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Flucht vor der Armut

Perspektivlosigkeit, Armut und die Hoffnung auf ein bessres Leben: Immer wieder suchen afrikanische Flüchtlinge eine bessere Zukunft in Europa. Oft sind es ehemalige Fischer, die die gefährliche Überfahrt wagen, denn ihr Beruf garantiert keine Lebensgrundlage mehr. Mitverantwortlich für die jahrelange Überfischung sind Kutter aus Europa, die im Rahmen bilateraler Abkommen fischen. Von Bettina Rühl.

20.08.2008
    Routiniert und trotzdem voller Hingabe bereitet Aminata Gueye das Mittagessen vor. Obwohl sie seit nun schon zwei Jahren auf der spanischen Kanareninsel Teneriffa wohnt, kocht die Senegalesin noch immer die Gerichte ihrer Heimat. Wie so häufig gibt es heute "Thie Bou Dienne", also Fisch mit Reis - das senegalesische Nationalgericht.

    Ihr Stiefsohn Michel hat den Fisch für das Mittagessen auf dem Markt von Santa Cruz de Tenerife gekauft. Der 23-Jährige lebt seit fast drei Jahren auf den Kanarischen Inseln: Er kam im November 2005 mit rund vierzig weiteren Passagieren über das offene Meer nach Spanien. In einem kleinen Fischerboot, mit dem er zuletzt in Mauretanien zum Fischen auf das Meer gefahren war. Gesteuert wurde die Piroge damals von einem senegalesischen Kapitän. Mit ihm hatte Michel bis dahin jahrelang zusammengearbeitet. Weil die Gewässer vor der senegalesischen Küste bereits dramatisch überfischt sind und kaum noch etwas hergeben, hatten sie zuletzt im benachbarten Mauretanien Fische gefangen.

    "Als ich nach Mauretanien gekommen war, gab es da noch jede Menge Fisch. Als Fischer konnte man wirklich angenehm leben. Aber mit der Zeit kamen immer mehr Kutter und Boote - es war eine Katastrophe! Am Ende kamen wir oft mit fast leeren Händen zurück, selbst wenn wir vier oder sogar sieben Tage unterwegs gewesen waren. Es reichte kaum noch, um die Kosten für Sprit und Essen zu decken. "

    In Mauretanien sind vor allem die Bestände an Oktopussen und Garnelen dramatisch überfischt. Sie werden von Kleinfischern gefangen, die mit Pirogen aufs Meer fahren, aber auch von spanischen Kuttern. Noch dramatischer ist die Situation im Senegal, Michels ursprünglicher Heimat: Nach einer Studie der Europäischen Union hat der westafrikanische Staat nur noch dreißig Prozent des Fischbestandes, der noch in den 50er Jahren nachweisbar war.

    Mit verantwortlich für die jahrelange Überfischung sind Kutter aus Europa, die im Rahmen bilateraler Abkommen in senegalesischen Gewässern gefischt haben. Nun ist die internationale Flotte nach Mauretanien weiter gezogen. Auch dort sind die erlaubten Fangmengen wieder begrenzt. Doch woher der Fisch tatsächlich stammt, der auf den europäischen Markt kommt, ist schwer zu kontrollieren. Carlos Huares arbeitet auf Gran Canaria für die spanischen Grünen.

    "Wir gehen davon aus, dass hier in Las Palmas immer noch illegale Fänge an Land gebracht werden. Wir haben die Europäische Kommission in der Vergangenheit darüber informiert, dass die Kontrollen unzureichend sind. Daraufhin wurden die Mittel tatsächlich aufgestockt und mehr Leute eingestellt. Aber wir sind davon überzeugt, dass deren Zahl noch immer nicht reicht. Hier auf den Inseln kommen immer noch viele illegal gefangene Fische an, die so auf den europäischen Markt gelangen. "

    Im Hafen von Las Palmas wird gerade ein chinesischer Kutter entladen. Palettenweise holen die Arbeiter die Fische von Bord. Nach Angaben der Hafenbehörde werden jährlich 500 Tonnen Fisch über den Hafen von Las Palmas auf den europäischen Markt gebracht. Die Umweltschutzorganisation "Greenpeace" hat die Kontrollen in Las Palmas überprüft und unzählige Unregelmäßigkeiten dokumentiert.

    Die Hafenbehörde von Las Palmas weist den Vorwurf mangelnder Überwachung zurück. Ganz anders klingt das, was ein Kontrolleur, der anonym bleiben will, von der täglichen Arbeit erzählt.

    "Wenn Sie eine Runde durch den Hafen machen, sehen Sie viele Versorgungsschiffe. Sie fahren häufig auf die hohe See hinaus und gehen an den Fischtrawlern längsseits. Sie übernehmen die Ladung an gefrorenem Fisch und bekommen dafür eine Provision. Dann kommt ein zweites, kleineres Tankschiff, geht ebenfalls längsseits, und versorgt den Trawler mit Diesel. So können die Trawler ein Jahr und länger auf hoher See bleiben. Die Menge an illegalen Fängen hat dadurch drastisch zugenommen. Denn wenn die Ladung eines Trawlers oder Kutters im Hafen gelöscht wird, sind die Herkunft des Fangs und die Gesamtmenge relativ leicht nachzuvollziehen. Man kann auch leichter prüfen, ob die biologischen Schonzeiten eingehalten wurden. Wenn aber die gefrorene Ladung auf ein Cargo-Schiff transferiert wird, hat man überhaupt keine Kontrolle mehr. "

    Wenn die Überwachung nicht auch von europäischer Seite nicht verbessert wird, können sich die Fischbestände vor der afrikanischen Westküste nicht erholen. Und wenn die afrikanischen Fischer zu Hause kein Einkommen haben, werden sie ihre Zukunft auch weiterhin woanders suchen.