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Finanzskandal
"Hinweise gegen Wirecard, die stapeln sich in den letzten Jahren"

Bereits im Februar 2019 sei der Bundesfinanzminister über Hinweise auf den möglichen Betrug bei Wirecard informiert gewesen, sagte Grünen-Politiker Danyal Bayaz im Dlf. Olaf Scholz sei ein Puzzle-Teil in einem „System kollektiver Unverantwortlichkeit“. Versäumnisse müssten aufgearbeitet werden.

Danyal Bayaz im Gespräch mit Philipp May | 17.07.2020
Danyal Bayaz, Wirtschaftspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen
Danyal Bayaz, Wirtschaftspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen (imago images / Christian Spicker)
Der Zahlungsdiensleister Wirecard hatte Insolvenz angemeldet, nachdem eine Finanzlücke von 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz aufgetaucht war. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Betrugs, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation gegen mehrere Manager. Der Bundesrechnungshof kündigte an, die Rolle der Bafin zu prüfen.
Danyal Bayaz ist Finanz- und Haushaltspolitiker der Grünen im Bundestag und im Wirecard-Skandal gerade um Aufklärung bemüht. Er fordert zudem die Finanzaufsicht Bafin besser aufzustellen. Diese müsse mit mehr Befugnissen ausgestattet werden, damit sie an den Finanzmärkten künftig gefürchtet werde, so Bayaz.
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Philipp May: Was ist Ihre drängendste Frage an Olaf Scholz?
Danyal Bayaz: Ich würde gerne vom Finanzminister wissen, warum er eigentlich bislang der Diskussion im Bundestag aus dem Weg gegangen ist. Wir hatten ja eine aktuelle Stunde dazu. Wir haben viele Fragen im Finanzausschuss. Ich habe auch Briefe an ihn geschrieben. Da gab es dann immer nur von den Staatssekretären Antwort. Besser als nichts, aber ich habe das Gefühl, dass er der Diskussion ein Stück weit aus dem Weg geht. Angesichts der großen Frage, wie wir die Reform der Bafin neu aufstellen müssen, welche Schlüsse wir aus diesem Skandal ziehen, und wir haben natürlich auch inhaltliche Fragen, wo es Versäumnisse gab, und vor allem auch, warum er so spät dieses Thema überhaupt erst zur Chefsache gemacht hat. Darauf warten wir und diese Fragen würde wir gerne auch Olaf Scholz im Finanzausschuss direkt stellen.
May: Wie erklären Sie sich dieses Schweigen?
Bayaz: Ich nehme erst mal an, der Finanzminister ist viel beschäftigt in einer Coronakrise. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Er hat auch keine gute Figur gemacht. Als damals der Skandal an die Oberfläche kam, hat er sich erst einmal vor die Finanzaufsicht gestellt und dann schnell zurückgerudert und hat die Flucht nach vorne eingeschlagen, hat geäußert, dass es da natürlich Fehler gab und man müsse jetzt mal darüber nachdenken, wie man eine Reform anstößt. Aber er versucht, das Thema ein Stück weit von sich fern zu halten, und wir wollen natürlich darüber sprechen, was müssen wir jetzt tun, um die Finanzaufsicht, um auch die Wirtschaftsprüfung wieder so aufzustellen, dass die ihren Job machen kann, dass wir eine Finanzaufsicht wiederbekommen, die auch gefürchtet wird an den Märkten.
Ich finde, da spielt Olaf Scholz als der zuständige Minister eine Rolle. Er ist ja für die Bafin, die Finanzaufsicht, die offenbar ihren Job nicht gemacht hat oder nicht machen konnte, zuständig. Da spielt er eine maßgebliche Rolle und dieser Diskussion, der muss er sich auch mit uns Parlamentariern stellen.
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"Ein System kollektiver Unverantwortlichkeit"
May: Das ist der konstruktive Blick nach vorne, den Sie gerade anstreben. Das ehrt Sie. Aber ich möchte trotzdem noch mal zurückblicken. Ich habe es gerade schon gesagt: Es wurde bekannt, dass Olaf Scholz schon im Februar 2019, vor knapp eineinhalb Jahren, über die ersten Verdachtsmomente gegen Wirecard informiert worden ist. Welche Rolle spielt das für Sie? Was sagt das aus?
