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Finanzkrise: Oberreuter fordert Sondersitzung des Bundestages

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter fordert von der Politik angesichts der Finanzkrise, den Kreis der Entscheidungsfinder zu erweitern. Derzeit würden sich nur Kanzlerin und Vizekanzler miteinander über die Probleme an den Börsen abstimmen - der Bundestag sei außen vor.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Jürgen Liminski | 09.08.2011
    Bettina Klein: Auch in Europa stellt sich die Frage, ob die Politik richtig reagiert, das Richtige unternimmt angesichts hochverschuldeter Staaten. Die Regierungen scheinen, um einen Ausweg zu ringen und um eine Beruhigung der Märkte. Doch reicht es aus, wenn die Exekutive nach Lösungen sucht, oder sind die Parlamente nicht ebenso gefordert? Darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit dem Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter von der Akademie für politische Bildung in Tutzing gesprochen.

    Heinrich Oberreuter: Na ja, zunächst muss man mal die Frage vorstellen, ob sich Bemühungen der Exekutive überhaupt dazu eignen, Märkte zu beruhigen, die ja auf die Politik wenig Rücksicht nehmen, sondern ökonomisch agieren. Das Zweite ist natürlich, dass die Regierungen in der Tat Priorität im Handeln besitzen, aber für ihr Handeln Legitimation durch die Parlamente brauchen, also Zustimmung, und das bei so weitreichenden Entscheidungen, um die es im Augenblick geht, es natürlich nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten wäre, die Volksvertreter mit einzubeziehen, die ja nun in der Tat das Volk vertreten. Und wir haben inzwischen eine intensive Diskussion, das gerade in diesen währungspolitischen, finanzpolitischen Fragen ... Lammert, der Bundestagspräsident, hat sich beteiligt, selbst der Bundespräsident hat sich deutlich artikuliert, dass also angemahnt wird, die Parlamente nicht zu marginalisieren.

    Jürgen Liminski: Wäre denn eine Sondersitzung des Parlaments in der Sommerpause angebracht, oder vergrößert das nur die Panikstimmung an den Börsen?

    Oberreuter: Ja, nun haben wir ja gehört, zur Beruhigung würden Sondersitzungen nicht beitragen, das ist schon richtig, und insofern müsste man opportunistische Erwägungen gegen verfassungspolitische abwägen. Aber wir wissen, dass vom Fahrplan her im September sich der Bundestag und auch die französische Nationalversammlung mit den Themen beschäftigen sollen. Nur wenn die Ereignisse sich so überstürzen, wenn in gewisser Weise Gefahr in Verzug ist, wenn die öffentliche Beunruhigung so ins Kraut schießt wie gegenwärtig, dann wäre vielleicht in der Tat auch ein außergewöhnliches parlamentarisches Signal nicht falsch; beruhigend würde es vielleicht nicht wirken, aber es würde zumindest die Mitbestimmungsposition des Parlaments unterstreichen – die Regierung handelt nicht alleine!

    Liminski: Hat man denn, wenn die Zeit drängt wie jetzt, überhaupt die Ruhe, einen breiten Konsens zu suchen, muss da nicht rasch exekutiert werden im Sinne des Handelns der Exekutive?

    Oberreuter: Na ja, das ist der Zwiespalt, in gewisser Weise ist es eine Art Notstandssituation, für die wir Deutschen ja eigentlich kein Faible haben. Wir möchten es immer geordnet und wir möchten es vor allen Dingen in geschäftsordnungsmäßig vorgezeichneten Bahnen haben, diese Entwicklung. Nur, wir erleben nun eigentlich seit dem Jahr 2008 sich überstürzende Problemlagen in Europa finanzpolitischer Art – wir spannen einen Rettungsschirm nach dem anderen auf, wir haben eine ganz unklare, sich widersprechende europäische Kommunikationssituation und eine eigentlich fast irre Informationspolitik. Wir haben heute die Situation, dass die Bundesregierung sagt, der Rettungsschirm bleibt, wie er ist, dass der französische Finanzminister das Gegenteil behauptet – hier wäre eigentlich eine Beruhigung der Diskussion schon wesentlich. Und in der Tat, wenn man schon den ganzen Bundestag nicht einschließen kann in die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, dann wäre es wenigstens sinnvoll, die Führer der parlamentarischen Mehrheit, der Koalition, aber auch der Opposition, mit einzubeziehen in die Diskussion, und sie nicht nur zu beschränken auf Telefongespräche zwischen den Regierungschefs der wichtigsten, ausschlaggebenden Staaten in der EU.

