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Finanztransaktionssteuer ist für die SPD eine Frage der sozialen Gerechtigkeit

Erst der Fiskalpakt, dann die Finanztransaktionssteuer. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, fürchtet aber, dass die FDP und Teile der Union die Kapitalverkehrssteuer doch nicht unterstützen werden.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Bettina Klein | 12.06.2012
    Bettina Klein: Das Treffen der Arbeitsgruppe von Koalition und Opposition im Kanzleramt zur Finanztransaktionssteuer und zum europäischen Fiskalpakt ist also am Abend ohne Einigung und ohne wirkliches Ergebnis zu Ende gegangen.

    Am Telefon begrüße ich Thomas Oppermann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Oppermann, weshalb ist, was am Donnerstag schon eine Einigung war, heute keine mehr?

    Oppermann: Ja offenbar haben einige den Ernst der Lage nicht erkannt. Wir hatten bereits klare Verhandlungsergebnisse über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in den europäischen Ländern, die dazu bereit sind, und dann wurde dieses Verhandlungsergebnis von Teilen der Koalition wieder infrage gestellt. Ich finde, so kann man eigentlich nicht verhandeln. Es gab ja noch weitere offene Punkte. Stattdessen werden die, die schon verhandelt sind, wieder in Abrede gestellt.

    Klein: Aber, Herr Oppermann, die Bundesregierung hat bisher keinen Satz zurückgenommen. Im Gegenteil: Wolfgang Schäuble hat auch bei uns im Interview gestern und auch am Wochenende gesagt, die Opposition kann sich völlig auf die Zusagen der Regierung verlassen, wir werden uns für eine solche Steuer auf europäischer Bühne einsetzen. Weshalb zweifeln Sie?

    Oppermann: Aber, Frau Klein, wenn kolportiert wird, dass der Kanzleramtsminister und die FDP sagen, wir können dieses Papier ruhig abschließen, das läuft am Ende sowieso leer, die Finanztransaktionssteuer wird es ohnehin nicht geben, dann ist das jedenfalls keine vertrauensbildende Maßnahme. Wir meinen das mit der Finanztransaktionssteuer ernst. Das ist eine elementare Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber gleichzeitig auch der ökonomischen Vernunft, denn es geht doch jetzt darum, Antworten auf eine drohende Rezession in Europa zu finden. Wir haben 17,4 Millionen Arbeitslose in Europa und es droht eine verlorene Generation von Jugendlichen, die keine Ausbildungsplätze haben, und da wollen wir keine schuldenfinanzierten Wachstumsprogramme auf den Weg bringen, um das Schuldenproblem noch zu vergrößern, da wollen wir uns um eine vernünftige, steuerpolitisch begründete Einnahme mit der Finanztransaktionssteuer bemühen, damit wir damit Wachstum und ein größeres, besseres ökonomisches Gleichgewicht in der Europäischen Union herstellen können.

    Klein: Herr Oppermann, Herr Pofalla hat angeblich in kleiner Runde gesagt, die Finanztransaktionssteuer würde so schnell sowieso nicht kommen, da hätte man gut der SPD entgegenkommen können. Das berichtet der "Spiegel", weitere Zeugen gibt es dafür offenbar nicht, geschweige denn irgendetwas von Ronald Pofalla im Originalton. Welchen Stellenwert hat das, was man im Nachhinein so oder so interpretieren kann?

    Oppermann: Jedenfalls bedeutet das für uns, dass wir das mit der Finanztransaktionssteuer jetzt etwas genauer als vorher noch vereinbaren wollen. Wir haben gestern der Bundesregierung in den Verhandlungen klar gemacht: Es muss nicht nur einen Kabinettsbeschluss gegeben mit einer unumkehrbaren Entscheidung für die Einführung einer Transaktionssteuer in den europäischen Ländern, die das mittragen wollen, sondern wir brauchen jetzt auch einen konkreten Zeitplan, den die Regierung vorlegen muss, wann sie auf europäischer Initiative konkret welche Initiativen ergreift, um auf der Basis des Entwurfes der Europäischen Kommission die Finanztransaktionssteuer in Europa voranzubringen.

