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Flüchtlinge in Bayern
Ein Ticket für die Zukunft

Junge Flüchtlinge sind oft im Ausbildungsalter, wenn sie in Deutschland ankommen. In Bayern wird ein Unterrichtsmodell umgesetzt, bei dem sie zunächst zwei Jahre an der Berufsschule lernen, um dann eine Berufsausbildung zu beginnen. Einige von ihnen wollen auch studieren.

Von Julia Smilga | 08.08.2015
    Immer mehr Unternehmen in Bayern bieten Flüchtlingen Praktika oder einen Ausbildungsplatz an.
    Immer mehr Unternehmen in Bayern bieten Flüchtlingen Praktika oder einen Ausbildungsplatz an. (dpa/picture alliance/Sven Hoppe)
    "In der letzten Woche haben wir schon mal begonnen, mit Textaufgaben zu arbeiten. Dass Sie mit dem Text das herausfinden, was zu errechnen ist."
    Matheunterricht an der Berufsschule Bad Tölz in Oberbayern. 19 junge Frauen und Männer sitzen an einem kalten Novembertag in einem Klassenzimmer. Sie sind zwischen 15 und 25 Jahre alt und stammen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria oder Eritrea. Sie gehören der ersten Asylbewerberklasse im Landkreis Bad Tölz–Wolfratshausen an. Im vergangenen September startete der Unterricht, zwischenzeitlich wurde eine zweite Klasse gegründet. Die jungen Flüchtlinge werden in den Fächern Deutsch, Mathematik, Ethik und Computer unterrichtet. Auch verschiedene Praktika sollen sie absolvieren, um sie auf eine reguläre Berufsausbildung vorzubereiten.
    Imran lächelt stolz. Die Rechenaufgabe an sich ist kinderleicht; sie aber auf Deutsch zu verstehen, ist für den Pakistani schwer. Imran ist 24 Jahre alt und seit einem Jahr in Deutschland. In Pakistan fuhr er Taxi und habe – erzählt er – Schutzgeld an die örtliche Mafia zahlen müssen. Als er sich weigerte, hätten die Erpresser ihn umbringen wollen. Imran floh. Über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien und Österreich gelangte er nach Deutschland.
    "Ich möchte Automechaniker machen. Weil ich in Pakistan fünf Jahre Auto gefahren bin und ich weiß über Auto ein bisschen Bescheid. Ich möchte diese Arbeit"
    'Beschulung von berufsschulpflichtigen Asylbewerbern und Flüchtlingen an Berufsschulen' - so heißt das bayerische Unterrichtsmodell. An knapp 200 Berufsschulen im Freistaat wird es mittlerweile angeboten. Zwei Jahre lang dauert die Vorbereitungsphase an der Schule, danach beginnt die dreijährige Berufsausbildung.
    Ehrenamtliche pensionierte Lehrer geben Flüchtlingen Deutschunterricht
    Ehrenamtliche pensionierte Lehrer geben Flüchtlingen Deutschunterricht (dpa/picture alliance/Armin Weigel)
    "Das erste Jahr dieser Berufsvorbereitung ist wirklich dazu da, damit sie Fuß fassen, damit sie sich zurechtfinden, damit sie sprachlich so weit kommen, um überhaupt das Wichtigste im Alltag bewältigen zu können. Geplant ist im zweiten Jahr dann eine Abwechslung zwischen Schule mit intensivem Sprachtraining, mit noch intensiverem Mathematik-Training und auch beruflichen Arbeiten in den Werkstätten bei uns im Haus, kombiniert mit Praktika."
    Erklärt Schulleiter Joseph Bichler das Modell. Der Andrang sei groß und die Jugendlichen hoch motiviert. Sie sehen in der Berufsvorbereitung ihre Chance, sich in Deutschland eine Existenz aufbauen zu können. Der Schulleiter ist überzeugt, hier schlummert Potential.
    "Wir haben Branchen - im Baubereich, im Nahrungsmittelbereich, in der Gastronomie-, im Hotelbereich – wo bei Weitem nicht alle Ausbildungsstellen besetzt werden konnten. Und da haben diese Bewerber sicher große Chancen."
