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Flüchtling
"Integration muss tatsächlich von beiden Seiten funktionieren"

Für den SPD-Politiker Erik Lierenfeld ist das neue Integrationsgesetz ein wichtiges Signal. Allerdings gehe es "an manchen Stellen am Thema vorbei", sagte Lierenfeld im DLF. Jetzt sei es vor allem wichtig, durch finanzielle Unterstützung Sprach- und Integrationskurse zu fördern, um Flüchtlingen einen schnelleren Zugang zu diesen Angeboten ermöglichen.

Erik Lierenfeld im Gespräch mit Thielko Grieß | 25.05.2016
    Erik Lierenfeld ballt jubelnd die Faust
    Erik Lierenfeld (SPD) ist Bürgermeister der Stadt Dormagen (dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Innenminister Thomas de Maizière sagt also, Integration ist keine Einbahnstraße. Pro Asyl sagt daraufhin, das Gesetz bediene rechte Stimmungen in Deutschland, indem man suggeriert, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Ist an dieser Kritik nicht etwas dran? Das habe ich vor der Sendung gefragt, Erik Lierenfeld. Er ist Bürgermeister der Stadt Dormagen und gehört der SPD an.
    Erik Lierenfeld: Ich glaube, man muss sich letztlich auch der Wahrheit stellen, dass ganz viele Menschen, die zu uns kommen, integrationswillig sind, ganz klar. Ich habe auch ganz viele positive Beispiele, aber wir wissen auch, es gibt auch den einen oder anderen, der eben etwas unwilliger ist, der vielleicht ein wenig gefördert werden muss und auch ein Stück weit gefordert werden muss, um auch für sich klar zu bekommen, was eigentlich Integrationsprozess heißt und dass ihm da auch was zugutekommt. Und von daher, ich kann die Kritik im Ansatz zwar nachvollziehen, aber ich glaube, es ist der Weg der Bundesregierung jetzt an der Stelle schon richtig, dass man eben sagt, na ja, Integration muss tatsächlich von beiden Seiten funktionieren.
    "Wir haben Regeln, die gelten dann für alle"
    Heckmann: Jetzt sagen Sie, Herr Lierenfeld, es gibt den einen oder anderen, der da unwillig ist. Um wie viele Personen handelt es sich denn bei Ihnen da in Dormagen beispielsweise?
    Lierenfeld: Ich habe mal von alten Studien gehört, wo man gesagt hat, irgendwie drei Prozent der Bevölkerung fallen durch sozialwidriges Verhalten auf. Ich glaube, dass das auch ähnlich für Flüchtlinge gilt wie für alle anderen letztlich.
    Ich sage mal, es ist für mich nicht entscheidend, wer eine Straftat begeht oder sonst wie, sondern wir wissen einfach, dass es aber immer unter einer Masse oder in einer Größenordnung von Menschen immer jemanden gibt, der auch vielleicht ein Stück weit ausschert. Wir haben Regeln, die gelten dann für alle, sowohl für die Menschen, die schon länger hier leben, als auch für die, die neu zu uns kommen.
    Heckmann: Greifen wir mal drei Punkte auf, Herr Lierenfeld, als Erstes vielleicht die Niederlassungserlaubnis. Bisher war es so, dass anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren automatisch ein Bleiberecht erhalten haben in Deutschland. Jetzt ist es so, dass das erst nach fünf Jahren der Fall sein soll, aber nur bei ausreichenden Sprachkenntnissen und bei überwiegend eigenständigem Aufkommen für den Lebensunterhalt. Wie viele Menschen wird das treffen bei Ihnen? Und ist das nicht eine erhebliche Verschlechterung für die, die das nicht schaffen?
    Lierenfeld: Man muss sagen, es gab in der Vergangenheit ja auch Verbesserungen, was das angeht, dass zum Beispiel Menschen, die schon lange in dem geduldeten Bereich waren, also lange geduldet waren, dass diese dann auch einen automatischen Aufenthaltstitel bekommen haben. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich die Einzelfälle wird anschauen müssen.