Bayaz: Das ist ein Puzzleteil und ein Mosaik-Stückchen in einem System, was ich ein System kollektiver Unverantwortlichkeit nennen würde. Denn wir haben ja verschiedene Akteure. Wir haben die Finanzaufsicht, wir haben die Wirtschaftsprüfer, wir haben die sogenannte DPR, die Bilanzpolizei, wir haben viele andere Akteure und wir haben natürlich auch den zuständigen Finanzminister. Die Hinweise gegen Wirecard, die stapeln sich ja in den letzten Jahren.
Wir haben gestern vom Finanzministerium eine lange Auflistung bekommen von Verdachtsmeldungen, wann auch das Finanzministerium Kontakt mit diesen Verdachtsmeldungen hatte, wann das Thema Wirecard in dem Haus ein Thema war, und genau da ist herausgekommen, dass auch Olaf Scholz schon im Februar 2019 über diesen Fall informiert wurde. Der Staatssekretär Kukies, der zuständig für das Thema ist, hat das auch bestätigt, dass Herr Scholz immer wieder über dieses Thema gebrieft werden wollte. Er hat ein Interesse gehabt, aber er ist nie aktiv geworden, und das ist natürlich schon auch eine Frage, die wir als Parlamentarier haben.
Da gilt es, das Versäumnis aufzuklären, denn die Frage ist, wenn es denn so viele rote Warnsignale gab bei dem Fall Wirecard und so viele ausländische Journalisten auch schon darübergeschrieben haben, aber die deutsche Regierung und die deutsche Finanzaufsicht nie aktiv geworden ist, dann haben wir da auch ein paar sehr ernste Fragen an den zuständigen Finanzminister. Besonders erschütternd in dem Kontext ist folgender Umstand: Es war eine Situation im Februar 2019, wo es Hinweise auf sogenannte Leerverkäufe gab. Es wurde gegen Wirecard spekuliert. Dafür gab es eindeutige Hinweise, auch aufgrund der Berichterstattung der "Financial Times".
Und was hat die BaFin gemacht? Sie ist den Hinweisen in dem Artikel der "Financial Times" nicht nachgegangen, sondern hat nur einseitig gegen den FT-Journalisten Anzeige erstattet. Man hat einen Journalisten angezeigt, der eigentlich im Endeffekt nichts anderes getan hat, als seinen Job zu machen. Auch darüber war das Finanzministerium, auch darüber war Olaf Scholz informiert. Man hätte mindestens auch die Verdachtsmomente in die andere Richtung gegen Wirecard zu dem Zeitpunkt schon viel ernster nehmen müssen, und das ist natürlich auch ein Versäumnis der Politik.
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May: Aber, Herr Bayaz, jetzt verteidigen sich die Bafin, die Finanzaufsicht, die Olaf Scholz, dem Finanzministerium unterstellt ist, und ihr Chef, Felix Hufeld, dahingehend, dass ihr Mandat eine komplette Prüfung des gesamten Konzerns gar nicht hergibt, sondern lediglich nur die Prüfung der * Wirecard-Bank, eines kleinen Teils des Konzerns, wo die Unregelmäßigkeiten ja gar nicht stattgefunden haben. Waren der Finanzaufsicht da möglicherweise am Ende doch die Hände gebunden?
Bayaz: Erst einmal: Die Bafin hat Kompetenzen, nicht nur die Wirecard-Bank, sondern auch mehr an sich zu reißen, wenn sie das wollte. Das ist eine Frage. Haben wir es hier nun mit einem Technologieunternehmen zu tun – das war die Einschätzung der Bafin -, oder haben wir es mit einer Finanzholding zu tun? Das ist die Lesart von vielen anderen, unter anderem auch von mir. Ich glaube, wenn man früher zu dem Entschluss gekommen wäre, dass es sich hier um eine Finanzholding handelt, mehr um eine Bank als nur um einen Technologiekonzern, hätte man auch mehr prüfen können.