    Bereits im Dezember sammeln die ersten Berufsschüler Praxiserfahrung. Baschir aus dem Irak zum Beispiel arbeitet in einer Bäckerei in der Fußgängerzone von Bad Tölz. Der junge Mann hat hier zwei Wochen lang gelernt, wie man Brezen dreht und Brot bäckt. Das Betriebspraktikum gefällt ihm:
    "Ja ist gut, super, Chef auch super, alles mit arbeiten ist gut, alle helfen mir, wenn ich etwas nicht verstanden habe."
    Bäckermeister Leo Büttner kann es sich sogar vorstellen, Baschir als Lehrling auszubilden – vorausgesetzt seine Deutschkenntnisse verbessern sich. Denn im Bäckerhandwerk ist der Lehrlingsmangel groß und gute Auszubildende zu bekommen schwierig. Nach Angaben des Zentralverbands des deutschen Handwerks blieben im vergangenen Jahr 20.000 Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt.
    Unbesetzte Ausbildungsplätze
    Doch im Fall des jungen Irakers gibt es ein Problem: Über Baschirs Asylantrag ist nach zweieinhalb Jahren noch immer nicht entschieden. Das heißt, theoretisch könnte er von heute auf morgen abgeschoben werden – auch während seiner Ausbildung. Für die kleine Bäckerei ein unkalkulierbares Risiko.
    "Man kann nicht immer auf dem Pulverfass hocken, ob er abgeschoben wird oder nicht. Wenn da eine gewisse Garantie dafür wäre, wäre natürlich sehr wichtig."
    Garantien aber gibt es nicht. Asylbewerber dürfen zwar schon drei Monaten nach Beginn ihres Asylverfahrens arbeiten oder mit einer Ausbildung beginnen – vorausgesetzt sie finden einen Betrieb, der sie einstellen will. Das Bundeskabinett hat ferner für Asylbewerber und sogenannte geduldete Flüchtlinge jüngst den Zugang zu Praktika erleichtert, die für den Berufs- oder Ausbildungseinstieg wichtig sind. Auf die Forderung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände allerdings hat die Politik bislang nicht reagiert, wonach während der Ausbildung grundsätzlich nicht abgeschoben werden sollte.
    Immer mehr Unternehmen bieten Flüchtlingen eine Ausbildung
    Immer mehr Unternehmen bieten Flüchtlingen eine Ausbildung (dpa/picture alliance/Sven Hoppe)
    Mindestens genauso wichtig für die Integration ist die deutsche Sprache. Deutsch lernen, so schnell wie möglich – das ist dann auch das Ziel der jungen Asylbewerber. Um ihnen zu helfen, hat Waltraud Haase im Jugendzentrum Bad Tölz einen Computerraum einrichten lassen, wo die Flüchtlinge nachmittags online Deutsch lernen können.
    Im Computerraum stehen fünf ältere Computer und ein paar Laptops – alle sind besetzt. Waltraud Haase - Mathematikerin, Linguistin und Computerfachfrau - engagiert sich seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich im Helferkreis Bad Tölz. Sie kam auf die Idee des computergestützten Deutschunterrichts. Der 16-jährige Emran aus Afghanistan sucht auf der Festplatte nach seinen letzten Übungen. Zuhause hat Emran Kühe gehütet. Er war Analphabet - als er vor zehn Monaten nach Deutschland kam. Einen Computer hatte er bis dato nie gesehen:
    "Kannte ich nicht weil ich in Bergen lebte und mit Kühen lebte. "
    "Und dann haben wir halt angefangen Wörter zu lernen mit Bildern aus Google. Und dann hab ich gesagt: 'So, und jetzt setz dich einfach hin- wir machen den Deutschkurs bei der Deutschen Welle. Hören - lesen, hören - lesen.' So ist es angegangen."
    Es ist Vorweihnachtszeit. Das Klassenzimmer an der Berufsschule ist nicht wiederzuerkennen. An der Seite ist ein Buffet mit orientalischen Köstlichkeiten aufgebaut. An den Wänden hängen bunte Plakate. Darauf haben die Schüler in Gruppenarbeit die wichtigsten Feste in ihren Heimatländern dargestellt – mit Fotos und Beschreibungen. Auch Imran ist anwesend, der ehemalige Taxifahrer aus Pakistan. Zur Feier des Tages trägt er eine weiße Tracht: langes dünnes Baumwollhemd und weiße Hose:
    "Das ist Pakistani Kleidung. Nur für eine oder zwei Stunde trage ich das."
