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Flexibler Arbeitsmarkt reduziert Arbeitslosigkeit

Spaniens Arbeitslosigkeit ist im letzten Quartal unter acht Prozent gesunken, in einigen Regionen wie Madrid oder Katalonien herrscht zumindest bei den Männern Vollbeschäftigung. Dabei war das Land in den 90er Jahren noch das mit den meisten Arbeitslosen in der gesamten Europäischen Union. Was hat dazu geführt? Die Zahl der Beschäftigten stieg vor allem um den Preis einer starken Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Über 30 Prozent der spanischen Arbeitnehmer haben inzwischen nur noch befristete Arbeitsverträge. Spanien ist damit das Land der EU mit den meisten befristet Beschäftigten. Das soll sich ändern, fordern Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber, sind sich aber uneins über die Lösung. Die Gewerkschaften befürchten eine erneute Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Hans-Günter Kellner berichtet aus Madrid:

Von Hans-Günter Kellner | 17.02.2006
    Zum Füttern seiner Katze Marisa hat Felipe de Miguel in seiner Wohnung in einem Vorort von Madrid an diesem Tag viel Zeit. Eigentlich sollte er arbeiten, wie immer bei einem privaten Fernsehsender, aber seine Zeitarbeitsfirma hat abgesagt. Arbeitnehmer in Spanien müssen heute vor allem eins sein: Enorm flexibel:

    " Ich war mit Freunden verabredet. Aber dann rief die Zeitarbeitsfirma an, und sagte, ich würde für einen Tag beschäftigt. Eine halbe Stunde später haben sie wieder abgesagt. Die geben mir Arbeitsverträge für einen Tag oder zwei Tage. Immer für den gleichen Sender. "

    Seit sechs Jahren sieht Felipes Arbeitsleben so aus. In guten Monaten kommt er auf 16 Arbeitstage und verdient dabei rund 900 Euro netto. Der Erfolg der Zeitarbeitsfirmen begann in Spanien vor rund zehn Jahren, als das Land den stringenten Arbeitsmarkt öffnete und befristete Beschäftigungsverhältnisse erleichterte. Seither ist die Arbeitslosenquote von über 20 auf unter neun Prozent gesunken.

    Irene Marcos arbeitet bei einem großen Möbelhaus. Seit sie 19 ist, steht die heute 28-jährige Mutter im Berufsleben, aber nie hatte sie einen unbefristeten Vertrag.

    " Zunächst bekam ich hier einen Vertrag für drei Monate. Dann beschäftigten sie mich für sechs und anschließend für neun Monate. Dann musste ich mir für kurze Zeit etwas anderes suchen. Nach kurzer Zeit stellten mich das Möbelhaus wieder für drei Monate ein. Mein neuer Vertrag läuft jetzt im August aus. Das ist die völlige Unsicherheit. "

    Die hohen Kosten, die bei einer Entlassung anfallen, sind für die Arbeitgeber ein Grund für die vielen befristeten Arbeitsverträge. Die vorgeschriebenen hohen Entschädigungszahlungen im Falle einer Kündigung würden dazu führen, dass die Unternehmen ihre Angestellten erst gar unbefristet einstellten, sagt Juan Iranzo vom Institut für Wirtschaftsstudien in Madrid:

    " Es gab schon 1997 eine Arbeitsmarktreform. Zum ersten mal begriffen die Gewerkschaften, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Kündigungsschutz und den vielen befristeten Arbeitsverträgen gibt. Arbeitgeber müssen nun bei einer Entlassung nicht mehr den Lohn von 45 Tagen pro Arbeitsjahr auszahlen, sondern nur noch den von 33 Arbeitstagen. Aber leider gilt das Gesetz nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen: Für Jugendliche, über 45-Jährige, Frauen usw. Die Unternehmen fordern dieses Gesetz auf alle Beschäftigten auszuweiten. Mit dieser Maßnahme würden wir den großen Anteil befristeter Arbeitsverträge reduzieren."

    Die spanische Regierung teilt diese Meinung, will aber keinen Konflikt mit den Gewerkschaften riskieren. Statt dessen sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Reform am runden Tisch aushandeln. Lola Liceras von der Gewerkschaft "Arbeiterkommissionen" ist trotzdem gegen eine erneute Liberalisierung und warnt davor, Spanien als Vorbild zu sehen:

    " Die Arbeitslosigkeit ist zwar gesunken, aber jetzt sind die Leute für immer kürzere Zeit beschäftigt, und auch häufiger für kurze Zeit arbeitslos. Statt weitere Flexibilisierungen fordern wir, den Missbrauch dieser befristeten Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen. Diese ganz kurzen auf konkrete Projekte begrenzten Verträge von weniger als einem Monat, die immer wieder verlängert werden, müssen eingeschränkt werden."

    Tontechniker Felipe müsste rechtlich längst fest angestellt sein, aber eine Klage hätte wohl vor allem zur Folge, das er gar nicht mehr beschäftigt würde. Das ist kein Einzelfall. Auf dem Arbeitsmarkt werden die Gesetze systematisch verletzt, sagt die Gewerkschaftssprecherin. Die Regeln müssten auch durchgesetzt werden, stimmt der Ökonom Iranzo in diesem Punkt zu. Felipe hat für seine theoretischen Reche nur ein bitteres Lächeln übrig. Und zur Lockerung der Arbeitnehmer-Rechte beim Kündigungsschutz meint er:

    " Natürlich würde ich auf Rechte verzichten. Denn im Augenblick habe ich ja überhaupt keine Rechte. Jede Veränderung meiner jetzigen Situation wäre eine Verbesserung. Ich bin derzeit drei Tage in der Woche beschäftigt und zwei Tage arbeitslos. Ich wäre sehr glücklich über eine feste Stelle, auch bei reduziertem Kündigungsschutz. Aber wer jetzt schon eine feste Stelle hat, wäre mit weniger Rechten wohl kaum zufrieden."