    Ich glaube, dass jemand, der in Deutschland ist und sich auch bemüht, sowohl was Sprache angeht als auch was vielleicht eine Möglichkeit der Arbeit angeht, sicherlich auch zukünftig die Chance haben wird, hier bleiben zu können.
    Das eine ist, was jetzt vielleicht dann eben auch unter Verschärfung von Gesetzen benannt wird, und das andere ist dann die Verwaltungsübung und die Verwaltungspraxis, sage ich jetzt mal. Von daher glaube ich, wer sich ernsthaft da engagiert, braucht sich da, glaube ich, jetzt auch weiterhin nicht die Sorge machen, dass er dann wirklich nach einigen Jahren definitiv das Land verlassen muss. Aber wer sich eben nicht bemüht, der muss vielleicht eher damit rechnen.
    "Was das Thema Wohnsitzauflage angeht, sehe ich das wie die Bundesregierung"
    Heckmann: Ein anderer Punkt ist die Wohnsitzauflage. Die Länder können bestimmen, dass sich Flüchtlinge in einem bestimmten Ort aufhalten beziehungsweise bestimmte Städte auch meiden, damit keine Gettobildung entsteht. Pro Asyl sagt dazu, das behindert die Integration, weil ja auch die Familie und weil Bekannte in der Nähe helfen könnten zum Beispiel, um einen Job zu finden. Außerdem gibt es auch noch völkerrechtliche Einwände. Wäre es nicht besser also, die Flüchtlinge würden weiter volle Freizügigkeit genießen?
    Lierenfeld: Was das Thema Wohnsitzauflage angeht, sehe ich das wie die Bundesregierung an der Stelle. Wir haben das als Städte- und Gemeindebund gefordert, weil wir einfach die Angst haben, von vor der Überforderung von gewissen Systemen, auch der ehrenamtlichen Systeme und Strukturen, gerade in den Ballungsgebieten. Dormagen liegt zwischen Düsseldorf und Köln, mit großen Communities.
    Ich kann das nachvollziehen, dass die Menschen da auch zu ihren Freunden et cetera wollen, und grundsätzlich besteht ja auch weiterhin die Möglichkeit: Wer eine Arbeitsstelle woanders aufnehmen will oder auch hat, oder eine Ausbildungsstelle, oder zum Beispiel seinen Lebensunterhalt anders bestreiten kann, zum Beispiel durch Familie, die einen unterstützt, kann er umziehen.
    Man muss halt nur klar haben, wenn man frühzeitiger umzieht, bekommt man halt nicht mehr die Leistungen zum Lebensunterhalt. Es ist ja nicht so, dass definitiv es gar nicht mehr geht, dass man umziehen kann, sondern ich sage mal, na ja, wenn man eben Leistungen bezieht, dann eben nur in gewisser Weise. Und das sind auch Praxen oder – die wir letztlich ja auch teilweise bei unseren eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern haben, wenn wir uns an die Diskussion bei den Arbeitslosen erinnern.
    Heckmann: Kommen wir mal zu den Integrationskursen, Herr Lierenfeld. Wer sich weigert, da teilzunehmen, dem drohen Sanktionen. Dabei stehen ja noch lange nicht für alle Integrationskurse zur Verfügung. Wie ist denn das bei Ihnen, wie ist Ihre Erfahrung? Gibt es Flüchtlinge, die sich weigern, die da sagen, da mache ich nicht mit, und wenn ja, wie hoch ist der Anteil da ungefähr?
    Lierenfeld: Wir haben es zuletzt ganz klar gehabt, dass wir vor allem von den Menschen, die schon länger bei uns waren, da hatten wir vereinzelt Fälle, die überhaupt nicht mitgemacht haben. Das eine ist ja auch in der Tat, ich bekomme einen Integrationskurs und ich nehme daran teil, und der andere ist, ich nehme mit Erfolg teil. Das muss man sich auch immer sehr genau anschauen.
    Ich bin aber insgesamt mit dem System, das wir da an der Stelle haben, leider sehr unzufrieden, weil bei uns müssen die Menschen auch aktuell teilweise bis November warten, bis sie einen Termin bekommen.
    Das liegt im Argen. Ganz klar ist, wir brauchen auch da zusätzliche Unterstützung, damit die Integrations- und Sprachkurse auch wirklich umgesetzt werden können.