    Klein: Aber dass das so schnell möglicherweise nicht gehen wird, Herr Oppermann, weil die Bundesregierung es nun mal nicht alleine zu entscheiden hat auf europäischer Ebene, dass sich da erst mal Staaten zusammenfinden müssen, um da gemeinsam voranzugehen, das war der SPD doch sicherlich nicht neu.

    Oppermann: Ja aber, Frau Klein, wie schnell sich Staaten zusammenfinden können, wenn der nötige politische Druck dahinter steht, das sehen Sie doch beim Fiskalpakt. Das hat doch nur einige Monate gedauert, bis man sich darüber verständigt hat. Wenn die Bundeskanzlerin einen größeren Sinn für soziale Gerechtigkeit hätte und auch für ökonomische Vernunft, dann hätten wir doch die Transaktionssteuer schon. Wenn sie sich genauso für diese Steuer eingesetzt hätte wie für den Fiskalpakt, dann wären wir schon erheblich weiter, und deshalb wollen wir jetzt sicherstellen, dass die ersten Schritte in Richtung Transaktionssteuer gegangen werden. Uns ist natürlich auch bewusst, dass das praktisch ein europäisches Gesetzgebungsverfahren ist – das ist die sogenannte verstärkte Zusammenarbeit, da ist die Kommission zu beteiligen, da ist das Europäische Parlament zu beteiligen, das kostet schon ein bisschen Zeit, das ist uns bewusst. Aber wir werden doch bei diesen Äußerungen ganz klar den Verdacht haben müssen, die FDP und Teile der Union suchen doch nur Schlupflöcher, um nach der Verabschiedung des Fiskalpaktes sich beim Thema Transaktionssteuer wieder vom Acker machen zu können und zu Business as usual überzugehen, und das werden wir nicht zulassen.

    Klein: Sie sagen, es braucht schon ein bisschen Zeit, und an der Frage, wie viel Zeit wirklich gebraucht wird, daran schieden sich ja in den vergangenen Tagen die Geister. Das heißt, Sie gehen anders als Bundesfinanzminister Schäuble davon aus, dass das noch in dieser Wahlperiode geschehen kann, und wenn es nicht geschieht, dann ist das Ihrer Meinung nach die Kanzlerin Schuld?

    Oppermann: In dieser Wahlperiode kann es überhaupt nur geschehen, wenn sich Deutschland und Frankreich massiv für diese Steuer einsetzen, mit den Ländern zusammen, die sie auch wollen. Es ist auch denkbar, dass es erst nach dem Ende der Wahlperiode – das wäre dann unsere Regierungszeit – fertig ist.

    Klein: Sagen Sie jetzt!

    Oppermann: Wir brauchen jedenfalls mehr politischen Druck für diese Steuer auf europäischer Ebene. Wir haben doch erlebt, dass drei Jahre lang das mehr oder weniger durch das Veto der FDP in der deutschen Bundesregierung blockiert ist. Für den Fiskalpakt haben sie verhandelt, für die Transaktionssteuer haben sie pflichtgemäß die Fahne hochgehalten, aber nicht wirklich den gleichen politischen Druck aufgebaut.

    Klein: Aber ich höre aus Ihren Worten doch schon so ein bisschen Verständnis jetzt dafür heraus, dass es eben durchaus sein kann, dass in den nächsten eineinhalb Jahren dieses Projekt in Europa nicht zu stemmen sein wird, denn wenn das so kommt, dann gibt es möglicherweise viele Verantwortliche, die auf der europäischen Bühne daran beteiligt sind?

