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Fischer bekennt sich zu weltoffener Demokratie

Bettina Klein: Bundesaußenminister Joschka Fischer hat in diesen Tagen wenig Zeit zum Ausruhen. Nach seiner Reise nach New York, Guatemala und Brasilien in der vergangenen Woche, stehen heute der EU-Ministerrat in Brüssel und anschließend der ägyptische Badeort Scharm-el-Scheich auf dem Programm. Dort wird Fischer auf der internationalen Irakkonferenz teilnehmen. Mein Kollege, Wolfgang Labuhn hatte Gelegenheit, mit ihm zu sprechen und fragte den Bundesaußenminister nach seinen Erwartungen.

Moderation: Wolfgang Labuhn |
    Joschka Fischer: Es geht um die Stabilisierung dieser sehr schwierigen politischen und Sicherheitslage im Irak und daran haben wir alle - egal wie wir zu der Frage des Militäreinsatzes, des Krieges, gestanden haben - ein essentielles Interesse, hier mit den Nachbarn einen Konsens zu finden, der sich dann hoffentlich auch auf den innerirakischen Prozess übertragen lässt. Das ist die Hauptaufgabe. Das heißt also, dieses Interesse daran haben, dass der von den VN, von Lakhdar Brahimi eingeleitete Prozess, dass der tatsächlich auch erfolgreich wird.

    Wolfgang Labuhn: Sie haben in Brasilien einen neuen strategischen Konsens zwischen Europa und Amerika gefordert, der offensichtlich zurzeit nicht existiert. Wer muss den ersten Schritt tun?

    Fischer: Das ist keine Frage des ersten Schrittes. Das klingt bei Ihnen so konfrontativ, als wenn da was in die Brüche gegangen wäre, ist es nicht. Wir erkennen doch jetzt mehr und mehr, dass sich die Weltlage grundsätzlich ändert in den tiefen Schichten des Internationalen Systems, der traditionellen Bündnisse. Dass sich das wirklich ändert, dass wir jetzt erst so langsam erkennen, was das Ende des Kalten Krieges, der Fall der Mauer an Konsequenzen tatsächlich bedeutet. Auf diese neuen Herausforderungen, Gefahren, Risiken, aber auch Chancen sich einzustellen, ist alles andere als einfach. Insofern ist die Arbeit am Konsens etwas Zukunftgewandtes, weil ich der festen Überzeugung bin, wir werden in diesen neuen Herausforderungen nur erfolgreich bestehen, wenn Europäer und Amerikaner hier zu einer gemeinsamen strategischen Sicht der Dinge und dann zum gemeinsamen Handeln kommen.

    Labuhn: Eine der Herausforderungen bei diesem Thema ist eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Sehen Sie jetzt nach dem Tod Yassir Arafats und dem Wechsel im State Departement in Washington neue Chancen?

    Fischer: Selbstverständlich hofft jeder darauf, dass es einen neuen Anlauf gibt, der erfolgreich sein kann. Aber wir müssen realistisch sein, gleichzeitig werden natürlich auch die Widerstände sehr groß sein. Welche Konsequenz der Tod von Präsident Arafat und welche Konsequenzen jetzt die Neuformierung der amerikanischen Regierung haben wird, das allerdings ist rein spekulativ. In der Sache selbst wird es darum gehen, dass wir in die Roadmap reinkommen und dass wir diesen Friedensprozess wieder zum Laufen bekommen. Das setzt voraus, dass die USA, Europa, das ganze Quartett sich hier ernsthaft engagieren. Die dann anfallenden Probleme werden alles andere als einfach zu lösen sein, aber sie sind lösbar.

    Labuhn: Welche Bedingungen müssen dafür auf palästinensischer und auf israelischer Seite erfüllt sein?


    Fischer: Auf beiden Seiten haben wir einen Kollaps des Vertrauens, und das ist der entscheidende Punkt. Dieses Vertrauen wieder herzustellen, wird eine der Hauptaufgaben sein. Entscheidend wird sein, dass die palästinensische Seite an ihrer Staatsfähigkeit arbeitet, weil es macht ja keinen Sinn, über eine Staatsgründung zu sprechen, wo dann am Ende ein Failed State von Beginn an steht, also ein kollabierter Staat von der Gründung an, und nicht ein handlungsfähiger, demokratischer Staat, der die Voraussetzung für einen solchen historischen Kompromiss, der "Frieden mit Israel" heißt, bedeutet. Auf der anderen Seite, es muss ein lebensfähiger Staat sein, das heißt, er kann nicht reduziert werden auf kleine Gebietsteile oder Ähnliches. Das denke ich, ist ebenfalls ein ganz, ganz wichtiger Gesichtspunkt. Beide Seiten wissen im Grunde genommen nur zu genau, worum es geht. Es ist alles bis in die Details hundert Mal durch verhandelt oder vielleicht noch öfter. Insofern, es ist eine Frage des Vertrauens und des politischen Willens, die Details, die sind alle in den Schubladen.

