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Fingerknacken
Geräusche durch Gelenkflüssigkeit

Für die einen entspannend, für die anderen nervtötend. Das Geräusch des Fingerknackens kommt amerikanischen und französischen Forschern zufolge von kleinen Gasbläschen in der Gelenkflüssigkeit und entgegen vieler Behauptungen löst es kein Rheuma aus, sondern ist völlig ungefährlich.

Von Andrea Westhoff | 13.11.2018
    Ein Mann versucht, seine Fingergelenke knacken zu lassen (gestellte Szene).
    Durch das Auseinanderziehen der Fingergelenke entsteht ein Unterdruck der Gasbläschen in der Gelenkflüssigkeit und sie zerplatzen (dpa / picture alliance / Marijan Murat)
    Sie verschränken die Hände und drücken sie dann nach außen, oder ziehen an einzelnen Finger. Eine kleine Bewegung, ein kleines Geräusch, aber breite Wirkung: denen, die es machen, verschafft es ein angenehmes Gefühl: "Das mach ich eigentlich, um die Hände zu entspannen." Als würde das Fingerknacken irgendwelche Blockaden lösen. Für andere ist es ein Graus. Das hat mit der Evolution zu tun: Ein scharfes Geräusch wie das Knacken wird mit Gefahr assoziiert: Achtung - jemand schleicht sich an! Oder: Vorsicht - etwas zerbricht! "Ich denke ganz häufig daran, dass meine Mama früher immer zu mir gesagt hat: Mensch, das sollte man nicht machen, davon gehen die Gelenke kaputt". Heute ist Dr. Martin Lautenbach Orthopäde, Chef der Hand- und Fußchirurgie im Krankenhaus Waldfriede Berlin und versichert: "Wir wissen heute, dass das überhaupt gar nichts Schlimmes ist, dass das erst mal gar keine Schäden machen kann."

