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Flop im Theater Oberhausen
Deutschland aus der Sicht eines iranischen Taxifahrers

Naser Ghiasi ist ein idealer Chronist der deutschen Gesellschaft, denn er ist Taxifahrer, Schriftsteller und Migrant. Der Regisseur Amír Rezá Koohestáni fand den Blog des Iraners mit seinen "Taxi-Geschichten" so überzeugend, dass er sie in Oberhausen auf die Bühne gebracht hat - was jedoch die Mühe nicht wirklich wert war, meint Michael Laages.

Von Michael Laages | 31.10.2015
    Ein Taxi-Schild auf einem Taxi in Berlin
    Die "Taxi-Geschichten" lesen sich womöglich gut – für die Präsenz auf einer Bühne sind sie aber durch den Mangel an dramatischer Vielfalt viel zu schwach, kritisiert Michael Laages. (picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Nein – zum herausragend guten Spielraum für ein Theaterstück taugt gerade ein Taxi nun wirklich nicht. Es bietet zum Beispiel nur zwei szenische Optionen: Fahrer und Fahrgast vorne oder eben Fahrgast hinten. Der Rest ist (meistens) Schweigen; es sei denn, ein halbwegs begabter Kommunikator sitzt vorne und lenkt. Aber auch das ist eher selten – denn die "Taxigeschichten", die Naser Ghiasi aufgezeichnet oder ausgeschmückt, womöglich gar erfunden hat, spielen in Berlin. Und dort sind Taxifahrer eher nicht so animierend; es sei denn, sie stammen nicht aus Berlin.
    Naser Ghiasi ist Iraner und hat dort 14 Jahre lang das Geld zum Überleben als Geflüchteter aus dem Iran tatsächlich im Taxi verdient. Die Geschichten vom Fahrgast lesen sich womöglich gut – für die Präsenz auf einer Bühne sind sie auch durch den Mangel an dramatischer Vielfalt letztlich viel zu schwach.
    "Wenn ein Fahrgast erfährt, dass Du seine Geschichte veröffentlichst, wird er Dich dermaßen vor den Richter zerren, dass Du Dich danach nie wieder hinters Steuer setzt ... Die Deutschen kennen bei drei Dingen keinen Spaß: das ist bei der Steuer, bei Kindesmissbrauch und drittens bei der Verletzung ihrer Privatsphäre!"
    Da ist Jafar, Nasers immer leicht alkoholisierter Kumpel, der (vielleicht als einziger) um die Aufschreib-Lust des Freundes weiß. Jafar ist ein Freund und wirklich schwieriger Fall zugleich; zum Beispiel versaut er dem einsamen Naser gegen Ende zielstrebig das viel versprechende Date mit einer interessanten Kundin.
    Überhaupt "Kundinnen": Eine osteuropäisch klingende Sex-Arbeiterin ist die erste; sie will die vermutete Untreue des derzeitigen Lovers erkunden. Dann folgt die Interessante – sie will um Preise dealen mit Naser und entpuppt sich später als Verwandte eines offenbar psychisch ziemlich gestörten Fahrgastes, der alle paar Wochen die seit zwanzig Jahren tote Mutter in deren Wohnung besuchen fährt, ersatzweise die Schwester; die ist aber auch schon tot. Geld hat er nie dabei ...
    Inszenierung in einer Art Video-Film-Studio
    Naser hat auch einen gefährlichen Gast: Gerade aus dem Knast entlassen, schnieft der Koks auf der Rückbank; und es sieht so aus, als wolle er den Taxifahrer umlegen für das bisschen Geld in der Kasse. Der Gast ist allerdings auch brummend dumm – Araber klatschen sei ok, meint er; aber Naser entgegnet:
    "Iraner sind keine Araber! - Siehste, Du hast doch Schiss! - Nein, aber wir sind keine Araber! - Was seid ihr denn dann? Arier oder was? - Zufällig ja, deshalb hat Euer Führer uns auch nicht angegriffen."
    Und als der gefährliche Blödi dann mal pinkeln muss im Wald, gelingt Naser umstandslos die Flucht ...
    Die kleine Szene eben wurde übrigens (wie deutlich zu hören war) nicht auf der Bühne, sondern im Studio aufgenommen; und das ist auch schon der zentrale Hinweis auf den Regie-Stil von Ghiasis Landsmann Amir Reza Koohestani. Der lädt das Oberhausener Publikum nämlich auf der Hinterbühne des Theaters in eine Art Video-Film-Studio ein.
    Alle Fahrgäste um Jürgen Sarkiss als Naser herum sind jeweils auf Auto-Sitzen recht weit weg voneinander und vor einer "green box"-Wand platziert; die Kamera zwischen ihnen und uns verwandelt sie zum Videobild, genauer: zu jeweils zweien (eins für den Fahrer, eins für den Gast), und hinter den beiden nebeneinander montierten Bildern (die über der Szene zu sehen sind) laufen die realen Hintergrundfilme von Taxifahrten durch Berlin ab.
    Aber das war's dann auch schon. Der Effekt ist kurz und im Theater schnell verbraucht. Funktioniert er überhaupt? Schaffen es die realen Personen auf der Bühne, einander zum Beispiel Zigaretten so zu reichen, dass es auch im Videobild "echt" aussieht? Nicht immer. Und warum tragen alle, Männlein wie Weiblein, nur untenrum Unterzeug – hat das was mit den Kamerabildern zu tun? Oder ist das einfach nur ein Einfall – dann wär's Schnickschnack pur.
    Diesmal floppt Oberhausen
    Wer auf Festivals schon Arbeiten von Koohestani mit dem von ihm geprägten "Mehr Theater" aus Teheran gesehen hat, zum Beispiel im September gerade das "Hearing" im Frankfurter Mouson-Turm, der staunt schon ein bisschen darüber, wie schnell sich der Regisseur mit nur einer halbwegs tauglichen Idee beschieden hat in Oberhausen.
    Und nur das Oberhausener Ensemble (neben Jürgen Sarkiss, Susanne Burkhard und Marieke Kregel, Martin Hohner und der immer wieder starke Michael Witte) hält eine Spielplan-Idee am Leben, die weder vom Text noch von der Inszenierung her die Mühe wirklich wert ist. Oberhausen floppt selten – diesmal aber schon.