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Flexibler Wohnraum und Hochhausmodelle
Lösungen für die Wohnungsknappheit gesucht

Vor allem in den großen Städten wächst die Nachfrage nach Wohnungen. Die Zahl der Neubauten kann da nicht mithalten. Doch mit neuen und fortschrittlichen Wohnmodellen könnte man nicht nur neuen Wohnraum schaffen, sondern auch gesellschaftliche Anforderungen und Probleme lösen.

Von Alfried Schmitz | 17.05.2018
    Auf der Baustelle eines Wohnungsneubaus im Jahr 2014 in Berlin sind Rohbauten und Kräne zu sehen.
    Neue Wohnung werden überall gebaut, mit der Nachfrage kann der Baumboom aber nicht Schritt halten (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    "Das ist eine ganz erhebliche Aufgabe genügend Wohnraum zu schaffen, der bezahlbar ist für breite Schichten der Bevölkerung, wie es früher in den Wohnungsgesetzen hieß. Die Wohnungsfrage ist nicht mehr eine Frage von Randgruppen, sondern die ist mitten in der Gesellschaft angekommen." Dr. Gerd Kuhn, Institut Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart.
    Besonders betroffen von der Wohnungsknappheit sind Metropolen wie Hamburg, Berlin, München, Köln, Düsseldorf, Stuttgart oder Frankfurt am Main. Dort explodieren die Mietpreise regelrecht und die Suche nach bezahlbaren Wohnungen wird für die Betroffenen zur Tortur.
    "Das führt natürlich dazu, dass sich auf dem Wohnungsmarkt nicht nur die, die sich schwer in der Suche tun, weil sie wenig Einkommen haben, nicht behelfen können, sondern dass das inzwischen in die Mittelschichten reingeht. Und damit hat man natürlich auch sehr artikulationsstarke Personenkreise, die das anprangern."
    Ricarda Pätzold, Diplom-Ingenieurin für Stadt und Regionalplanung und in diesem Bereich wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Das DIFU ist eine Gemeinschaftseinrichtung vom Bund, vom Land Berlin und mehr als 100 deutschen Städten und Regionalverbänden.
    Wohnungsnot durch Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre
    Diese Träger haben besonders gegenwärtig größtes Interesse an unabhängigen wissenschaftlichen Analysen über den Wohnungsmarkt. Die Ergebnisse von Forschungsprojekten des DIFU werden regelmäßig auf Seminaren und Tagungen an interessierte Fachkreise weitergegeben und diskutiert.
    "Für die Überlegung, wie wir, wie Gesellschaft eigentlich in Zukunft wohnen möchte, bietet natürlich eine Phase, wo viel gebaut wird, viel gebaut werden muss immer auch eine Chance, weil wenn viele Leute sich um dieses Thema kümmern, und auch die Architekten viel stärker wieder über Wohnungsbau, über Grundrisse diskutieren, das ist die Chance. Und die Risiken sind natürlich, dass sobald man in so eine Baupanik gerät, nimmt man natürlich dann doch wieder die alten Rezepte hervor, weil die vermeintlich schneller gehen."
    Durch Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre ist gerade in den Großstädten bezahlbarer und sozial verträglicher Wohnraum denkbar knapp geworden. Der Grund: Entgegen anderslautender Prognosen ist Wohnen in der Stadt seit einigen Jahren wieder voll im Trend.
    "Das liegt daran, dass sich Familien- und Lebensmodelle geändert haben. Außerdem, das urbane Leben, die Städte sind ja viel attraktiver geworden. Die haben nichts mehr mit den 'Maschinenstädten' zu tun, sondern das sind ja auch schöne, grüne Lebensräume, wo es jede Menge Annehmlichkeiten gibt. Und an diesen Annehmlichkeiten wollen natürlich viele teilhaben, weil eine Stadt viele Vorteile hat."
