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Fleisch der Götter

Die 6000-jährige Kulturgeschichte des Goldes ist ein spannendes und aufschlussreiches Kapitel der Menschheitsgeschichte. Anschaulich wird sie in Hans-Gert Bachmanns Monographie "Mythos Gold".

Von Martina Wehlte | 05.02.2007
    Unsere Zeit ist nicht sehr empfänglich für Mythen, und gar vom "Mythos Gold" zu sprechen, erscheint in Anbetracht von Billigschmuckläden und -versandhandel recht unzeitgemäß. Die Möglichkeiten der Massenfabrikation und der Legierungen, die mehr scheinen, als sie sind, haben den Markt für Goldschmuck demokratisiert. Zwar ist die Goldgewinnung auch heute noch mühsam, doch durch die seit 100 Jahren praktizierte Laugung goldhaltiger Erze mit verdünnten Cyanidlösungen ist sie wirtschaftlich rentabel. Ganz so rar ist das Edelmetall auch nicht mehr, denn es wird ja nicht verbraucht sondern gebraucht, weshalb Vorhandenes umgearbeitet werden kann und immer wieder Funde aus vergangenen Zeiten ans Tageslicht kommen. Und diese Zeiten waren nicht so prosaisch wie unser 21. Jahrhundert. Deshalb ist die 6000-jährige Kulturgeschichte des Goldes ein spannendes und aufschlussreiches Kapitel der Menschheitsgeschichte, zumal wenn sie derart fundiert geschrieben ist und in so faszinierenden Abbildungen anschaulich wird wie in Hans-Gert Bachmanns Monographie "Mythos Gold".

    Wieder einmal lässt der Hirmer-Verlag seine Leser in einer verschwenderischen Vielfalt von Preziosen aus aller Welt schwelgen: Die zumeist ganzseitig aus schwarzem Grund hervorstrahlenden goldenen Spangen, Ketten, Helme und Figuren, die Reliquienschreine, Herrscherinsignien, goldverkleideten Kuppeln und Gewölbe sind ein einziger Triumphzug dieses unveränderlichen Stoffes, der einst als das Fleisch der Götter galt. Erlitt der Steinzeitmensch bei Entdeckung des Goldes einen so genannten Metallschock, wie die Archäologen behaupten, so schwinden uns noch heute die Sinne beim Anblick der Goldmosaiken von San Marco oder der Miniaturwelt vom Hof des indischen Großmoguls, an der die Brüder Dinglinger von 1701 bis 1708 arbeiteten. Von jeher wurde Gold mit dem Ewigen, Göttlichen in Verbindung gebracht. Es war zunächst dem religiösen Bereich vorbehalten, in dem es auch den Herrschaftsanspruch der frühkolumbianischen Priesterkönige, der Pharaonen und Kaiser versinnbildlichte. Prominente Beispiele sind El Dorado, der bei religiösen Festen mit Gold bestäubte südamerikanische Herrscher; oder das 1922 entdeckte Grab Tutanchamuns, der in einem 110 Kilogramm schweren massivgoldenen Sarg bestattet war und an dessen über 5000 Grabbeigaben das hohe Niveau ägyptischer Goldschmiedekunst ablesbar ist. Schließlich Ludwig XIV., der Sonnenkönig, der mit seinem Schloss in Versailles, dem Spiegelsaal mit seinen vergoldeten Kandelabern, Stuckdecken und Holzverkleidungen neue Maßstäbe für die europäischen Herrscherhäuser setzte. Die Namen berühmter Juweliere des 19. und 20. Jahrhunderts wie Charles Tiffany, René Lalique oder Cartier klingen noch heute jeder Dame im Ohr, während die schweren Goldketten des Pimp Style von den Größen der Hip-Hop-Szene eher provokativ zur Schau gestellt werden.

    An sich ist Gold ein in der Natur weitverbreitetes Element, wenn auch nur in geringen Konzentrationen. Wer hätte schon gewusst, dass Meerwasser 0,02 Milligramm Gold pro Kubikmeter enthält? Gewonnen wird es allerdings aus primären Lagerstätten, das heißt aus festen goldhaltigen Gesteinen oder Erzen sowie aus sekundären Vorkommen, zu denen insbesondere die so genannten Seifen zählen, worunter man in Gewässern abgelagerte Sedimente zählt. Eine rein mechanische Trennung des Wertmetalls von dem begleitenden Gestein wurde schon in der Antike durch das Verfahren der Amalgamierung mit Quecksilber ersetzt. Und neben dem schon genannten großtechnischen Verfahren der Laugung gibt es noch die Gewinnung aus refraktären Erzen durch Röstung. Ungleich wie alle Schätze im Leben ist auch das Gold verteilt. Südafrika, die USA, Australien, China, Georgien, Peru und einige andere gehören zu den bedeutenden Förderländern. Und weil Gold ein sehr schweres Metall ist, etwa doppelt so schwer wie Blei , hat die bisher von Menschen geförderte und verarbeitete Goldmenge nur das Volumen eines Würfels von rund 18 bis 20 Metern Kantenlänge, nicht mehr als ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen. Wie viel Sklavenleid, wie viel Glauben und Aberglauben, Stolz und Verschwendungssucht, wie viel Gier und Hoffnung hat sich aber über die Jahrtausende mit dieser lächerlich kleinen Menge Goldes verbunden.


    Hans-Gert Bachmann: Mythos Gold. 6000 Jahre Kulturgeschichte. Mit einem Beitrag von Jörg Völlnagel
    280 Seiten mit 300 Farbabbildungen
    München (Hirmer), 2006.
    49,90 Euro