Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Flaggschiff französischer Kultur

Die Pariser waren geschockt, als sie Mitte der 70er Jahre mitten in ihrer Stadt einen riesigen modernen Bau aus Stahl und Glas entstehen sahen. Das Centre Pompidou, unter dessen Dach bildende Kunst, Musik, Design, Film und Literatur vereint werden sollten, erinnerte damals viele eher an eine Fabrikanlage als ein staatliches Kulturzentrum, so radikal und fremdartig war der Neubau der beiden Architekten Richard Rogers und Renzo Piano.

Von Björn Stüben | 31.01.2007
    "Die bildenden Künste, die Bücher, das Kino, das Theater, die Musik, die Produkte des Industriedesigns und bald auch die Fotografie werden zum ersten Mal auf der Welt an einem einzigen Ort vereint sein wie die Zellen eines gigantischen Gehirns. Die Transparenz der gläsernen Wände will die Neugierde auf die Ergebnisse der künstlerischen Schaffenskraft entfachen, die im Innern dieses Gebäudes ihren Ausdruck finden."

    Wortgewaltig eröffnet Valéry Giscard d'Estaing am Abend des 31. Januar 1977 das Kulturzentrum im Herzen von Paris. Es trägt den Namen seines knapp drei Jahre zuvor verstorbenen Vorgängers im Amt des Staatspräsidenten, Georges Pompidou. Kein Bau in der jüngeren französischen Geschichte hat für mehr Polemiken gesorgt als das gänzlich aus Stahl und Glas von Richard Rogers und Renzo Piano entworfene Centre Pompidou, das viele Pariser damals als Provokation empfanden.

    "Ich bin geschockt von diesem Haufen Alteisen. Schornsteine wie auf einem Ozeandampfer kleben auf der Rückseite, und vorne glaubt man, dass sich eine riesige Raupe die Fassade hochschiebt."

    Dass diese gewagte Architektur nicht jedem gefallen könnte, hatte schon Georges Pompidou geahnt. wie sich seine Frau Claude am Eröffnungstag erinnerte.

    "Nicht mein Mann hat diesen Entwurf ausgewählt, sondern eine internationale Jury. Ihm gefiel das Modell sehr gut, aber er sagte, 'das wird Aufschreie geben‘. Und tatsächlich ist dieser Bau eine absolute Neuheit. So etwas hat man noch nicht gesehen."

    Was viele Zeitgenossen als Fremdkörper im historischen Altstadtgefüge von Paris empfanden, war jedoch für Gilbert Paris, den ersten PR-Direktor des Centre Pompidou, ein Segen für die Innenstadtlandschaft.

    "Dieses Stadtviertel war total verfallen. Wo jetzt das Centre Pompidou entsteht, sind die Häuser bereits 1936 abgerissen worden, weil man hier damals in der Nähe der alten Markthallen die Ausbreitung von Seuchen befürchtete. Wir haben somit nichts Historisches zerstört, sondern wir tragen im Gegenteil dazu bei, dass sich Paris erneuert. Außerdem sollte man bedenken, dass es immerhin eine internationale Jury mit Stararchitekten wie Johnson oder Niemeyer war, die das Projekt aus 681 Entwürfen ausgewählt hat."

    Das Publikum hat die Herausforderung angenommen. Die öffentliche Bibliothek des Centre wirkt als Besuchermagnet. Die neben dem New Yorker Museum of modern art weltweit größte Sammlung moderner Kunst des 20. Jahrhunderts zieht in den extravaganten Bau des Centre Pompidou ein und macht mit interdisziplinären Ausstellungen von sich reden wie etwa 1978 mit der Schau "Paris-Berlin", die erstmals alle Facetten des Kulturschaffens in den beiden Staaten umfangreich ausleuchtete. 30 Jahre nach seiner Eröffnung platzt heute der Bau förmlich aus allen Nähten. Der Grundstein für einen ebenfalls architektonisch spektakulären Ableger des Centre Pompidou wurde daher gerade im ostfranzösischen Metz gelegt.

    Pompidous Idee von der Kulturfabrik war somit von Anfang an Erfolg beschert, der aber nicht spurlos am Bau des Centre Pompidou vorüberging. 1996 ist es Renzo Piano, der sein architektonisches Frühwerk auf Staatskosten selbst sanieren darf.

    "Das Gebäude ist jetzt 20 Jahre alt und musste 150 Millionen Besucher verkraften. Wir hätten sicher keinen Teppichboden im Innern verlegt, wenn klar gewesen wäre, dass man nicht nur mit 5000, sondern mit 25.000 Besuchern pro Tag rechnen musste. Ich finde es erfreulich, dass das Centre Pompidou diesem Andrang so gut stand gehalten hat."

    Rückblickend reiht der ehemalige Präsident des Centre Pompidou und spätere Kulturminister Jean-Jacques Aillagon dieses Flaggschiff der französischen Kulturpolitik in die Architekturgeschichte ein.

    "Dieses Gebäude wird weltweit als eine der wichtigsten Architekturen des 20. Jahrhunderts betrachtet. Dass es heute möglich ist, eine spektakuläre Konstruktion wie Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao zu errichten, hängt auch damit zusammen, dass 1977 in Paris das Centre Pompidou gebaut wurde."