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Finanzkrise
Ein neues Geldsystem gegen die Krise

Zwar sind die Ursachen der Finanzkrise weitgehend aufgearbeitet, allerdings bei Weiten nicht beseitigt: Wolfgang Hetzer schildert in "Die Euro-Party ist vorbei" die Auswirkungen auf das politische Projekt Europa. Und Christian Felber beschreibt in "Geld. Die neuen Spielregeln" eine alternative Geldordnung und den Weg dorthin.

Von Caspar Dohmen | 31.03.2014
    Mehrere Geldscheine im Wert von 5, 10, 20 und 50 Euro liegen durcheinander.
    Die Finanzkrise beschäftigt zwei Fachbuchautoren. (dpa / Stephan Persch)
    Viele Autoren haben die Ursachen und den Ablauf der Finanzkrise in den vergangenen Jahren hervorragend analysiert und gut aufbereitet. Umso schwieriger ist es, mit neuen Veröffentlichungen tatsächlich etwas Neues zu formulieren. Das zeigt sich auch bei zwei Neuerscheinungen in diesen Wochen. Da ist zunächst einmal der Jurist Wolfgang Hetzer. Er arbeitete als Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel.
    "Das gebetsmühlenartige Mantra "Die Hedge-Fonds sind schuld" könnte vor dem geschilderten Hintergrund in der Tat ein Ablenkungsmanöver sein. Man konnte den Eindruck haben, dass die Politiker in den Gesang der Sirenen einstimmten, weil sie die Anleger zum erneuten Schiffbruch verleiten wollten, anstatt die Verantwortung für ihre Mittäterschaft zu übernehmen, die auch zur Auslösung der Krise geführt hat."
    Mittäter sind für Hetzer diejenigen Politiker, die Regeln für Banken und Finanzprodukte änderten und so erst die Ausbreitung des Finanzkapitalismus ermöglichten oder immense Staatsausgaben auf Pump finanzierten. Die Zukunft eines ganzen Kontinents sei zum "Gegenstand von Wetten" geworden, schreibt Hetzer. Er spricht von einem "Selbstbetrug", der aufflog, als die Spekulanten und Händler die Schwächen der europäischen Ordnung erkannten. Sein Blick auf den derzeitigen Zustand Europas ist bedenkenswert.
    "Statt hochfliegende Podiumsdiskussionen über angeblich gemeinsame Werte zu führen, könnte man in der Tat einmal Beobachtungen auf Schwarzmärkten, Flughäfen und Busbahnhöfen anstellen. An diesen und anderen Orten ist vielleicht zu erkennen, wie krisenresistent der europäische Alltag geworden ist. Die Umbrüche, die dem Jahr 1989 folgten, sind offensichtlich bis jetzt durch die "Kunst der Improvisation" bewältigt worden. Möglicherweise kann der Westen sogar lernen, dass sich das "Durchwursteln", nicht der "kurze Prozess" der Euro-Gegner oder das "visionäre Projekt" der Europa-Freunde als der angemessene Bewegungsmodus auch für die nächsten zehn Jahre bewähren wird."
    Hetzer tischt aber auch ziemlich viel Bekanntes auf. Wer auf das Insiderwissen eines EU-Beamten hofft, der wird enttäuscht. Er schreibt verschachtelt und kompliziert und konfrontiert den Leser zudem mit einer immensen Stofffülle. Und die "Dreißig Thesen zur Zukunft Europas", die Hetzer am Ende des Buches präsentiert, wiederholen viel Selbstverständliches. Wer will schon widersprechen, dass Europa ein Friedensprojekt ist. Teilweise stellt Hetzer Aspekte unbegründet in den Raum. So behauptet er etwa, die Bereitschaft zur kritischen Analyse schrumpfe. Aber es gibt auch einige Thesen, denen man gerne beipflichtet.
    "Die Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Währungsunion dürfen sich nicht in einer "Solidarität des Geldes" erschöpfen, sondern müssen vorrangig der Existenzsicherung aller Menschen in der EU nach Maßgabe sozialstaatlicher Standards verpflichtet sein."
    Buch von Christian Felber ist die erfrischendere Lektüre
    Erfrischender und leichter liest sich dagegen über weite Passagen das neue Buch von Christian Felber. Der österreichische Attac-Mitbegründer und Streiter für eine sogenannte Gemeinwohlökonomie belässt es nicht bei einer Analyse der Situation, sondern er blickt ambitioniert in die Zukunft.
    "Es ist zweifellos eine Gebrauchsanweisung für ein neues Geldsystem und nicht nur welchen Inhalt diese neue Geldordnung haben könnte, sondern insbesondere wie der Weg dorthin aussehen könnte, über welche demokratischen Prozesse wir freien und hoffentlich bald freieren als heute Bürgerinnen und Bürger uns die Geldordnung nach unserem Geschmack, nach unseren Bedürfnissen und Werten an erster Stelle selbst stricken und designen könnten."
