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Fliegen ohne CO2-Ausstoß
"Synthetische Kraftstoffe sind einziger Weg für die Langstrecke"

Klimaneutrales Fliegen ist nach Einschätzung des Klimaschutzexperten Jakob Graichen vom Öko-Institut nur mit Elektroflugzeugen und Strom aus erneuerbaren Energien möglich. Für die Langstrecke wären synthetische Kraftstoffe eine CO2-freie, allerdings nicht klimaneutrale Lösung, sagte er im Dlf.

Jakob Graichen im Gespräch mit Stefan Römermann | 21.08.2019
Eine Reihe von Flugzeugen am Himmel über dem Flughafen Heathrow in London
Der Flugverkehr hat nicht nur durch CO2-Emissionen negative Auswirkungen auf die Atmosphäre, sondern auch durch weitere chemische Prozesse (picture alliance/Nicolas Economou)
Stefan Römermann: Tag für Tag rund 336.000 Passagiere steigen in Deutschland in ein Flugzeug und fliegen mal auf eine große Urlaubsreise nach Asien, Amerika oder Australien, oder sie machen auch Geschäftsreisen, dann gerne mal von Köln nach Berlin oder von München nach Hamburg. Dass die vielen Flugreisen und natürlich auch die Frachtflüge nicht so richtig gut fürs Klima sind, das hat sich inzwischen herumgesprochen.
Die Nationale Luftfahrtkonferenz, die heute in Leipzig startet, soll deshalb nach Lösungen suchen, wie die Branche klimafreundlicher werden kann. Eine wichtige Rolle dabei sollen synthetische Kraftstoffe spielen. Darüber spreche ich jetzt mit Jakob Graichen vom Öko-Institut. Herr Graichen, vielleicht erklären Sie uns noch mal kurz, was sind denn eigentlich synthetische Kraftstoffe und wie werden die hergestellt?
Jakob Graichen: Synthetische Kraftstoffe sind alle Kraftstoffe, die sozusagen künstlich hergestellt werden, nicht aus Erdöl wie dieses klassische Kerosin, sondern man nimmt Kohlenstoffe, entweder zum Beispiel aus dem Biomasseanbau oder direkt aus der Luft gefangen, um dann in einer Raffinerie durch verschiedene Prozesse daraus einen Kraftstoff wieder herzustellen. Das heißt, die Quelle des Kohlenstoffs, der ja dann wieder zu CO2 verbrannt wird, kommt nicht aus der Erde, ist nicht fossil, sondern ist aus der Luft, und deshalb führt das nicht zu höheren CO2-Emissionen.
Ein Radfahrer zeichnet sich vor dem Braunkohlekraftwerk Boxberg ab, aufgenommen in Altliebel am 11.03.2019
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Römermann: Und wie realistisch ist es, dass wir tatsächlich den gesamten Luftverkehr auf solche synthetische Kraftstoffe umstellen können?
Synthetisches Kerosin doppelt so teuer wie fossiles
Graichen: Aktuell gibt es erste Pilotanlagen, sie sind aber noch ziemlich klein. Ich hab mal eine Überschlagsrechnung gemacht: Wenn man den gesamten deutschen Luftverkehr, also alle Flüge, die in Deutschland abheben, so versorgen wollen würde und das mit Erneuerbaren – denn man braucht relativ viel Strom, um diesen Kraftstoff herzustellen. Und dafür müsste man die gesamte Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland einsetzen, um so genug Kraftstoff für den deutschen Luftverkehr zu produzieren.
Römermann: Also alle Windkraftwerke, alle Solaranlagen, die jetzt schon existieren, müssten nur noch für den Flugverkehr arbeiten.
Graichen: Genau, und auch noch die Wasserkraftwerke, die alten, großen.
Römermann: Könnte man das denn eigentlich bezahlen? Wie teuer müsste denn dann der Luftverkehr sein, damit man sich einen Flug nach Berlin oder vielleicht auch nach Amerika, damit man das kostendeckend herstellen kann?
Graichen: Wie viel das jetzt in großer Skala, wenn man tatsächlich das breit einführen würde, kosten würde, ist nicht ganz klar bis jetzt. Es wird mindestens doppelt so teuer wie fossiles Kerosin, vielleicht auch drei- bis viermal so teuer, aktuell sind das die Zahlen. Das klingt jetzt erst mal viel, aber der Treibstoff hat je nach Fluggesellschaft einen Anteil von 20 bis 30 Prozent am Ticketpreis, das heißt, wenn der sich verdoppelt, dann steigt der Ticketpreis um 10 bis 15 Prozent.