    Großstädte sind attraktiver geworden
    Im Zuge der Aufwertung urbanen Wohnraums hatte man viele kleine und mittelständische Handwerks- und Industriebetriebe in die Industriezonen am Stadtrand verlagert. Die ehemaligen Industriebauten wurden zu schicken Lofts, Künstlerateliers, Anwaltskanzleien und Büros für Werbeagenturen, IT-Firmen, Startups oder Architekten umgewandelt. Es entstanden Arbeitsplätze für überwiegend junge Menschen. Man verbesserte den öffentlichen Personennahverkehr, baute Fahrradwege und innerstädtische Naherholungsoasen. Auch bildungspolitisch erfuhren die Großstädte eine Aufwertung. Neben den etablierten Universitäten wurden in den 90er-Jahren zahlreiche private Hochschulen gegründet. All das sorgte für einen regelrechten Run auf die Großstädte.
    Dr. Gerd Kuhn: "Wir nennen es eine Reurbanisierung, also eine Trendumkehr von der Suburbanisierung. Die größten Zuwanderungsgruppen sind die Bildungswanderer, also junge Menschen, die in die Städte ziehen, um eine bessere Schulbildung zu erreichen oder um Universitäten zu besuchen. Und es gibt auch eine ganz neue Gruppe, die so genannten Multi-Lokalen, das sind Menschen, die an einem Ort ihren Wohnsitz haben und an einem anderen Wohnort arbeiten, also zwei Wohnorte haben."
    Diese speziellen Zuwanderungsströme haben dazu geführt, dass die Anzahl der Singlehaushalte in vielen Großstädten überproportional steigt und mittlerweile einen Anteil von über 50 Prozent ausmacht. Außerdem führt die allgemein hohe Nachfrage nach Innenstadtwohnraum bei weit hinterherhinkendem Wohnungsangebot zu einem Anstieg der Mietpreise, wie sie sich einkommensschwache Familien oder Alleinerziehende mit Kindern nicht mehr leisten können.
    Ideen der sogenannten Clusterwohnung
    Eine Entwicklung, die Elke Pahl-Weber, Professorin am Institut für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin, mit großer Sorge betrachtet.
    "Das größte Risiko ist, dass wir Menschen, die dann irgendwann, wenn sie umziehen müssen, weil sie die Miete in den Wohnungen, in denen sie wohnen, nicht mehr bezahlen können, aus der Stadt verdrängen und damit Stadt der Ort wird, an dem wir nur noch bestimmte Einkommensgruppen finden."
    Daher wird von wissenschaftlicher Seite an Modellen gearbeitet, wie in den Städten bezahlbarer Wohnraum für alle Gesellschaftsschichten und für alle Bedürfnisse geschaffen werden könnte. Eine Idee, die zum Teil schon realisiert wird, sieht vor, Wohnkomplexe zu bauen, bei denen Räume flexibel und von verschiedenen Mietern genutzt werden können. Die sogenannten Clusterwohnungen.
    "Wo unterschiedliche Wohnformen so zusammengefügt werden, dass man einen Spielraum an Gemeinschaftsräumen hat den man zeitweise auch mal für etwas anderes nutzen kann."
    "Wie kann man Wohnungen erweitern, wie kann man sie zusammenschalten, dass man, wenn eine Familie anwächst, Räume zumieten kann. Also wir brauchen eine Vielzahl von variablen Räumen, die ergänzend zu dieser Grundversorgung dastehen würden. Optionsräume, also nicht jedes einzelne Appartement braucht ein Gästezimmer, sondern mehrere Appartements können zusammen ein Gästeappartement betreiben, wenn Kinder oder Freunde zu Besuch kommen." Beschreibt Gerd Kuhn von der Universität Stuttgart die flexible Wohnform, die übrigens auch schon vor rund einhundert Jahren angedacht und zum Teil auch in die Tat umgesetzt worden war.