    Oppermann: Natürlich! Beim Fiskalpakt sind bis zu 25 Länder beteiligt und der Fiskalpakt ist eine hoch komplizierte Regelung, eine internationale Vereinbarung, mit der praktisch so was Ähnliches wie die deutsche Schuldenbremse in den europäischen Ländern eingeführt wird. Wie kompliziert der Fiskalpakt ist, das sehen wir jetzt bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, wo es um die innerstaatliche Umsetzung geht, wo Schuldenbremse und die Fiskalpakt-Schuldenbremse und die deutsche Schuldenbremse miteinander in Einklang gebracht werden müssen, ohne die verfassungsrechtliche Haushaltsautonomie der Länder einzuschränken. Das sind sehr, sehr komplizierte Verhandlungen. Die haben wir natürlich auch bei der Transaktionssteuer. Diese Dinge sind nicht einfach, sie brauchen eine gewisse Zeit, aber vor allen Dingen brauchen sie mehr politischen Druck und mehr politische Unterstützung.

    Klein: Herr Oppermann, Sie haben jetzt noch mal Ihre Forderungen aufgestellt. In dem nächsten Eckpunktepapier, was ja offenbar in den nächsten Tagen formuliert werden soll, wollen Sie durchsetzen, dass dort noch mal ein Kabinettsbeschluss festgelegt wird in Sachen Finanztransaktionssteuer und ein Zeitplan. Wenn es dazu nicht kommt, lassen Sie dann die Zustimmung zum Fiskalpakt Ihrerseits daran scheitern?

    Oppermann: Also ich finde, es ist zunächst ein Fortschritt, dass die Bundesregierung sich jetzt bereit erklärt hat, für Mittwoch den Entwurf eines Eckpunktepapiers vorzulegen, auch mit einem konkreten Zeitplan für die anstehenden Schritte zur Einführung der Transaktionssteuer. Ob wir aber am Mittwoch schon mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu einer Einigung kommen, das kann ich noch nicht erkennen. Es gibt auch beim Thema Wachstum noch viel Verhandlungsbedarf. Wir wollen vor allen Dingen Maßnahmen gegen die enorm anwachsende Jugendarbeitslosigkeit in Europa ergreifen, das ist auch ein deutsches Problem, wenn Millionen Jugendliche in Europa keine Ausbildungsperspektive haben. Deshalb, glaube ich, wird noch einiges zu verhandeln sein, aber nach wie vor ist mit uns vor der Sommerpause eine Entscheidung möglich. Es hängt ausschließlich davon ab, ob wir uns bei den Themen soziale Gerechtigkeit und ökonomische Vernunft durchsetzen können. Der Fiskalpakt greift zu kurz. Wir brauchen die gerechte Transaktionssteuer, wir brauchen ein vernünftiges Wachstumsprogramm und wir brauchen eine Einigung zwischen Bund und Ländern, und wenn die drei Dinge erreicht werden, dann können wir auch am 28. Juni abschließen.

    Klein: Abschließend noch kurz, Herr Oppermann: In dem ersten Eckpunktepapier vom Donnerstag finden wir den Begriff "zeitnah". Der ist ja sehr dehnbar. Wenn Sie vom Zeitplan sprechen, das kann dann auch ein Jahr sein, drei Jahre. Da sind Sie verhandlungsoffen?

    Oppermann: Nein! Wir brauchen noch in diesem Sommer eine Grundsatzentscheidung auf europäischer Ebene in Richtung Transaktionssteuer. Das muss die Regierung verbindlich zusagen. Wir brauchen noch in diesem Jahr die Einleitung des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit, also wenn Sie so wollen eines europäischen Gesetzgebungsverfahrens, und da muss die Bundesregierung einen verbindlichen Zeitplan vorlegen und dieser Zeitplan muss auch vom Kabinett beschlossen werden, sodass hinterher niemand mehr sagen kann, so haben wir das eigentlich nicht gemeint und jetzt wollen wir uns lieber von diesen komplizierten Fragen wieder verabschieden.

    Klein: Thomas Oppermann, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Oppermann.

    Oppermann: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.