    Innerhalb weniger Wochen ist die bunt zusammengewürfelte Klasse zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen. Die jungen Frauen und Männer, die im November noch mühsam nach den ersten deutschen Wörtern suchten, freuen sich jetzt, wenn sie auf Deutsch etwas über ihre Heimat erzählen können.
    Gemeinschaftsgefühl in der Berufsschule
    Die Stimmung ist ausgelassen, fast fröhlich, ein paar Schüler tanzen sogar. Einige wenige aber bleiben am Rand stehen. Wie ein Mädchen, das ein Kopftuch trägt und dessen große grüne Augen auffallen. Sie heißt Lousain, ist 19 Jahre alt und stammt aus Syrien. Seit einem halben Jahr ist sie in Deutschland. In einem Mix aus Deutsch und Englisch erzählt sie, dass sie in Damaskus die Schule abgeschlossen hat und studieren wollte - dann aber begann der Bürgerkrieg. Die Familie - Lousain hat drei Brüder und zwei Schwestern - flüchtete in den Libanon, wo sie an der Uni begann medizinische Technologien zu studieren. Doch im Libanon steht man den Flüchtlingen feindselig gegenüber, weshalb sich die Familie zur Flucht nach Europa entschied. 1.000 Dollar, erzählt Lousain, hätten die Schmuggler verlangt für die gefährliche Überfahrt in einem offenen Boot nach Lampedusa.
    "Es war ein kleines Schiff und very dangerous. Wir waren 40 Stunden im Schiff."
    Das Schiff vor ihnen sei auf dem Mittelmeer gekentert, erzählt Lousain mit brüchiger Stimme. Sie hat viele Tote gesehen. Heute lebt ihre Familie in Schlehdorf. In dem Dorf in der Nähe des Kochelsees sind in einem großen Bauernhaus viele Flüchtlinge untergebracht. Jeden Morgen fährt die 19-Jährige mit dem Bus 45 Minuten lang zur Schule nach Bad Tölz. Sie ist froh, wieder lernen zu dürfen:
    "Hier in Deutschland, ich will studieren in der Universität. Aber ich weiß noch nicht was."
    Neben Lousain steht ihre Klassenlehrerin Sina Guber. Sie glaubt daran, dass sich der Traum der jungen Syrerin erfüllen wird, denn die Lehrerin weiß um Lousains Fortschritte:
    "Für die Loussain, für die muss nicht mehr übersetzt werden, sondern die Lousain übersetzt mittlerweile für andere Schüler."
    Ihrer Klasse an der Berufsschule in Bad Tölz gehören 19 Schülerinnen und Schüler an. Es sind junge Menschen, die ihre Zukunftschance nutzen werden, davon ist Sina Guber fest überzeugt:
    "Die integrieren sich einfach super. Der Ohmed, der fährt jetzt mit den deutschen Schülern in die Schule. Und der Ohmed geht ganz normal auf sie zu und sagt auch 'Servus Pfiati' auf tiefstem Bayerisch! Es ist echt lustig anzuschauen, ich musst mir echt das Lachen verkneifen, aber das ist so schön, wie sie mittlerweile den Anschluss finden."
    Sina Guber kann gar nicht aufhören, von ihrer Schüler zu schwärmen. Besonders stolz ist die Lehrerin aber auf Imran, den jungen Mann aus Pakistan:
    "Sein größter Traum ist es hier zu arbeiten, hier Fuß zu fassen. Und der arbeitet hart, der liest sich abends noch mal die ganzen Arbeitsblätter durch, lernt fragt noch mal in der Früh: Frau Guber, wie spreche ich dieses Wort richtig aus? Ist sehr wissbegierig und man muss dazusagen, sehr hilfsbereit."