    Allerdings war sich die Wissenschaft darüber lange uneins: 1990 hieß es in einer Studie, dass jene, die jahrelang regelmäßig mit den Fingern knacken, häufiger geschwollene Hände hatten. Aber: Unter ihnen waren auch deutlich mehr Menschen, die schwere körperliche Arbeit verrichteten, mehr Alkohol tranken und mehr rauchten als in der Vergleichsgruppe. Die Schäden waren also nicht eindeutig dem Fingerknacken zuzuschreiben.
    Erste Ergebnisse liefert ein Selbstversuch
    1998 berichtete der amerikanische Mediziner Donald L. Unger in einen Brief an die Zeitschrift "Arthritis und Rheumatismus": Mutter, Tanten und sogar die Schwiegermutter hätten ihn seit der Kindheit gewarnt: Du bekommst Arthritis davon. Daraufhin habe er einen 50 Jahre währenden Selbstversuch unternommen und jeden Tag mehrfach mit den Gelenken seiner linken Hand geknackt. Die rechte Hand habe er in Ruhe gelassen. Das Ergebnis, dokumentiert mit einem Röntgenbild: Beide Hände sehen gleich aus. Humorvoll fügte der Amerikaner hinzu:
    "Diese Ergebnisse stellen doch stark in Frage, ob nicht auch andere elterliche Ratschläge, zum Beispiel zum Spinatessen, falsch sind."
    Ungers Selbstversuch wurde dann von mehreren wissenschaftlichen Studien bestätigt: Auch durch regelmäßiges Fingerknacken treten keine Verschleißerscheinungen der Gelenke auf, keine Arthrose und auch keine entzündlichen Prozesse, also rheumatoide Arthritis. Denn, so fügt Dr. Martin Lautenbach noch hinzu:
    "Rheuma ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des gesamten Körpers, also hat erstmal nichts mit dem zu tun, was man so an Bewegung ausführt, Rheuma und Arthrose kann nicht ausgelöst werden durch Fingerknacken.
    Dass das Fingerknacken nicht schädlich ist, liegt auch in der Natur der Sache. Denn inzwischen weiß man die Antwort auf die Frage, die Eckart von Hirschhausen in seinem "Quiz des Menschen" gestellt hat:
    "Das Geräusch beim Fingerknacken entsteht wodurch?"
    Das Knackgeräusch hat mit der Gelenkflüssigkeit zutun
    Auch hier war sich die Wissenschaft lange nicht einig, erzählt der Handchirurg Dr. Martin Lautenbach:
    "Es gab ganz viele Theorien: Das Gelenk springt raus, wir wissen heute, nein, so ist das nicht. Man hat gedacht, die Gelenkkapsel ist irgendwie verklebt, derjenige, der diese Fingerknackbewegung macht, dehnt die Kapsel, wissen wir heute: nein, das ist es auch nicht."
    Britische Forscher hatten schon 1947 die Idee, dass das Knacken etwas mit Gasbläschen in der sogenannten Synovia-Flüssigkeit im Gelenk-Spalt zu tun habe:
    "Diese Flüssigkeit besteht aus mehreren Anteilen, wir haben die Gelenkflüssigkeit, die besteht aus Eiweißen, die besteht auch aus echten Wasseranteilen und aus Kollagenfasern, das heißt, aus so kleinen Bindegewebsfasern. Und man weiß, dass auch kleine Luftbläschen sich um die Eiweiße bilden können."
    Die Gelenkflüssigkeit verhindert zum einen, dass Knochen aufeinander reiben, hält sie aber trotz Bewegung auch in der richtigen Position. Wird ein Gelenk jetzt überstreckt, auseinandergezogen, entsteht ab einem gewissen Punkt ein Unterdruck und eine Art Hohlraum:
    "Und man weiß, dass diese kleinen Bläschen mit aufgehen, und das macht wie so eine Art Luftballon-Plop."
    Unklar war aber immer noch, ob das Geräusch entsteht, wenn durch den Unterdruck in der Flüssigkeit die Gasbläschen erzeugt werden oder erst, wenn sie zerplatzen. 2018 schließlich haben amerikanische und französische Forscher eine mathematische Analyse der Vorgänge im Gelenk vorgenommen und festgestellt: beides ist richtig:
    "Durch das Auseinanderziehen der Gelenke entsteht zuerst ein Unterdruck der Gasbläschen, die in der Flüssigkeit eingeschlossen sind, wie beim Öffnen einer Sprudelflasche. Damit zerplatzen sie aber zugleich. In der Flüssigkeit selbst bleibt immer noch für das nächste Mal reichlich gelöstes Gas, winzigste Bläschen, die der Druck quasi nicht erreicht hat."
    Fazit: Mit den Fingern knacken ist ungefährlich
    Das absichtliche Fingerknacken ist also nicht schädlich, und wem es bei der Stressabfuhr hilft, der darf es getrost machen. Allerdings sollte man dabei nicht nur auf das Knacken achten, sondern auch auf andere Körpersignale:
    "Wenn dabei Schmerzen ausgelöst werden, dann sollte man auf jeden Fall gucken erstens, wo kommt das Problem her, und zweitens, man sollte gerade diese Bewegung nicht machen."
    Denn: Auch krankhafte Fingergelenke können knacken.
    "Und die Ursachen können dabei im Bereich der Sehnen liegen, dass die Sehnen zum Beispiel in ihren Kanälen nicht normal mehr gleiten können, sicherlich die häufigste Form, warum es zum Knackfinger oder Schnappfinger kommt, das kann auch wirklich laut hörbares Knacken auslösen, und man muss aber auch sagen, dass bei den fortgeschrittenen Knorpelverschleißerkrankungen, den Arthrosen, auch da Knackgeräusche entstehen können, gerade, wenn die Gelenke schon erheblich geschädigt sind, dann lohnt es sich wirklich, das ärztlich klären zu lassen."
    Hier kommt noch mal das Thema Rheuma ins Spiel: Fingerknacken löst zwar kein Rheuma aus, aber:
    "Menschen, die feststellen, dass zum Beispiel Gelenke anfangen zu schnappen, und Schmerzen und Schwellungen auf einmal auch auftreten, das kann sehr wohl ein ganz frühes Zeichen sein, dass eine Rheumaerkrankung sich entwickelt. Denn der erste Ort, wo Rheuma auftritt, das ist im Bereich der Fingergelenke, im Bereich der Handgelenke."
    Aber – wie gesagt: Beim bewusst herbeigeführten schmerzfreien Fingerknacken besteht keine Gefahr für die Gesundheit – es sei denn, man bringt die unfreiwilligen Zuhörer zur Raserei.