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Fische auf Psychodroge

Umwelt. - Antibabypillenhormone, Blutdrucksenker, Schmerzmittel und Psychopharmaka lassen sich heute in Spuren in Wasserproben aus Flüssen und Seen nachweisen. Die Konzentrationen sind gering, dennoch können manche bereits so erstaunliche wie bedenkliche Wirkungen entfalten, etwa wenn Fische unter dem Einfluss angstlösender Mittel plötzlich viel gefräßiger werden.

Von Lucian Haas | 15.02.2013
    Benzodiazepine werden weltweit zur Behandlung von Patienten mit Angststörungen eingesetzt. Es sind potente Wirkstoffe mit einem kleinen Haken: Sie sind chemisch erstaunlich stabil, werden vom Körper größtenteils intakt wieder ausgeschieden und auch in Kläranlagen nicht weiter abgebaut. In vielen Flüssen sind deshalb Spuren dieser Pharmaka zu finden. Und das könnte bisher ungeahnte Folgen haben – wie der schwedische Umweltchemiker Jerker Fick von der Universität Umeå berichtet.

    "Im Grunde zeigen Fische die gleichen Effekte wie Menschen, die diese Pharmaka schlucken. Ihre Angst wird geringer. Bei den Fischen äußert sich das in einer verstärkten Aktivität."

    Jerker Fick untersucht seit Jahren die Verbreitung von Pharmaka in der Umwelt. In vielen schwedischen Flüssen und Seen fand er dabei geringe Spuren von Benzodiazepinen und konnte diese auch im Muskelfleisch dort lebender Fische nachweisen. Könnte es sein, so fragte er sich, dass diese Psychodrogen auch bei Fischen Wirkung zeigen? Und ab welcher Konzentration im Wasser würden die Effekte wohl nachweisbar sein? Zusammen mit Ökologen machte er Verhaltensexperimente mit Flussbarschen im Labor. Sie mischten ein Benzodiazepin namens Oxazepam in drei unterschiedlichen Konzentrationen ins Wasser von Zuchtbecken. Die Mengen lagen bei null, einem und 1000 Mikrogramm pro Liter – wobei ein Mikrogramm pro Liter in etwa einer Benzodiazepin-Belastung entspricht, wie sie heute in manchen schwedischen Flüssen zu finden ist.

    "Eine der größten Überraschungen war, dass wir schon bei der niedrigen Konzentration einen deutlichen Effekt hatten. Normalerweise hat man nur so Ahnungen, irgendwas passiert bei niedrigen Dosen, doch richtig deutlich wird es erst bei höheren Werten. Ich habe noch nie zuvor gesehen, dass sich solche Auswirkungen schon bei geringen Belastungen auf Umweltniveau zeigen."

    Unter dem Einfluss von Oxazepam schwammen die Fische mehr herum und wagten sich schneller in unbekannte Gebiete vor. Am deutlichsten, gerade auch bei niedrigen Wirkstoffkonzentrationen, zeigte sich aber: Die Flussbarsche wurden gefräßiger. Sie verzehrten eine definierte Futtermenge in viel kürzerer Zeit.

    "So etwas könnte sich in unterschiedlicher Weise auf die Ökologie der Flüsse auswirken. Nehmen wir nur einmal die erhöhte Futteraufnahme. Flussbarsche fressen hauptsächlich Zooplankton. Wenn sie davon nun mehr vertilgen, gibt es weniger Tierchen, die die Algen fressen. Das könnte zu einer Algenblüte führen."

    Ob solche Effekte schon in der freien Wildbahn auftreten, ist schwer nachzuweisen. Zumal die Forscher selbst erst einmal umdenken müssen. Bisher betrachteten Jerker Fick und seine Kollegen die Umweltwirkungen von Pharmaka aus der Warte von Toxikologen: also mit der Frage, ob ein Stoff einem Organismus direkt schadet. Doch dieser Fall verlangt neue Sichtweisen.

    "Das hier ist etwas anderes als Ökotoxikologie. Schließlich könnten die dem Oxazepam ausgesetzten Fische sogar profitieren, weil sie sich besser ernähren. Dennoch sind die Auswirkungen bedenklich. Die Kontaminationsfolgen verändern die Ökologie."

    Bleibt die Frage, wie wir Menschen auf diese Erkenntnisse reagieren sollten. Jerker Fick hält es derzeit nicht für angemessen, gleich den Einsatz von Benzodiazepinen in der Therapie infrage zu stellen.

    "Ich denke wir sollten darüber nachdenken, was wir in den Kläranlagen besser machen können. Wie können wir die Belastung der Umwelt mit Pharmaka reduzieren, indem wir die Prozesse der Wasseraufbereitung anpassen."

    Dieser Gedanke ist nicht neu. Schon seit einigen Jahren fordern Umweltexperten, Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe auszustatten, die zum Beispiel mit Aktivkohle Pharmakarückstände aus dem Wasser ausfiltern kann, um sie anschließend zu verbrennen. Es gibt erste Pilotprojekte, doch viele Klärwerksbetreiber scheuen noch vor den hohen Kosten zurück.