Donnerstag, 18. April 2024

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Flache Frachter
Neue Transportkonzepte für die Binnenschifffahrt

Theoretisch sind sie ein kostengünstiges und nachhaltiges Transportmittel - und dennoch sind Binnenschiffe derzeit nur wenig gefragt. Extremes Niedrigwasser wie im Jahr 2018 ist nur eines der vielen Probleme. Wie kann der Güterverkehr auf den Flüssen und Kanälen wieder attraktiv gemacht werden?

Moderation: Uli Blumenthal, mit Beiträgen von Volker Mrasek und Piotr Heller | 06.09.2020
Ein Binnenschiff befährt die wasserarme Fahrrinne, im Hintergrund leer geerntete Weinberge.
Das Dürrejahr 2018 brachte massive Umsatzeinbrüche für die Binnenschifffahrt und eine weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf Schiene und Straße (imago/Ralph Peters)
Nur zu zwei Dritteln oder zur Hälfte beladene Schiffe, die sich in schmalen Fahrrinnen zwischen freigelegten Steinwüsten bewegen: Ein Szenario, das möglicherweise aufgrund des Klimawandels in Zukunft häufiger auftreten wird. In der Welt der "Just-in-time"-Lieferketten und -Produktionsabläufe verlagert da manch ein Unternehmen seine Transporte auf Schiene und Straße. Aber die Binnenschifffahrt muss sich nicht nur um niedrigere Pegelstände Sorgen machen - so sieht es Jens Ley vom DST Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg.
"Es ist zum Beispiel auch das Thema Fachkräftemangel, dann das Thema Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern. Wir haben mit einem sogenannten Güterstruktureffekt umzugehen. Das heißt, das ist ein Weggang von den großen Massengütern hin zu kleineren Stückgütern und Spezialtransporten; das heißt, dass die Schiffe andere Größen innehaben sollten."
Jens Ley im Dlf-Studio
Unser Gesprächspartner: Schiffsentwicklungs-Experte Jens Ley (Uli Blumenthal/Dlf)
Kapital für moderne Technik nicht immer vorhanden
Ideen und technische Ansätze, die Binnenschifffahrt auch unter veränderten Bedingungen wettbewerbsfähig zu halten, gibt es eine ganze Menge. Mit der Finanzierung aber tun sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen nicht leicht, so Jens Ley: "Wenn Sie Ihr Schiff innovativ gestalten wollen und Technologien einsetzen wollen, müssen Sie ein gewisses Kapital aufwenden, und dies liegt nicht immer vor in der Fülle." Beim Thema Infrastruktur ist die auch die öffentliche Hand in der Pflicht: "Schiffe operieren nunmal in Wasser, und wir müssen sicherstellen, dass auch zukünftig die Wasserstraßen in Deutschland den Transport auf dem Wasserwege ermöglichen."
1,20m Wasser unter dem Kiel reichen aus
Beim DST, dem Duisburger Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportsysteme, arbeiten Ingenieure an einem innovativen Schiffs-Konzept auch für extremes Niedrigwasser - oder "Kleinwasser": Leichtbauweise sorgt für geringen Tiefgang und mehr Tonnage-Zuladekapazität. Und eine spezielle zuschaltbare Konstruktion an den Schiffschrauben stellt sicher, dass diese immer von Wasser umspült werden und nicht in die Luft ragen.
Eine Reportage von Volker Mrasek: Flache Frachter. Leichtbau- und Antriebskonzept in Zeiten von Niedrigwasser (05:10) .
Konkurrenz und Ideengeber zugleich: der moderne LKW
Assistenzsysteme und autonomes Fahren sind ein großes Thema bei der Konzeption von modernen Lastkraftwagen - und auch bei der Binnenschiffahrt gibt es ähnliche Motive: Personal entlasten oder einsparen. "Die Binnenschifffahrt kann sehr stark von Entwicklungen im LKW-Bereich profitieren, wenn es um das Thema Sensortechnik geht; Objekterkennung, Umwelterkennung zur Erfassung der eigenen Position. Es gibt also viele Entwicklungen aus dem Straßenverkehr, die derzeit übertragen werden auf die Binnenschifffahrt und dort erstmalig einsetzbar gemacht werden sollen." Auch was die Flexibilität angeht; das Hauptargument für den Gütertransport auf der Straße: Die Binnenschifffahrt hat hier grundsätzlich noch einiges Potential, das zeigen zwei Konzepte, die sich beide "Watertruck" nennen.
Selbst be- und entladendes Leichtbau-Binnenschiff "Watertruck" (Illustration)
Mit dem Portalkran auf dem Schiff können Güter an beliebigen Anlegestellen be- und entladen werden (VideoVision GmbH/ SMK Ingenieure GmbH/ SET Tangermünde mbH)
Kran an Bord und Barken-Schwarm: Zwei "Watertruck"-Forschungsprojekte
Ein "Leichtbau-Binnenschiff mit schiffseigenem Handlingsystem zur Be- und Entladung ohne Hafeninfrastruktur" - das ist das Konzept beim "Watertruck"-Forschungsprojekt verschiedener deutscher Unternehmen und Institute. Das Schiff hat einen Teleskop-Portalkran an Bord und kann praktisch an jedem Kai Container aufnehmen oder absetzen, dynamische Ballastwassertanks sorgen für die nötige Stabilität. Das niederländisch-belgische "Watertruck+"-Projekt verfolgt eine andere Idee: Kleine Lastbarken in Modulbauweise, mit oder ohne eigenem Antrieb werden je nach Bedarf gekoppelt oder wieder - etwa zum Be- oder Entladen - getrennt. Zum Konzept gehört auch der autonome Fahrbetrieb in kleinen Binnenkanälen.
Ein Beitrag von Piotr Heller: Schwimmender LKW - Watertruck soll den Gütertransport auf Flüssen attraktiv machen (05:28)
Bemannte Testfahrt der Watertruck-Barke in Snaaskerke, 18 November 2019. Die Barke soll ein Jahr lang unbemannt auf dem Ypres-IJzer-Kanal und dem Plassendale-Nieuwpoort-Kanal Schüttgut transportieren. 
Prototyp des holländisch-belgischen "Watertruck+"-Projekts bei einer Testfahrt (www.imago-images.de/David Stockman)
Innovative Konzepte und die Hürden der Umsetzung
Der Watertruck+ fährt zumindest schon im Testbetrieb, das deutsche Projekt ist trotz beeindruckender Technik bislang nicht umgesetzt - was sind die Hürden? "Es muss sich jemand finden, der das nötige Geld in die Hand nimmt, um diese Innovation umzusetzen und auch den Mehrwert dann wirklich erkennt", so sieht es Jens Ley.
Ob beim Binnenschiff mit eigenem Kran, ob beim Schiff mit Niedrigwasser-Fähigkeit, mit alternativem Antrieb oder autonomer Steuerung - der konstruktive Aufwand muss sich am Ende betriebswirtschaftlich rechnen. Und noch ein Aspekt komme hinzu, so Ley: "Wir müssen uns auch mit Zulassungsfragen auseinandersetzen." Wer haftet bei Unfällen im autonomen Betrieb, wie könnten Sicherheitsvorschriften für einen Wasserstoff-Antrieb aussehen? "Ich würde nicht sagen, dass es eine Frage ist: 'das Marketing ist schneller als die Technik', sondern die Technik ist manchmal schneller als die Zulassung oder das Regelwerk."