Römermann: Wie steht es denn um den Wirkungsgrad beziehungsweise über die Herstellungskosten eben dieser synthetischen Kraftstoffe? Sie haben es eben schon angedeutet, das ist relativ aufwendig – geht da viel Energie dabei auch verloren?
Graichen: Ja, also man braucht ungefähr zwei Kilowattstunden Strom, um eine Kilowattstunde synthetischen Kraftstoff herzustellen, das heißt, die Hälfte geht dann erst mal verloren.
Römermann: Und dann geht natürlich beim Flug später dann auch noch mal wieder was verloren.
Graichen: Das ist völlig richtig. Synthetische Kraftstoffe stehen vor großen Herausforderungen. Gleichzeitig, wenn das Ziel ist, CO2-frei fliegen zu können, dann gibt es für die Mittel- und Kurzstrecke vielleicht Elektromobilität, Elektroflieger – da gibt es auch jetzt erste Modelle und Versuchsflugzeuge –, aber auf der Langstrecke reicht die Energiedichte der Batterien nicht, und da sind synthetische Kraftstoffe der einzige aktuell praktikabel scheinende Weg.
Synthetische Kraftstoffe machen Fliegen nicht klimaneutral
Römermann: Wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass wir tatsächlich Kerosin komplett durch solche synthetischen Kraftstoffe ersetzen könnten, wäre der Flugverkehr dann tatsächlich komplett klimaneutral? Ich habe gehört, dass nicht nur der CO2-Ausstoß beim Flugverkehr problematisch ist, sondern beispielsweise auch der Wasserdampf, die Kondensstreifen. Die würde es ja vermutlich trotzdem geben, oder?
Graichen: Genau. Die Auswirkung des Flugverkehrs auf die Atmosphäre ist neben den CO2-Emissionen auch der chemische Prozess in der oberen Atmosphäre, weil halt das Flugzeug auf 10.000 Meter fliegt, das heißt die Verbrennung da stattfindet. Dadurch tragen Flugzeuge zur Wolkenbildung bei, zu Zirruswolken, sie tragen bei zu Ozonauf- und -abbau und verschiedene Prozesse da oben, und deshalb ist der Effekt des Flugverkehrs drei- bis viermal so groß wie die reinen CO2-Emissionen. Wie das jetzt unter synthetischen Kraftstoffen sein wird, ist noch nicht so ganz klar. Vermutlich wird dieser Effekt geringer werden, weil es sauberere Kraftstoffe sind und deshalb besser verbrennen, zum Beispiel weniger Ruß dabei entsteht. Dadurch werden weniger Wolken gebildet, aber klimaneutral wird das Fliegen dadurch leider immer noch nicht.
Römermann: Also klimaneutrales Fliegen ist eigentlich gar nicht denkbar, oder gibt es da schon Möglichkeiten?
Graichen: Elektroflugzeuge ohne Verbrennung, ganz ohne, wären klimaneutral, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Das ist hoffentlich irgendwann auf der Mittelstrecke möglich, auf der Kurzstrecke wird das ziemlich sicher möglich sein. Aber für den Transatlantikflug ist das wahrscheinlich nicht realistisch.
Weniger fliegen ist das Beste fürs Klima
Römermann: Nur ganz kurz: Was bleibt uns denn dann noch übrig, müssen wir alle einfach weniger fliegen, oder können wir die restlichen Klimafolgen irgendwie kompensieren, indem Bäume gepflanzt werden oder so was?
Graichen: Weniger fliegen ist tatsächlich das Beste, was man fürs Klima tun kann.
Römermann: Nur nicht so richtig realistisch, scheint es, oder?
Graichen: Ja, und es gibt ja auch viele gute Gründe zu fliegen. Die Emissionen des Flugverkehrs steigen ja sehr stark an, und es gibt dafür viele Gründe – ob dienstlich, aber auch für den Urlaub. Es ist ja nicht so, dass wir nicht fliegen wollen. Das heißt, wenn wir tatsächlich das klimaneutral machen wollen, sind das eine, die synthetischen Kraftstoffe, aber für den Rest muss man dann tatsächlich gucken, wie man das offsetten kann. Auch jetzt Bäume pflanzen, das ist tendenziell nicht das richtige Projekt aus meiner Perspektive, weil man nicht weiß, was mit diesen Bäumen in 20 oder 30 Jahren passiert. Wenn die dann abgeholzt werden, ist dann wieder genau der gleiche Klimaeffekt, als ob ich nicht kompensiert hätte. Aber es gibt gute Anbieter, zum Beispiel Atmosfair, die da sehr gute Projekte haben, über die man kompensieren kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.