    Liminski: Sie haben eben den Bundespräsidenten und auch den Bundestagspräsidenten genannt, die angemahnt hätten, die Parlamente sollen nicht marginalisiert werden. Ist denn die Marginalisierung der Parlamente nicht ein unvermeidliches Ergebnis der unvermeidlichen Parteiendemokratie?

    Oberreuter: Das kann man so oder so beantworten. Ich meine, erstens muss man ja mal sagen, dass auch die Mitglieder der Regierung Parlamentarier sind, und insofern diese Eigenschaft, Abgeordnete zu sein, nicht gänzlich abstreifen. Nur sie führen natürlich eine ganz andere Rolle aus und gouvernementalisieren sich natürlich in ihrem Bewusstsein und auch in ihrem Handeln, aber man kann natürlich eine Parteiendemokratie auch so führen, dass wie bei den Fraktionschefs gerade schon angedeutet, die Konsensfindung über den engeren Kreis und nicht nur des Kabinetts, sondern des engsten Kabinetts – so sieht das ja im Augenblick aus, und gegenwärtig haben wir ja nur eine Abstimmung zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler –, also man kann natürlich auch die führenden Figuren der Partei und vor allen Dingen der Fraktion mit einbeziehen und damit natürlich die Legitimität auf eine breitere Basis stellen. Aber klar ist natürlich schon, dass die Parteiendemokratie in die Parlamentsdemokratie interveniert, aber das weiß man, und insofern könnte man sich schon die eine oder andere Reparaturmaßnahme erwägen, um den Parlamentarismus also in der Tat nicht zu marginalisieren.

    Liminski: Gehört zu dieser breiteren Basis auch die Judikative, also das Ratsuchen zum Beispiel beim Bundesverfassungsgericht?

    Oberreuter: Ja, Ratsuchen eigentlich nicht, da haben die Karlsruher sich von Beginn der Republik an gewehrt, als in einem Streit zwischen Theodor Heuss und Konrad Adenauer die Wiederbewaffnung betreffend Karlsruhe gutachterlich gebeten worden ist; dann haben die deutlich gesagt: Wo keine Klage ist, dort gibt es auch keinen Spruch und kein Gutachten. Aber wir haben ja die interessante Situation, dass die Politik gelegentlich die Zügel schleifen lässt und geradezu auf ein Karlsruher Urteil wartet, es provoziert, um aus Entscheidungsfindungsproblemen herausgeleitet zu werden. Und gegenwärtig haben wir natürlich in den finanzpolitischen und europapolitischen Dimensionen eine Situation, dass seit dem Lissabon-Urteil Karlsruhe es ja deutlich gemacht hat, dass es die – ja, man muss schon sagen, die Restbestände der Souveränität, der Staatlichkeit der Bundesrepublik verteidigen will und damit auch die Kernfunktionsbereiche des Deutschen Bundestages, und wir haben ja auch eine Klage anhängen finanzpolitischer Natur, die wohl im Herbst entschieden wird, und wenn Karlsruhe da seiner Linie treu bleibt, könnte man fast vermuten, dass der Bundestag Profiteur dieses Urteils werden könnte.

    Liminski: Sie haben eben dafür plädiert, den Kreis der Entscheidungsfinder etwas zu erweitern. Das Volk ist daran dann aber immer noch nicht beteiligt, und steht immer noch ratsuchend, ratlos am Rande.

    Oberreuter: Die wichtigste Funktion, die Parlamentarier und Parlamente eigentlich haben, ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Und dazu ist natürlich auch eine demokratische Regierung verpflichtet. Und was wir eigentlich seit Monaten oder seit Bildung dieser Koalition ganz defizitär erleben, ist eine Erklärung der Politik, die geführt wird, auch eine Beruhigung der Nervenlage der Nation. Die Materien mögen noch so kompliziert sein, aber das Volk hat einen Anspruch auf Aufklärung, so kompliziert die Dinge auch sein mögen.

    Moderatorin: Der Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.