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Fliegender Windkanal

Raumfahrt.- Dinge und Personen ins All schießen - das gelingt inzwischen vielen Nationen. Sie wieder heil zurück zu bringen, ist eine andere Sache. Um sogenannte Rückkehrsysteme zu verbessern, will ein Forscherteam bald eine Art fliegenden Windkanal nutzen.

Von Ralf Krauter | 22.12.2009
    Wer aus der Umlaufbahn zurück auf die Erde will, muss sich auf einiges gefasst machen. Denn der Wiedereintritt in die Atmosphäre ist ein heißer Ritt. Die Reibung der Luftmoleküle heizt die Außenhülle einer Raumkapsel auf Temperaturen von weit über 1000 Grad Celsius. Ohne ausgeklügelte Aerodynamik und hitzeresistente Hightech-Werkstoffe überlebt das kein Fluggerät. Das Problem ist nur: Solche Schlüsseltechnologien für den Wiedereintritt unter realistischen Bedingungen zu erproben, war bislang sündhaft teuer, erklärt Dr. Klaus Hannemann vom deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Göttingen.

    "Bei Raumfahrzeugen gibt es eben wenig Starts. Üblicherweise sind auch die Vorbereitungen für solch einen Flug extrem teuer. Man muss mehrere 100 Millionen Euro investieren, um so einen Prototypen zu fliegen. Und hier war die Idee, Flugexperimente zu bekommen, aber mit wesentlich geringeren Kosten."

    Aus der Idee wurde ein Projekt, dessen Rezept simpel klingt: Man nehme eine preiswerte Höhenforschungsrakete von der Stange, montiere eine spezielle Testplattform auf ihre Spitze, schieße diese in den Orbit und lasse sie dann kontrolliert wieder in die Atmosphäre eintreten.

    "Die Idee war dann, dass man auf solchen Raketen ein Experiment fliegt. Das heißt, wir haben praktisch einen fliegenden Windkanal, den wir dort generieren, um dann schrittweise Technologien im Flug zu erproben, die wir vorher in unseren Windkanälen und mit unseren numerischen Berechnungsverfahren ausgelegt haben - um so eben die Bestätigung durch einen Flug zu bekommen."

    Erstmals gelungen ist das den DLR-Forschern 2005. Beim Flugversuch Shefex-1 stieg eine mit Sensoren gespickte Nutzlast an der Spitze einer Rakete 210 Kilometer hoch – um dann mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit wieder in die Erdatmosphäre einzutauchen. Ihre Außenhülle erhitzte sich dabei auf 1600 Grad. Anders als bislang üblich, war die Spitze des zurückkehrenden Flugkörpers nicht abgerundet, sondern keilförmig. Sie bestand aus flachen keramischen Hitzeschutzkacheln, mit scharfen Ecken und Kanten an den Fugen. Daher auch der Name: Sharp Edge Flight Experiment, kurz Shefex, steht für scharfkantiger Flugversuch.

    "Das war eine der Ideen, Shefex 1 zu fliegen. Die bekannten Probleme, die ein Space-Shuttle hat, wenn eine Kachel kaputt geht – das kann zu größeren Unfällen führen. Da war die Motivation eben: Wie kann man das verbessern und einfacher machen? Ein Shuttle hat über 25 000 unterschiedlich geformte Kacheln. Die kann man nicht vorhalten, die kann man nicht als Reservekacheln mitfliegen. Durch die flachen Platten wäre es möglich, einfach eine flache Platte mitzunehmen und die auszuwechseln."

    Ein Vorteil, der sich auch am Boden bezahlt machen könnte, glaubt der Aerodynamik-Experte Klaus Hannemann: In Form geringerer Wartungskosten, wenn der Hitzeschild auf seinen nächsten Einsatz vorbereitet wird. Um weitere Details der neuartigen Rückkehrkapsel-Geometrie auszuloten, planen die DLR-Forscher im Herbst 2010 einen zweiten Flugversuch unter dem Projektnamen Shefex-2.

    "Die Rakete ist etwas größer dimensioniert. Shefex-1 war ungefähr Mach sechs, also sechsfache Schallgeschwindigkeit. Hier wollen wir in Richtung zehnfacher Schallgeschwindigkeit gehen. Das heißt, wir brauchen entsprechend größere Motoren, um das auf diese Geschwindigkeit zu beschleunigen, damit es beim Wiedereintritt dann eben auch Mach zehn erreicht."

    Anders als beim ersten Versuch soll die Wiedereintrittskapsel diesmal von der Rakete abgetrennt werden, sich über kleine Ruderfinnen selbst stabilisieren und einen aktiv gesteuerten Abfangkurs fliegen. Für europäische Raumfahrttechniker ist das alles technisches Neuland. Und sogar eine Weltpremiere ist geplant: Eine aktive Kühlung des Hitzeschildes, die den Wärmestau an den Ecken und Kanten der Kapselspitze mildern soll. Dabei strömt eine Flüssigkeit durch die Poren der Kacheln und kühlt neuralgische Punkte, wo sie verdunstet.

    Sollte die schwitzende keramische Außenhaut halten, was sie verspricht, könnten kantige Wiedereintrittskapseln ein Konzept mit Zukunft sein, das beispielsweise auch für die geplante Rückkehr-Variante des Esa-Frachtraumschiffs ATV in Frage käme, hofft DLR-Forscher Klaus Hannemann.