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Fliegender Flensburger

Technik. - Der Ölpreis steigt und steigt, was vor allem Großverbraucher wie Reedereien hart trifft. Weil der Sprit immer teurer wird, steigt der Wind als Antriebskraft wieder in der Gunst der Seefahrer, die dabei alte Konzepte neu beleben.

Von Frank Grotelüschen | 21.08.2006
    Sonntagnachmittag im Hafen von Flensburg. Buden, Karussells und Bühnen, auf denen Feierabendbands ihr Bestes geben. Deutschlands nördlichste Hafenstadt feiert die "Flensburg Nautics", ein maritimes Volksfest. Da tönt über die Lautsprecher die Stimme einer jungen Frau.

    "Ich taufe jetzt das Boot auf den Namen Uni-Kat Flensburg. Allzeit gute Fahrt!"

    Der Katamaran, der gerade getauft wurde, sieht ungewöhnlich aus: Statt Mast und Segel thront auf einem der Rümpfe ein schlanker, vier Meter hoher Zylinder. Manche erinnert er an eine überdimensionale Papierlampe von Ikea, andere an eine zu dünn geratene Litfasssäule. Es ist ein Rotorsegel. Erfunden wurde es vor mehr als 80 Jahren von Anton Flettner, einem genialen Konstrukteur.

    "Ab 1920 hat er ein Rotorschiff entwickelt. Es hatte zwei Rotoren. Und dieses Schiff ist auch bei widrigsten Wetterbedingungen gefahren worden, in der Nordsee erprobt worden und auch über den Atlantik gegangen."

    Sagt Lutz Fiesser, Physikprofessor an der Universität Flensburg. Durchgesetzt hat sich der Rotor damals nicht – in einer Zeit, als die Schiffsdiesel aufkamen und Erdöl noch spottbillig war. Das Patent geriet in Vergessenheit. Doch nun hat sich Fiesser einen Jugendtraum erfüllt und mit seinen Studenten ein Rotorboot nachgebaut – für nur 15.000 Euro, aber dennoch mit modernsten Materialien.

    "Der Rotor ist aus einer Polyesterfolie gebaut, die verstärkt worden ist durch Aluminiumreifen. Wir haben hochwertige Vorderräder von Fahrrädern genommen, weil dort korrosionsfeste Lager schon eingebaut sind und diese Räder sehr präzise gearbeitet sind."

    "Jetzt schließe ich die Luken, mache die Leinen los, den Elektro-Außenborder an, und dann legen wir ab."

    Physikstudent Ole Hillenbrand lädt ein zu einer Probefahrt. Im Hafen herrscht Flaute, er manövriert den Kat mit einem Elektro-Außenborder auf die Flensburger Förde hinaus.

    "Jetzt sind wir hier auf der Förde angekommen, genau in der Mitte. Ich mach jetzt den Elektro-Außenborder aus und den Rotor an."

    Leise fängt der Rotor an zu drehen. Ein kleiner Elektromotor, gespeist durch solarbetriebene Akkus, bringt ihn auf vier Umdrehungen pro Sekunde. Noch dümpelt der Kahn träge vor sich hin, doch dann kommt eine Brise auf.

    "Ah, jetzt geht’s schon ein bisschen besser. Jetzt haben wir gerade Wind. Es plätschert schon, und das Boot beschleunigt sofort."

    Immerhin: Wir machen sechs bis sieben Knoten Fahrt. Das Prinzip ist verblüffend: Bläst der Wind gegen den rotierenden Zylinder, wird er auf der einen Zylinderseite mitgerissen und fließt schneller. Auf der anderen Seite wird er abgebremst und fließt langsamer. Dadurch entsteht ein Sog wie bei einer Flugzeugtragfläche: Auf der einen Seite bildet sich ein Unterdruck, auf der anderen ein Überdruck. Als Folge verspürt der rotierende Zylinder einen kräftigen Schub. Soll das Boot langsamer fahren, lässt der Skipper die Säule einfach langsamer rotieren. Wechselt er die Drehrichtung, fährt das Boot sogar rückwärts.

    "Dieses Segeln ist sehr entspannt, da man im Prinzip vorwärts, rückwärts fährt. Und das ermöglicht ganz entspannte Wendemanöver. Man kann etwa sagen, dass es zehnmal effektiver ist. Das heißt ein Quadratmeter Rotorsegel hat etwa den Vortrieb von zehn Quadratmetern Tuchsegel."

    Zurück an Land. Lutz Fiesser kann sich vorstellen, dass der Flettner-Rotor bald eine Renaissance erlebt angesichts steigender Ölpreise. Denn:

    "Man hat ein Segelschiff mit optimal einfacher Bedienung. Es kann eine einzelne Person beliebige Segelflächen handhaben. Das ist sehr, sehr einfach. Wenn der Rotor steht, ist der Windwiderstand außerordentlich klein, sodass man auch bei Sturm keinerlei Angst haben muss."

    In zwei Jahren will der Windrad-Hersteller Enercon gemeinsam mit der Lindenau-Werft in Kiel ein ausgewachsenes Frachtschiff mit vier Flettner-Rotoren ausstatten – und damit den kletternden Rohölpreisen ein Schnäppchen schlagen.