Geld einsetzen. Wir haben da eben die Erfahrung, dass es bei einem größeren Teil der Eltern zur eigenen Betreuung in der Familie kommt, und ein kleinerer Teil gibt das Geld in die Betreuungsangebote. Das ist dann auch eine echte Wahlfreiheit.

    Liminski: Der bereits unter rot-grün festgelegte Ausbau der Kinderbetreuung soll um zwei Jahre vorgezogen werden. Dafür gibt es offenbar Geld. Für die Familien gibt es dagegen keins. Im Gegenteil: den Familien werden Leistungen gestrichen und verfassungswidrig Steuern abverlangt. Ist es nicht an der Zeit, die Familienpolitik der Union einer Generalrevision zu unterziehen, statt weiter die Politik der SPD zu betreiben?

    Althaus: Es sollen ja alle familienpolitischen Leistungen jetzt einmal genau analysiert werden und überprüft werden. Ich halte sehr viel davon, dass wir Familien weiter entlasten und dass wir auch die Familienleistung entsprechend in der Gesellschaft anerkennen. Es gibt genügend Verfassungsgerichtsurteile dazu. Trotzdem brauchen wir natürlich auch prinzipiell die Struktur, das Angebot an Kinderkrippenplätzen, aber das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden. Im Mittelpunkt stehen die Familien.

    Liminski: Wo ist denn das Proprium der Unionsfamilienpolitik noch?

    Althaus: Für mich und für uns gilt Artikel VI Grundgesetz. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz. Das heißt sowohl die Institution der Ehe wie die Familie stehen auch in der prioritären Situation, dass sie die Politik unterstützt. Wenn es jetzt darum geht, Krippenplätze zusätzlich zu entwickeln, geht es um ein Angebot, aber es geht nicht darum, dass der Staat eine Präjudizierung vornimmt, dass Eltern von Vornherein die Krippenplätze bevorzugen sollen, sondern es bleibt die Verantwortung der Eltern. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass dieser Artikel VI nicht nur ein Verfassungsartikel ist, sondern dass er gleichzeitig auch die Politik der Union bestimmt.

    Liminski: Nicht nur der Bedarf ist ungeklärt, Herr Althaus; auch die Kosten für den geplanten Ausbau werden unterschiedlich veranschlagt. Legt man die Zahlen des Nordrhein-Westfälischen Familienministeriums zu Grunde, kostet ein Krippenplatz pro Jahr zwischen 16.000 und 22.000 Euro. Im Osten ist es wesentlich preiswerter, aber auch weil dort die Plätze schon vorhanden sind. Das macht bei den angepeilten 500.000, die Frau von der Leyen haben will, mindestens acht Milliarden. Selbst bei dem realistischen Bedarf von 350.000 Plätzen mehr ergibt sich noch ein Betrag zwischen sechs und neun Milliarden. Wo soll das Geld herkommen angesichts der gespannten Kassenlage?

    Althaus: Ich glaube hier liegt zu allererst die Verantwortung bei Ländern und Kommunen, denn auch in den neuen Ländern wie in Thüringen mussten diese Plätze ja geschaffen werden, erhalten werden oder neu ausgebaut werden. Falls es zu einer zusätzlichen Hilfe des Bundes kommt, muss sehr darauf geachtet werden, dass nicht familienpolitische Leistungen auf der einen Seite dafür eingesetzt werden, sondern dass neue finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wie das gehen kann weiß ich im Moment nicht und es muss darauf geachtet werden, dass dann auch die neuen Länder entsprechend partizipieren, denn hier ist ja die entsprechende Betreuungsinfrastruktur ausgebaut. Aber es kann ja nicht sein, dass deswegen dann die neuen Länder benachteiligt würden bei einer solchen Finanzierung.

    Liminski: Auch inhaltlich regt sich Widerstand in der Union. Das deutsch-türkische Forum zum Beispiel sagt, der Trend zur Auflösung der Familie müsse gestoppt werden. Früher habe es noch Drei-Generationen-Familien gegeben. Dann seien die Großeltern in die Betreuungseinrichtungen abgeschoben worden. Jetzt drohe dieses Schicksal auch den Kindern. Das hört sich nicht nach einem Streit zwischen modern und konservativ an, sondern nach falsch und richtig. Wo stehen Sie denn in dieser Frage?

    Althaus: Auf jeden Fall müssen wir darauf achten, dass nicht nur Generationenfolgen aufwachsen, sondern dass die Generationen auch miteinander leben können und leben sollen, wo immer das möglich ist. Auch wenn sich die Veränderung rund um die Familie ergeben hat, muss der Staat, muss die Gesellschaft, muss die Politik sehr darauf achten, dass diese Veränderung sich nicht weiter stabilisiert und nicht durch Politik vielleicht sogar noch forciert wird, sondern wir müssen darauf achten, dass die Familie im Grundbestand gestärkt wird und dass das auch präjudizierend in der Politik vorgesehen wird. Das heißt sowohl die Eltern als auch die Kinder als auch die Großeltern müssen im Blick sein.

    Liminski: Weder Bedarf noch Kosten der Krippenoffensive sind geklärt. Das war der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen Dieter Althaus. Besten Dank für das Gespräch, Herr Althaus.