    Labuhn: Gestatten Sie mir eine persönliche Frage: Sie sind nach New York gereist, um eine Laudatio für Fritz Stern zu halten, Sie sind in São Paulo mit der jüdischen Gemeinde zusammengetroffen. Ist dieses Interesse an den jüdischen Emigranten, die Deutschland wegen der Nazis verlassen mussten, auch eine Antriebsfeder für Ihr Interesse an einer dringenden Friedenslösung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern?

    Fischer: Das wir besondere Beziehungen zu Israel haben aufgrund der historischen, moralischen Verantwortung für den Holocaust, das gilt nicht nur für diese Bundesregierung, das galt für alle Vorgängerregierungen und das wird auch so bleiben. Nein, das ist Teil unserer Geschichte. Es waren dort Menschen, alle in den Achtzigern, die in Berlin geboren sind, in Breslau geboren sind, in Dresden geboren sind. Es waren Deutsche, die als Teenager mit ihren Eltern fliehen mussten, das nackte Leben gerettet haben. Es sind Deutsche, sie sind Teil von uns. Die Erinnerung daran wach zu halten, ist Teil eigentlich auch unserer eigenen Identität. Wir werden das nicht wieder gut machen können, was wir uns selbst angetan haben. Aber den Kontakt gerade zu dieser Generation aufrechtzuerhalten, ihnen auch den notwendigen Respekt zu erweisen - sie sind oft die besten Freunde Deutschlands heute, des demokratischen Deutschlands -, und ich empfinde das nicht als eine Pflicht sondern eher als eine Selbstverständlichkeit, den Kontakt zu dieser Generation aufrechtzuerhalten. Denn wenn sie eines Tages gegangen sein wird, und da bleiben nicht mehr viele Jahre, aufgrund des hohen Alters, dann ist dieses Stück Deutschland vermutlich für immer verloren, und das war eines der besten Teile der deutschen Kultur.

    Labuhn: Der Antisemitismus hat leider nie aufgehört in Deutschland und in Europa. Jetzt kommt eine neue Qualität hinzu, die Vorgänge in Holland haben gezeigt, dass der Rassismus dort in eine entgegengesetzte Richtung umschlägt. Befürchten Sie, dass das ein Wiederaufflackern des Rassismus in ganz Europa sein könnte?

    Fischer: Das Dümmste, was wir machen könnten, ist, die Mehrzahl der Muslime, die ein Leben führen wollen wie wir auch, sozusagen in die Ecke der Radikalen zu tun. Das ist das Dümmste, was man machen kann. Das Klügste, was man machen kann, ist, indem man sich einerseits gegenüber all denen öffnet, die muslimischen Glaubens sind und ansonsten die Werte teilen, die wir auch haben, die mit dem Radikalismus oder gar mit Terrorismus überhaupt nichts am Hut haben. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass viele muslimische Gesellschaften mit zu den Hauptopfern dieses Terrorismus gehörten und dass wir diesen Jihad-Terroristen und all jenen, die Hass predigen, nicht den Gefallen tun, von unserer Seite diesen Hass zu entwickeln, sondern auf die Stärke einer weltoffenen, liberalen Demokratie setzen, die alles andere als eine harmlose Veranstaltung ist.

    An dem Punkt bin ich dann allerdings für Härte des Gesetzes. Es gilt das Grundgesetz. Wer bei uns lebt, egal welcher Religionsgemeinschaft er angehört, welchen Glauben er hat oder nicht hat, für uns alle gilt das Grundgesetz, die Basis des Zusammenlebens und die Aufgabe, sowohl des Staates wie der Politik und der Gesellschaft ist es, diese Grundregeln zu achten und dort, wo sie mutwillig und bösartig in Frage gestellt werden, dann mit aller Härte des Gesetzes einzuschreiten. Das gilt gegenüber jemand, der meint, er müsse jemand tätlich angreifen oder ermorden, genauso wie jemand, der meint, er habe jetzt eine gute Gelegenheit, rechtsradikales Gedankengut nachts durch das Anzünden einer Moschee oder Schlimmeres zu erreichen. Da ist wirklich die Härte des Gesetzes, aber auch die Klarheit der Grundsätze gefragt. Auf dieser Grundlage und ohne sich da instrumentalisieren zu lassen, in dieser Situation stehen wir. Wenn wir das beherzigen, wenn wir zu den Grundsätzen der liberalen Demokratie stehen, die niemals wehrlos war, und gleichzeitig ein weltoffenes Land bleiben, dann ist das die beste Antwort auf jede Form von religiösen Fanatismus, auf jede Form!

    Klein: So weit Bundesaußenminister Fischer. Mein Kollege Wolfgang Labuhn hatte Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.