    In Bayern lernen Flüchtlinge zwei Jahre gemeinsam an einer Berufsschule
    In Bayern lernen Flüchtlinge zwei Jahre gemeinsam an einer Berufsschule (dpa/picture alliance/Nicolas Armer)
    Gut vier Monate später, Anfang Mai. Es ist Frühling in Bad Tölz. Und noch immer läuft an der Berufsschule der Unterricht für die jungen Flüchtlinge und Asylbewerber. Imran, der ehemalige Taxifahrer, ist vor ein paar Tagen Vater einer Tochter geworden. Seine deutsche Freundin hat der Pakistani vor anderthalb Jahren hier kennengelernt. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen:
    "Wir spielten Fußball und sie kam auch manchmal. Und wir sprachen viel über mich, was ich in Pakistan für Problem hatte, welche hier. Und dann - langsam, langsam, ich habe gesagt, ich mag dich. Und sie hat auch gesagt, ich mag dich auch, du bist auch sehr gut."
    Jetzt sucht das Paar eine gemeinsame Wohnung. Die Schule vernachlässigt Imran jedoch nicht. Er lerne nach wie vor fleißig, verrät seine Lehrerin. Und Lousain, die schüchterne 19-Jährige aus Syrien, ist selbstbewusster geworden. Sie spricht viel besser Deutsch als im vergangenen Dezember, das hat sie verändert: ihr Auftreten ist souveräner geworden.
    "Ich habe ein Heft mit Übungen mit Gymnasium-Niveau – Mathematik. Wir haben hier nur einfach Mathe, aber ich mag die schwere Aufgaben Mathe machen. Und extra für Grammatik deutsch habe ich einen Lehrer in Schlerdorf, der hilft mir auch."
    Lousain will unbedingt in Deutschland studieren – Medizintechnik oder Ernährungswissenschaften. Voraussetzung dafür ist, dass ihr syrisches Abitur anerkannt wird. Bayern prüft jedoch besonders streng, die Zeugnisanerkennungsstelle spricht nicht von "ausländischen", sondern von "außerbayerischen" Abschlüssen. Unterstützt wird Lousaion von Christa Niggl, einer Mitarbeiterin des Kolpingbildungswerks, das im Freistaat bei der Betreuung von Flüchtlingsklassen mit den Berufsschulen kooperiert.
    Anerkennung ausländischer Abschlüsse schwierig
    "Wenn ich jetzt daran denke, es wird nicht anerkannt – dann ist der Weg ja Wahnsinn. Weil wenn ich jetzt von einem normalen Schulsystem ausgehe, dann müssten sie hier den Hauptschulabschluss machen, dann machen sie den Quali, dann Basisausbildung, dann gehen sie vielleicht zu Berufsoberschule, bis sie zum Studium kommen kann. Das dauert ja ewig, das ist ja ein Wahnsinnsweg."
    Für Lousain ein Weg, der sie erst mal nicht auf die Universität führt. Wegen einer fehlenden Matheprüfungsnote wird ihr syrisches Abitur nicht als allgemeine Hochschulreife, sondern nur als mittlerer Bildungsabschluss anerkannt. Die 19-Jährige hat sich jetzt an einer Fachoberschule für das Fach Ernährungswissenschaften beworben.
    Emran aus Afghanistan hat mehr Glück. Er macht ein Praktikum in einem Malerbetrieb in Bad Tölz. Christa Niggl hat es ihm vermittelt:
    "Was machst du da Emran?"
    "Er streicht ja grade die Fenster."
    "Das hast du vorher abgedeckt?"
    "Ja, das ist abgedeckt. Jetzt fertig, aber diese zwei noch."
    "Jetzt schauen wir mal, ist es ordentlich Emran?"
    Emran, der in seiner Heimat Kühe hütete, strahlt. Die Arbeit macht dem 16-Jährigen sichtlich Spaß. Und er sagt, er habe bereits eine Menge gelernt:
    "Farbennamen, wie heißt die Farbe. Viele Maschinen, die ich das ganze Leben nicht gesehen habe."
    Malermeister Robert Egger ist mit Emran sehr zufrieden. Er hat dem jungen Afghanen sogar schon einen Ausbildungsplatz in seinem Betrieb angeboten. Er wäre nicht der erste Lehrling, der aus der Berufsschule zu ihm kommt. Ohmed aus Afghanistan hat im Malerbetrieb erst kürzlich seine Lehre begonnen:
    "Der hat - wie der Emran - letztes Jahr auch Praktikum gemacht, über 3 Monate und hat sich so gut eingefügt und so gut bewährt, dass die Frau Niggl dann auf mich zugekommen ist und gefragt hat, ob er Lehre starten kann bei uns."
