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Flop, Skandal, Erfolg

Als "unverhohlen übelste kommunistische Propaganda" wurde sie kurz nach ihrer Uraufführung 1930 in Leipzig verschrien: "Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Bertolt Brecht und Kurt Weill war eines der größten Skandalstücke der Weimarer Republik und zunächst ein Flop.

Von Renate Hellwig-Unruh | 09.03.2005
    Die Premiere der Oper 1930 in Leipzig hatte einen Theaterskandal entfacht. Die Oper wurde als "unverhohlen übelste kommunistische Propaganda" verschrien und einige Städte, die das Stück aufnehmen wollten, setzten es nach der skandalösen Erstaufführung wieder ab. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Berthold Brecht und Kurt Weill sah zuerst ganz nach einem Flop aus. Während der Premiere kam es zu heftigen Tumulten und viele Buhrufe unterbrachen die Aufführung. Doch auch hier sollte gelten, was immer schon gegolten hat: ein handfester Skandal hat - auf längere Sicht gesehen - noch keinem Stück geschadet. Vor 75 Jahren fand in Leipzig die turbulente Premiere von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny statt.


    Auf der Bühne geht es fast ausschließlich ums Saufen, Lieben, Kämpfen und ums Fressen. Die Akteure spielen Abenteurer, Kriminelle, Zuhälter und Prostituierte.

    "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" wird am 9. März 1930 zum ersten Mal in Leipzig gespielt. Erzählt wird die Geschichte einer Stadt, ihre Entstehung, die ersten Krisen und am Schluss ihr Niedergang. Mahagonny mitten in der Wüste gegründet, wird vor allem von Männern bevölkert, die von der Goldküste kommen, und die ihre Bedürfnisse dort stillen. Jimmy Mahoney ist einer von ihnen.

    Die Stimmung während der Premiere im Neuen Theater in Leipzig ist gespalten. Buhrufe, Tumult, Applaus - nicht in dieser Reihenfolge, sondern gleichzeitig. Alfred Polgar:

    Die Nachbarin links wurde von Herzkrämpfen befallen und wollte hinaus: nur der Hinweis auf das Geschichtliche des Augenblicks hielt sie zurück. Der greise Sachse rechts umklammerte das Knie der eigenen Gattin und war erregt! Ein Mann hinten redete zu sich selbst: "Ich warte nur, bis der Brecht kommt!" und leckte sich - in Bereitschaft sein ist alles - die Lippen feucht. Kriegerische Rufe, an manchen Stellen etwas Nahkampf, Zischen, Händeklatschen [...] begeisterte Erbitterung, erbitterte Begeisterung.

    Auf der Bühne ist Jimmy Mahoneys Glück nur von kurzer Dauer. Denn das oberste Gesetz in Mahagonny lautet: "Du darfst alles". Doch nur wer bezahlen kann. Die Bedürfnisse steigen - und damit auch die Preise. Und wer Schnaps und die Mädchen nicht mehr zahlen kann, muss sterben.

    Der Dirigent Gustav Becher konnte nur mit Mühe die Premiere zu Ende bringen. Nicht nur die bürgerlichen Opernfans protestierten lautstark, sondern auch organisierte Claqueure aus dem nationalsozialistischen Spektrum. Die Aufführung entwickelte sich zu einem der größten Theaterskandale der Weimarer Republik - denn es ging um mehr als nur um die Oper. Kurt Weill:

    Es sind Sittenbilder aus unserer Zeit, auf eine vergrößerte Ebene projiziert.

    Berthold Brecht und Kurt Weill halten in der "Mahagonny-Oper" der bürgerlichen Welt mit ihren kapitalistischen Gesetzen einen Zerrspiegel vor. Der Mensch - ein Raubtier, der Kapitalismus - dem Untergang geweiht, die Musik dazu - aus Trümmern neuer und alter, klassischer und trivialer Musik zusammengesetzt.

    "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" ist, neben der "Dreigroschenoper", das zweite große Gemeinschaftsprojekt von Brecht und Weill und geht auf das gleichnamige Songspiel zurück. Brecht schuf ein Libretto, das auf den Ideen seines epischen Theaters fußte und Weill kreierte dazu eine Musik, die sich aus Elementen des Jazz, Blues, Foxtrott und alten Formen zusammensetzt; eine Musik versetzt mit "falschen" Tönen, in der sich die Melodien anhören, als ob sie schon einmal bessere Zeiten erlebt hätten.

    Was mich zu Brecht hinzieht, ist zunächst das starke Zueinandergehen meiner Musik mit seiner Dichtung [...] In langen Unterredungen mit Brecht habe ich die Überzeugung gewonnen, dass seine Ansichten von einem Operntext mit den meinen weitgehend übereinstimmen.

    Nach der "Dreigroschenoper" wollten Weill und Brecht auch die "Mahagonny"-Oper zuerst in Berlin aufführen lassen. Otto Klemperer sollte das Werk an der Kroll-Oper dirigieren, doch dann bekam er kalte Füße und sagt kurzfristig ab. Als Leipzig bereit war, das Werk auf die Bühne zu bringen, erklären sich Weill und Brecht sofort einverstanden. Und lösten mit ihrem neuen Werk den Opernskandal aus. Die "Zeitschrift für Musik" drohte nach der Premiere:

    Hallo, meine sauberen Herren Brecht und Weill, Ihre Tage dürften wohl ebenfalls so gezählt sein wie die Ihrer Abschaumstadt Mahagonny.

    Es blieb nicht bei verbalen Attacken. Vertreter der Deutschnationalen Volkspartei wollten das Stück absetzen lassen, doch der Stadtrat lehnte ab. Nach der Leipziger Premiere lösten einige Bühnen ihre Aufführungsverträge auf, andere wiederum mussten nach nur wenigen Vorstellungen die Oper wieder absetzen. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" fand den Weg ins Repertoire anfangs nur schleppend. Erst die Berliner Aufführung ein Jahr später, 1931, unter Alexander Zemlinsky brachte den erwarteten Erfolg.