Dienstag, 19. März 2024

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Fischbestände
Ein Plan für den Schutz der Meere

Wenn es um Schutzräume für mehr Artenvielfalt geht, dann sind Konflikte vorprogrammiert. Doch eine Studie kommt jetzt zu dem Schluss: Selbst im Ozean, wo die Fischer um ihre Pfründe fürchten, wäre eine starke Ausweitung der Schutzgebiete möglich - wobei die Fangmengen sogar noch steigen könnten.

Von Volker Mrasek | 25.03.2021
Ein Schwarm Schwalbenschwänze (Chromis amboinensis) im Indischen Ozean, Malediven.
Vier Fünftel der Weltmeere liegen außerhalb nationaler Hoheitsgewässer. Weite Teile könnten unter Schutz gestellt werden. (imago / Imagbroker)
Nur sieben Prozent aller Meeresgebiete sind heute streng geschützt oder sollen es in Kürze sein. Nach der Studie in "Nature" hätte es einen dreifachen Nutzen, wenn dieser Anteil auf mindestens 30 Prozent stiege: Artenreiche Ökosysteme würden sich erholen, die Ozeane mehr Kohlenstoff speichern, und die Fischerei, die von Schutzzonen eigentlich nicht viel hält, könnte sich sogar über größere Fangmengen freuen.
"Ich denke, dass wir hier zum ersten Mal eigentlich einen wirklich starken Plan haben, wie wir den Meeresschutz global durchsetzen können."

Schutzgebiete an passender Stelle

So die Einschätzung von Boris Worm, Professor für Marine Naturschutzbiologie an der Dalhousie University in Kanada.
Der Plan von Worm und seinen Ko-Autoren sieht vor, Schutzzonen dort einzurichten, wo der Ozean stark überfischt und das marine Ökosystem gleichzeitig besonders artenreich ist, so dass sich beide regenerieren können – nutzbare Fischbestände und schützenswerte Meeresorganismen:
"Das ist für viele Leute vielleicht ein bisschen rückwärtsgedacht, dass durch Einschränkung der Fischerei die Fischerei letztendlich profitiert. Das sehe ich hier in Neuengland zum Beispiel, südlich von Kanada, wo ich wohne. Da wurde ein großes Fischereigebiet halb unter Schutz gestellt, als die Bestände am Zusammenbrechen waren. Und innerhalb der nächsten ein, zwei, drei Jahre fand eine so dramatische Erholung statt, dass das Gebiet heute eines profitabelsten Fischereigebiete in ganz Nordamerika ist. Meeresschutzgebiete können da ganz entscheidend beitragen, das zu beschleunigen."
In vielen flachen Schelfmeeren schleifen Fischerboote Schleppnetze über den Grund. Dabei zerpflügen sie nicht nur die Ökosysteme auf dem Meeresboden. Sie wirbeln auch Kohlenstoff auf, der in den Sedimenten steckt:

Schleppnetze kratzen die CO2-Speicher an

"Wir wollen natürlich, dass der Kohlenstoff da bleibt und nicht zurückgeführt wird in die Wassersäule oder sogar in die Atmosphäre."
Deshalb hat das Forschungsteam zum ersten Mal eine Weltkarte der Kohlenstoff-Vorräte in Ozeanböden erstellt:
"Und wenn man sich anguckt, wie viel Schleppnetzfischerei stattfindet zum Beispiel in der Nord- und Ostsee, aber auch weltweit, und das zusammenrechnet mit dem Kohlenstoffgehalt der Sedimente in diesen Regionen, dann findet man, dass zwischen einer halben und 1,5 Milliarden Tonnen pro Jahr an Kohlenstoff mobilisiert wird nur durch diese Art von Fischerei."
Das sei in etwa so viel Kohlenstoff, wie die gesamte Luftfahrtindustrie alljährlich in Form von CO2 ausstoße, sagt Trisha Atwood, Ökologin an der Staatsuniversität von Utah in den USA:
"Wir wissen bisher nicht, wie viel von dem aufgewirbelten Kohlenstoff am Ende als Kohlendioxid in die Atmosphäre geht und sie erwärmt. Darüber forschen wir im Moment. Nach unseren vorläufigen Daten landet ein großer Teil des Kohlenstoffs irgendwann in der Atmosphäre."

Drei Ziele mit einer Klappe

Wo ist der Weltozean arten- und wo kohlenstoffreich? Wo überschneiden sich diese Zonen mit Hotspots der Überfischung und der Nutzung von Grundschleppnetzen? Genau dort sollten neue Schutzgebiete eingerichtet werden, empfiehlt Meeresbiologe Worm. Die Fischerei sei sehr mobil und durchaus imstande, in andere Regionen auszuweichen:
"Sehr viele der wichtigsten Gebiete sind tatsächlich in Europa: in der Nordsee, im Adriatischen Meer, südlich von Irland, westlich von Frankreich. In Deutschland zum Beispiel vor Sylt und in der Deutschen Bucht. Und es heißt nicht, dass die ganze Nordsee dichtgemacht wird, das würde keiner fordern. Sondern eben nur strategische Gebiete, die besonders wichtig sind für die Erholung der Bestände, für Biodiversität und für Kohlenstoffsenken."
Worm und seine Kollegen verstehen ihre Arbeit als willkommene Argumentationshilfe für den nächsten Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen. Dort soll eine starke Ausweitung von Meeresschutzgebieten beschlossen werden. Jetzt wisse man besser, wo sie liegen sollten. Und wo sie von größtem gemeinsamen Nutzen wären für Klimaschutz, Fauna und Fischerei.