    Balance zwischen Größe und Bezahlbarkeit
    "Es gab in den Zwanzigerjahren eine Reichs- und Forschungsgesellschaft für Rationalisierung im Bau- und Wohnungswesen. Und diese Gesellschaft, an der alle wichtigen Architekten der Moderne beteiligt waren, die fragte danach, wie groß muss mindestens eine Wohnung sein, damit man gut leben kann. Das waren meist sozialhygienische Gründe, sie fragte aber genauso, wie klein muss sie mindestens sein, damit sie bezahlbar ist. Also es muss immer eine Balance hergestellt werden zwischen Größe und Bezahlbarkeit. Und das war eine Debatte, die die ganze Moderne begleitet hat und aus diesem Fundus können wir sehr viel lernen."
    Dass man aus der Vergangenheit lernen kann, um das Wohnproblem der Gegenwart sozialverträglich zu lösen, glaubt auch Elke Pahl-Weber. Ihrer Meinung nach könne auch das von vielen totgesagte Hochhaus dazu beitragen. Nur müsse man aus den Fehlern lernen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren bei dieser Bauform gemacht wurden.
    Elke Pahl-Weber: "Ich denke, wir können das Hochhaus nicht nur unter quantitativen Aspekten diskutieren. Also viele Menschen auf einem Platz, möglichst wenig Grundstücksfläche pro Kopf, dann wird es auch nicht so teuer, sondern wir müssen es auch unter qualitativen Aspekten diskutieren."
    Es muss Orte der Begegnung geben
    Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie ein Hochhaus auf die gegenwärtige urbane Gesellschaft zugeschnitten sein muss, um den neuen Wünschen und Anforderungen von Privatleben und Arbeitswelt gerecht zu werden.
    "Es gibt schon einige Beispiele dafür, dass man geschossweise Nutzungen mischt. Was wir ja heute sehen ist, dass wir viel stärker die Arbeitsplätze mit den Wohnplätzen auch mischen können, indem man Co-Working-Spaces anbietet, wo jemand, der nur zeitweise in einem Unternehmen arbeitet, sondern auch andere Arbeitsplätze hat, arbeitet. Das lässt sich wunderbar mit Wohnungen kombinieren. Was wir auch sehen, ist, dass es Entwürfe gibt, bei denen die Hochhäuser sich energetisch selber versorgen durch entsprechende Solarfassadengestaltung, Dachgestaltung und auf dem Dach auch noch urbane Landwirtschaft betrieben wird und damit haben Sie ein völlig anderes Konzept von Hochhaus und die sehen einfach auch anders aus."
    Ob modernes Hochhaus oder konventioneller Wohnblock, ob Singlehaushalt oder Familie. Eines ist für die moderne Stadtplanung von größter Wichtigkeit, darin sind sich Soziologen und Architekten einig. Es muss Orte der Begegnung geben, wo man Zeiten der Entspannung, der Muße und der Freizeit findet und wo es zum gemeinschaftlichen Austausch zwischen den Bewohnern kommen kann.
    Gemeinschaft als Wohnkonzept der Zukunft
    "Was wir beobachten ist, wenn in so einer Nachbarschaft, Menschen die Möglichkeit sich auch im Freiraum zu treffen, sich auch dort zu erholen, das ist die Identifikation, also hier ist mein Zuhause, mit dem Quartier, oder mit dem Ort oder mit der Nachbarschaft sehr viel größer. Die Wohnung alleine macht es eben noch nicht. Die Wohnumgebung muss auch stimmen."
    Wenn man für die optimale soziale Durchmischung dieser Quartiere, Reviere oder Viertel sorgt, ausreichende und vielseitige Einkaufsmöglichkeiten schafft und auch auf die Bereitstellung von wohnungsnahen vielseitigen Arbeitsplätzen achtet, könnte das auch dazu beitragen, das Integrationsproblem zu lösen. Keine Ghettobildung, sondern Gemeinschaft ist für Gerd Kuhn von der Universität Stuttgart, das Wohnkonzept der Zukunft.
    Dr. Gerd Kuhn: "Ideale Stadt heißt für mich, eine Stadt für alle Menschen und dass keine Gruppen ausgeschlossen werden, also das keine Abschottung nach Einkommensgruppen, nach ethnischen Zugehörigkeiten, nach sozialem Status gibt, sondern dass die Stadt eine Vielfalt ermöglicht."