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Fluchtroute Mittelmeer
Keine Winterpause für andalusische Seenotrettung

Über die West-Mittelmeerroute von Marokko nach Spanien flüchten derzeit so viele Menschen nach Europa wie seit zehn Jahren nicht mehr. Unter den Flüchtlingen sind besonders viele Marokkaner und Algerier. Das andalusische Tarifa ist überfordert.

Von Marc Dugge | 14.12.2017
    Gerettete Flüchtlinge aus der Subsahara stehen auf einem Boot der spanischen Küstenwache, eingewickelt in rote Decken.
    Gerettete Flüchtlinge aus der Subsahara in Spanien. (EFE, Ricardo Garcia, dpa)
    Marokko scheint mal wieder zum Greifen nah. Die Felsen auf der anderen Seite sind deutlich zu sehen. Die Straße von Gibraltar scheint heute eher ein Gässchen und das Meer ist glatt. Der Eindruck täuscht, so Adolfo Serrano, Leiter der Seenotrettung in Tarifa: "Das hier ist kein Bach und auch kein See. Auch wenn das Wetter gut ist, so gibt es doch starke Strömungen. Wer da nicht kräftig genug dagegen rudert, wird oft viele Kilometer weit abgetrieben."
    Die Zentrale der Seenotrettung liegt auf einem einsamen Hügel bei Tarifa. Es gibt nur noch ein anderes Haus hier. Dort studieren Ornithologen das Migrationsverhalten von Vögeln. Serrano interessiert sich eher für das Migrationsverhalten von Menschen.
    "Gegen 2 Uhr früh hat man uns informiert, dass ein Boot mit 11 Personen an Bord abgelegt hat. Es waren allesamt junge Männer aus Subsahara-Afrika, offenbar bei guter Gesundheit. Sie wurden dann gegen 6 Uhr vormittags in den Hafen von Algeciras gebracht."
    Polizeikasernen und ein altes Gefängnis dienen als Aufnahmelager
    Für Adolfo Serrano ist das Routine. Mehr denn je. Derzeit vergeht kaum ein Tag ohne Rettungsaktion. Es herrscht viel Betrieb auf der West-Mittelmeerroute, wie Migrationsforscher die Strecke zwischen Marokko und Spanien nennen. Es ist die einzige, auf der der Verkehr zunimmt. Wahr ist aber auch, dass die absoluten Zahlen vergleichsweise gering sind: Über 20.000 Bootsmigranten kann ein Grieche nur müde lächeln. In Andalusien dagegen bringen sie Beamte und Hilfsorganisationen ziemlich ins Schwitzen. Zum Beispiel Luís Perez Lara von der Hilfsorganisation ACCEM: "Das entwickelt sich in einer unheimlichen Geschwindigkeit. Es gibt keinen Platz mehr in den Aufnahmelagern. Die Ankommenden werden erst einmal in den Polizeikommissariaten untergebracht. Bei Málaga wurde extra ein früheres Gefängnis dafür hergerichtet, denn es ist alles voll!"
    Laut Aktivisten sollen in diesen Aufnahmelagern teils schlimme Zustände herrschen. Sie berichten davon, dass es teils statt einer Toilette nur ein Loch im Boden gebe. Und dass viel zu viele Menschen auf engem Raum unterkommen müssten. Journalisten können in der Regel nicht in die Auffanglager hinein, auch unsere Anfrage blieb unbeantwortet. Nur Hilfsorganisationen haben zum Teil Zutritt. Josep Buades von der Organisation Claver ist einer der wenigen. Er steht am ziemlich idyllischen Strand von Tarifa und zeigt auf den Felsen nebenan: "Das ist die Isla de las Palomas, die über eine Straße mit dem Festland verbunden ist. Wir sehen dort ein altes Fort, da gibt es zwei Gebäuden, in denen die Ausländer untergebracht sind. Bis zum Juni waren dort ausschließlich Afrikaner einquartiert, seit September ausschließlich Marokkaner oder Algerier."
    Das ist neu. Tatsächlich stammt fast ein Drittel der angekommenen Bootsmigranten aus Marokko. Die Marokkaner stellen damit die stärkste Gruppe, gefolgt von Algeriern, erst danach folgen Subsahara-Afrikaner. Afrikaner haben noch einigermaßen Chancen auf ein Bleiberecht. Marokkaner dagegen wissen, dass sie sofort abgeschoben werden können. Trotzdem versuchen viele ihr Glück.
    "Wenn Marokko etwas von Europa will, nimmt es den Druck von der Grenze"
    Für die Gründe des Zustroms gibt es viele Erklärungsversuche. Da ist das langanhaltende gute und milde Wetter. Dann die Trockenheit und die Lebensmittelknappheit in Marokko, die Menschen angeblich die Koffer packen lässt. Und die anhaltenden Proteste im Norden Marokkos, für die die Regierung rund 25.000 Sicherheitskräfte mobilisiert haben soll. Polizisten, die nun an den Küsten fehlen.
    Anabel Quirós ist Präsidentin der Hilfsorganisation Algeciras Acoge: "Wenn Marokko etwas von Europa will, politisch oder wirtschaftlich, dann nimmt es den Druck von der Grenze. Daher wird Marokko irgendetwas wollen. Das ist alles ziemlich undurchsichtig. Ich habe einmal mit einigen Europaparlamentariern versucht, das Abkommen einzusehen, das Marokko mit Spanien und der EU zur Grenzsicherung abgeschlossen hat: Das war uns unmöglich. Wir denken, dass das eine ziemlich obskure Vereinbarung ist."
    Im Hafen von Tarifa ist es Abend geworden. Die Bar neben dem Roten Kreuz verabschiedet sich mit Bier und Tapas in die Winterpause. Davor, im Hafenbecken, schimmert im Dunkeln das rote Schiff der Seenotrettung. Gestern hat es hier die Leichen von drei ertrunkenen Afrikanern an Land gebracht. Für die Seenotrettung gibt es keine Winterpause. In diesem Jahr erst recht nicht.