Aber es gab schon auch ein anderes Instrument, eine sogenannte Sonderprüfung, die man anhand des Kreditwesensgesetzes hätte durchführen können. Das hat die Bafin sogar gemacht. Ich habe das gerade abgefragt. Viermal innerhalb der letzten zehn Jahre. Das ist statistisch besonders auffällig. Das heißt, die Bafin hatte die Wirecard-Bank auf dem Schirm. Heute ist zum Beispiel in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen aus einem KPMG-Report – ein Sondergutachten, was von Wirecard vor ein paar Monaten in Auftrag gegeben wurde -, dass auch aus der Bank heraus Kreditgeschäfte für die Konzernaktivitäten, auch die, wo es offenbar Betrügereien gab, in Asien finanziert wurden. Deswegen frage ich mich, wo hat die Bafin eigentlich geprüft, weil entweder hat man nicht richtig geprüft, oder man hat nicht an den richtigen Teilen geprüft, oder man hat geprüft und es gab Hinweise, man ist denen aber nicht näher nachgegangen, und genau diese Versäumnisse gilt es jetzt aufzuarbeiten.
Natürlich ist die Bafin auch von anderen Akteuren unter Druck. Die europäische Börsenaufsicht ESMA hat vorgestern ein Verfahren gegen die Bafin eingeleitet, weil sie offenbar sagt, sie hat ihren Job nicht richtig gemacht. Aber es mag sein, es mag sein, wie Sie sagen, dass der Bafin insgesamt auch ein Stück weit juristisch die Hände gebunden waren. Dann würde ich mir aber wünschen, und das habe ich weder von der Bafin, noch vom Finanzministerium bislang gehört, dass man viel früher gesagt hätte, lieber Gesetzgeber, lieber Deutscher Bundestag, wir würden gerne machen, bitte gebt uns auch das Instrumentarium, um das zu machen. Das ist aber nie erfolgt und deswegen halte ich die Verteidigungsstrategie da auch für nicht ganz glaubwürdig.
"Wir brauchen auch polizeiliche Ermittlungsverfahren"
May: Na gut! Dann ist aber spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen für eine Anpassung, sagen wir mal so, des Instrumentenkastens. Sie haben es schon gesagt: Es geht um Reformen. Welche Reform ist am dringendsten nötig nach allem, was wir bisher wissen?
Bayaz: Ich sehe vor allem zwei Punkte. Erst einmal die Finanzaufsicht, und deswegen geht es auch weiter um Aufklärung. Wir müssen verstehen, wo gab es Defizite, wo braucht die Bafin weitere und neue Instrumente. Wir haben eine Finanzaufsicht, die hat nicht den Ruf wie eine amerikanische Börsenaufsicht SEC. Die wird an den Märkten wirklich gefürchtet. Die hat in der Vergangenheit nicht jeden, aber einige, viele Skandale aufgedeckt. Bei der Bafin ist der Track Record der Finanzskandale, die aufgedeckt wurden, nicht sonderlich erfolgreich, und deswegen brauchen wir forensische, wir brauchen auch polizeiliche Ermittlungsverfahren. Wir brauchen aber auch die richtigen Leute und da geht es nicht nur um Juristen, sondern wir brauchen Leute, die kriminalistisch denken, die auch IT-Kompetenzen mitbringen, weil wir haben ja auch einen starken Grat an Digitalisierung am Finanzmarkt und wir merken auch, dass das sogenannte zweistufige Verfahren über die DPR, die Bilanzpolizei, so nicht funktioniert. Die Regierung hat ja auch schon den Vertrag gekündigt. Da gibt es jede Menge anzustoßen und natürlich auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer werden wir noch mal in den Blick nehmen. Deutschland hat sich damals sehr stark dagegen gewehrt und in Brüssel interveniert, als es um eine strenge Regulierung ging.
Jetzt haben wir noch mal die Chance, darüber zu sprechen: Macht es denn Sinn, nur alle zehn Jahre zu rotieren. Der Wirtschaftsprüfer EY war ja zehn Jahre mit den Büchern betraut. Brauchen wir nicht eine Trennung von Beratung und Prüfung? Und müssen wir nicht über die Haftungsgrenzen sprechen? Diese Themen werden uns weiterhin beschäftigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Anmerkung der Redaktion: Wir haben einen Versprecher des Moderators korrigiert.