    Aber auch da muss man klar sagen, ich gehe nicht davon aus, und da bin ich fest von überzeugt, dass jemand, der keinen Sprachkurs machen kann, weil einfach die Möglichkeit nicht besteht, der braucht ja nichts zu befürchten. Aber wenn eben Sprachkurse – das hat ja auch alles mit Finanzen zu tun, das heißt, ich gehe als Stadt hin und gebe Geld dafür, dass Sprachkurse umgesetzt werden können, und da wird auch geplant mit, da müssen zehn Leute, 15, 20, wie auch immer, drin sein, dann setze ich dafür finanzielle Ressourcen ein. Und wenn dann jemand nur beim ersten Mal kommt oder beim zweiten Mal oder beim dritten Mal gar nicht mehr, dann ist das natürlich auch etwas Negatives.
    "In der Integration läuft nichts von allein"
    Heckmann: Und wie sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang, mit Sanktionen zu arbeiten? Kann das funktionieren aus Ihrer Sicht, aus Ihrer Erfahrung heraus?
    Lierenfeld: Ich habe in meinem früheren Leben auch mal im Jobcenter gearbeitet. Da muss ich wieder dahin verweisen, wo wir genau dasselbe System des Förderns und Forderns haben. Bei allen auch Nachteilen, die so ein System hat, es hat aber eben auch ein Stück weit den Vorteil, dass ich die Arbeitsunwilligen auf der einen Seite, aber auch eben die Integrationsunwilligen bekomme. Und wir müssen uns nichts vormachen: In der Integration läuft nichts von allein. Wir müssen alle was dafür tun, das heißt, sowohl der Staat als auch die Bevölkerung, die bereits hier ist, als auch die Menschen, die zu uns kommen, jeder muss an der Saite, auf der Seite an dem Strang ziehen Richtung Integration. Weil wenn wir es nur dem Zufall überlassen, dann befürchte ich, dass es an vielen Stellen nicht funktioniert. Wir müssen es organisieren.
    Heckmann: Wenn Sie einen Strich drunter machen, was würden Sie sagen – das Integrationsgesetz ist ein Meilenstein oder eine Mogelpackung, wie die Opposition meint?
    Lierenfeld: Nein. Das Integrationsgesetz ist ein erster Aufschlag. Es geht an manchen Stellen sicherlich auch am Thema vorbei, es ist aber auch wichtig, dass es ein Signal ist. Ich hätte mir das Signal schon viel früher gewünscht, muss man deutlich sagen. Ich fand, dass es insgesamt schon recht lange gedauert hat. Und es hilft uns, das Integrationsgesetz, nur, wenn es jetzt auch ein Integrationspaket mit finanziellen Möglichkeiten gibt, damit die Menschen auch wirklich so gefördert werden, wie sie es benötigen.
    Heckmann: An welchen Stellen geht das Gesetz am Thema vorbei, wie Sie gerade sagten?
    Lierenfeld: Ich glaube, dass gewisse Verschärfungen, was eben Ihren erstgenannten Punkt angeht, das Thema Bleiberegelung mit drei und fünf Jahren, ich glaube, das ist nachher nicht das Entscheidende. Ich glaube, das hätte man auch ein Stück weit so lassen können. Da wollte man, glaube ich, wirklich an der einen oder anderen Stelle jetzt noch mal Flagge zeigen und Signale setzen. Das halte ich für nur bedingt geeignet –
    Heckmann: Sie meinen die CDU?
    Lierenfeld: Da sitzen ja alle in einem Boot wieder, da kann ich jetzt nicht nur sagen, der eine oder der andere. Da sitzt ein Kabinett, und die haben das jetzt so beschlossen. Da müssen also beide Partner irgendwo auch ein Stück weit sich das mit dranheften lassen, sage ich jetzt mal. Aber sicherlich für die CDU noch mehr als für die SPD an der Stelle.
    Heckmann: Erik Lierenfeld war das, Bürgermeister der Stadt Dormagen. Er gehört der SPD an. Herr Lierenfeld, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Lierenfeld: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.