    Felber hält eine tief greifende Reform des Wirtschaftssystems für notwendig: An die Stelle des Gewinnstrebens - soll das Gemeinwohl treten - als oberste Richtschnur wirtschaftlichen Handelns. Das ist ein altes politisches Ziel. In Umfragen geben viele Bürger an, dass sie sich eine neue Wirtschaftsordnung wünschen. Doch Felber hat den Eindruck, dass die meisten dann doch davor zurückschrecken, tatsächlich das ganze System umzukrempeln. Er schlägt deshalb vor, mit der Geldordnung zu beginnen. Geht es nach Felber, dann wird Geld ein öffentliches Gut, so wie Bildung, das Internet oder die öffentliche Sicherheit. Zwei Eigenschaften sollen für solche öffentlichen Güter gelten: Niemand kann von der Nutzung ausgeschlossen werden und die Nutzer rivalisieren nicht miteinander.
    "Für Geld trifft nur das erste Kriterium zu: Niemand kann von der Verwendung von Geld ausgeschlossen werden: Hingegen kann ein und derselbe Hundert-Euro-Schein oder ein Girokontoguthaben nur von einer bestimmten Person verwendet werden. Die Geldnutzung ist begrenzt wie die einer Parkbank. Damit ist Geld nach der derzeit üblichen wissenschaftlichen Definition ein "unreines öffentliches Gut". Allerdings gibt es auch einen wichtigen Aspekt von Geld, der ein reines öffentliches Gut darstellt: Geld schafft Vertrauen zwischen Menschen, die sich nicht kennen. Der Staat errichtet und stützt das Vertrauen in das gesetzliche Zahlungsmittel und die offizielle Währung."
    In seinem Modell gibt es einige radikale Neuerungen. So wird das Geld, das nicht für die reale Wirtschaft gebraucht wird, unverzinslich stillgelegt.
    "Es wären reine Gelddepots gleichermaßen für Bargeld wie für Buchgeld, und dieses Geld würde Ruhe geben, es würde keinen Renditedruck mehr ausüben, es würde sich dann natürlich auch nicht vermehren. Und andererseits wäre es aber vollkommen sicher, weil selbst bei der Insolvenz der Bank wäre dieses Geld nicht gefährdet."
    Der Staat soll sich zudem in begrenztem Ausmaß direkt und unverzinslich bei der Zentralbank Geld leihen können. Für Felber ist dies ein wichtiger Baustein für den Abbau der immensen Staatsschulden, neben einer höheren Besteuerung Vermögender. Heute produzieren die privaten Banken einen Großteil des Geldes bei der Kreditvergabe. Der Freigeist Felber will – wie einige andere Reformer auch - die Geldschöpfung in die Hände von Staat oder Zentralbank legen, die bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts die Ausgabe von Banknoten und Münzen von Privatbanken übernahmen. Über solche grundsätzlichen gesellschaftlichen Weichenstellungen sollen jedoch nicht die Parlamente, sondern die Bürger selbst in Wirtschaftskonventen entscheiden. Eine neue Geldordnung und eine Weiterentwicklung der Demokratie müssen laut Felber Hand in Hand gehen:
    "Der Vorschlag dieses Buches ist daher, die Spielregeln für das Geldsystem in partizipativen, dezentralen Prozessen zu diskutieren, in delegierten oder direkt gewählten nationalen Konventen zu finalisieren und durch bindende Volksabstimmungen in den Verfassungen zu verankern."
    Felber liefert einen detaillierten Fragenkatalog, den Bürger als roten Faden für Diskussionen und Abstimmungen über ein anderes Geldsystem nutzen könnten. Der Autor hat die Praxistauglichkeit der Methode im Kleinen erlebt. Aber natürlich ist es etwas anderes, ob ein solches Verfahren in einer überschaubaren Runde angewendet wird oder für eine ganze Bevölkerung funktionieren soll. Felber schafft einen interessanten Spagat zwischen Streitschrift und Analyse, nur manchmal verliert er sich in Details. Sein Geld- und Bankenmodell könnte von der Sache her verwirklicht werden. Dafür bedarf es jedoch einer breiten gesellschaftlichen Bewegung, wie es sie in Deutschland beispielsweise für den Ausstieg aus der Atomenergie gab. Noch ist eine solche Bewegung nicht in Sicht. Und man muss bezweifeln, dass sich viele Bürger für das komplexe Thema Geldordnung begeistern. Das lehrt zumindest die jüngste Finanzkrise.
    Buchinfos:

    Wolfgang Hetzer: "Die Europarty ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?", Westend-Verlag, 416 Seiten, Preis: 22,99 Euro, ISBN: 978-3-864-89058-1
    Christian Felber: "Geld. Die neuen Spielregeln", Deuticke Verlag, 304 Seiten, Preis: 18,90 Euro, ISBN: 978-355-206213-9