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Fischmehl & Dioxin

Die Beschlüsse zur Bekämpfung der Rinderkrankheit BSE, die die Agrarminister der Europäischen Union beschlossen haben, sehen vor, dass Fischmehl weiter als Tierfutter eingesetzt werden darf für Schweine, Geflügel und für Fische. Die Regelung in Deutschland weicht zur Zeit etwas ab. Hier darf Fischmehl derzeit nur noch an Fische verfüttert werden. Die Beschlüsse, ob auf deutscher oder europäischer Ebene könnten sich als Fehler erweisen. Denn Fischmehl und auch Fischöl bergen gesundheitliche Risiken für den Verbraucher. Im Kieler Landtag hatte gestern abend Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsministerin Ingrid Franzen in einer kurzen Kritik bereits darauf hingewiesen. Sie bedauerte, dass die Europäische Union Fischmehl nicht aus der Futterkette ausschließen wolle. Denn Fischmehl sei oft durch andere Stoffe, zum Teil sogar durch Dioxine belastet, so Ingrid Franzen. Und diese Belastung ist - nach Recherchen des Deutschlandfunks - erheblich. Eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Ausschusses für Tierernährung der EU-Kommission belegt: Fischmehl und Fischöl sind die höchstbelasteten Futterzusätze.

Von Volker Mrasek | 06.12.2000
    In Sachen BSE gilt Fischmehl zwar als unbedenklich. Insofern könnte das eiweißreiche Material eigentlich weiter sorglos an Schweine und Geflügel verfüttert werden. Doch Fischmehl - und auch Fischöl - bergen andere, gesundheitliche Risiken - für Nutztiere wie auch für den Verbraucher. Das ergibt sich aus einem neuen Sachstandsbericht der EU-Kommission. Er stammt vom Wissenschaftlichen Ausschuss für Tierernährung. In dem Papier geht das Expertengremium der Frage nach, inwieweit hochgiftige Dioxine durch Tier-Futtermittel in die Nahrungskette gelangen. Das ganze Spektrum einzelner Futterzusätze wurde durchleuchtet: Fleischmehle, tierische Öle und Fette, Milchersatzstoffe und Grünfutter, sogar Bindemittel, Vitamin-Vormischungen und andere Nährstoff-Zusätze.

    Das Fazit des Brüsseler Fachausschusses nach Auswertung der vorliegenden Daten:

    "Fischmehl und Fischöl sind die höchstbelasteten Futter-Zusätze. Sie können maßgeblich zur Dioxin-Kontamination von Tierfutter beitragen, selbst wenn ihr Anteil an der Futtermischung gering ist."

    Dioxine und die engverwandten Furane gelten als äußerst giftig. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, daß Verbraucher höchstens ein bis vier Billionstel Gramm davon mit der Nahrung zu sich nehmen sollten - pro Tag und Kilogramm Körpergewicht. Das sind verschwindend geringe - und dennoch kritische - Mengen.

    Gemessen daran enthalten Fischmehl und Fischöl aus europäischen Beständen äußerst viel Dioxin: nicht Billionstel Gramm, sondern bis über 20 Milliardstel Gramm pro Kilogramm Trockengewicht. Das ist um einige Zehnerpotenzen höher. Problematisch daran ist: Die Dioxine und Furane durchlaufen größtenteils die Nahrungskette. Schweine, Hühner und Fische nehmen sie mit dem Futter auf, der Verbraucher später mit tierischen Lebensmitteln - zum Beispiel im Schweineschnitzel, im Hühner-Ei oder im Aal-Filet. Der empfohlene Höchstwert für die Dioxin-Aufnahme wird so in einigen EU-Ländern überschritten, wie aus jüngeren Untersuchungen hervorgeht. Der Brüsseler Ausschuss für Tierernährung hält Gegenmaßnahmen deshalb für geboten:

    "Die größten Bedenken ergeben sich durch die Nutzung von Fischmehl und Fischöl aus europäischer Herstellung. Und zwar, wenn Farm-Fische damit ernährt werden, und wenn Fischmehl Futtermitteln für andere, fleischliefernde Tiere zugesetzt wird. Die Dioxin-Belastung von Futtermitteln durch Fischmehl und Fischöl aus Europa sollte nachdrücklich verringert werden."

    Das meiste Fischmehl wird auf der Südhalbkugel produziert, von Ländern wie Chile und Peru. Viel stärker belastet aber sind Mehle und Öle von Fischen aus europäischen Gewässern, etwa aus dem Nordatlantik oder der Nordsee. Nach dem EU-Expertenbericht enthalten sie im Schnitt 8mal mehr Dioxin als die entsprechenden Produkte aus dem Süd-Pazifik.

    Der Grund ist simpel: Die Chlor-Gifte entstammen vor allem Industrieschloten und Auspuffrohren auf der Nordhalbkugel; dort haben sie sich auch stärker in der Umwelt angereichert. Nordseefische nehmen folglich mehr Dioxine und Furane auf als ihre Artgenossen südlich des Äquators.

    Laut dem EU-Papier werden in Europa jedes Jahr 1,4 Millionen Tonnen Fischmehl verbraucht. Diese Zahl bezieht sich auf 1997. Als Eiweiß-Ergänzung landet das Mehl unter anderem in Mischfutter für Schweine und Geflügel. Hier zwar nur zu einem geringen Anteil - der Bericht spricht von maximal 5 Prozent -, aber: Fischmehl enthält oft so viel Dioxin, dass selbst das fertige Mischfutter noch beträchtlich belastet ist.

    Die größten Giftmengen müssen allerdings Speisefische aus der Aquakultur-Aufzucht schlucken, genauer gesagt: räuberisch lebende Arten. Dazu zählen die Experten der EU-Kommission in ihrem Report unter anderen Lachs, Forelle, Aal und Brassen. Ein typisches Mischfutter für Farm-Lachse besteht demnach zur Hälfte aus Fischmehl und zu einem weiteren Viertel aus Fischöl. Eine ganz spezielle Form von Gift-Recycling: Fische geben, wenn sie nach ihrem Ableben zu Mehl verarbeitet werden, ihre Dioxin-Belastung an nachfolgende Generationen weiter.