    "Was unterscheidet ihn z. B von einem deutschen Lehrling?"
    "Da gibt es eigentlich keinen Unterschiede. Es ist ein bisschen sprachliche Barriere. Aber so wie ich sie kennengelernt habe, holen sie es durch ihren Ehrgeiz sehr schnell auf."
    Ehrgeiz haben sie alle, das bestätigt auch ihre Klassenlehrerin Sina Guber, die die jungen Asylbewerber und Flüchtlinge seit fast einem Jahr an der Berufsschule Bad Tölz unterrichtet. Doch die Lernerfolge sind sehr unterschiedlich. Manche Schüler haben Talent darin, eine neue Sprache zu lernen. Deshalb konnten ihnen schneller als gedacht Ausbildungsstellen vermittelt werden. Andere dagegen tun sich mit der deutschen Sprache nach wie vor schwer, sie werden das erste Vorbereitungsjahr an der Berufsschule wohl wiederholen müssen. Waltraud Haase, eine ehrenamtliche Deutschlehrerin, findet das nicht gut.
    "Wir müssen uns da neue Modelle überlegen. Und zumindest diejenige, die hoch qualifiziert sind oder hoch motiviert oder hochintelligent, einfach kürzer beschulen und schneller in die Betriebe bringen."
    Die Lösung könnte heißen: externe Qualiprüfung für den qualifizierten Hauptschulabschluss, der die Chancen auf eine Ausbildungsstelle verbessert.
    Sprachkenntnisse als Schlüssel zur Integration
    Waltraud Haase hat mit anderen Ehrenamtlichen eine Gruppe gegründet, um Asylbewerber in nur drei Monaten auf die Prüfungen in Mathe und Deutsch vorzubereiten.
    Ein kleiner Raum im Franziskuszentrum inmitten von Bad Tölz. Fünf Schüler aus Eritrea, Syrien und Afghanistan sitzen Ende Mai mit ihrem Lehrer an einem runden Tisch. Hans Raasch war früher Zahnarzt, heute unterrichtet der Pensionär Mathematik. Die Afghanin Somaya versucht mit dem Koordinatensystem zu Recht zu kommen. Auf einer Übersetzungs-App ihres Handys sucht sie nach Begriffen wie Zirkel, Lineal und Achse.
    "Ich bin 27 Jahre alt, und ich möchte schneller ein Beruf hier. Ich kann nicht ohne Job, ich möchte bessere Leben."
    Somaya ist Mutter von zwei Kindern, acht und drei Jahre alt. Grund genug, dass ihr afghanischer Ehemann nicht will, dass sie einen Beruf erlernt.
    "Er sagt, Frauen müssen zu Hause bleiben und ich kann nicht."
    Somaya kämpft. Gegen die Traditionen ihrer afghanischen Heimat, wo man ihr die Schulbildung nach sieben Klassen verboten hat. Gegen ihren Mann, der das Leben, das sie anstrebt, nicht akzeptieren will. Doch das, sagt sie, sei ihr mittlerweile egal. Die 27-Jährige will mit ihren Kindern in Deutschland leben und auf eigenen Beinen stehen. Dafür tue sie alles, erzählt Sina Guber, die auch Somaya an der Berufsschule unterrichtet:
    "Ich bewundere sie, inwiefern sie das alles meistert hier. In einem fremden Land, mit dieser Situation, und macht zusätzlich noch die Schulbildung und lernt zusätzlich noch für einen Schulabschluss. Also ich denke, da muss man eine sehr starke Persönlichkeit sein."
    Berufsschule plant zwei neue Klassen für Flüchtlinge
    Anfang Juli hat Somaya die externe Qualiprüfung geschafft – mit der Note zwei. Die junge Mutter wird im September eine Ausbildung zur Arzthelferin beginnen.
    Bashir aus dem Irak und Imran aus Pakistan hingegen gehen den konventionellen Weg: Sie werden ein zweites Jahr an der Berufsschule bleiben und streben den Hauptschulabschluss an.
    Ihre Klassenlehrerin Sina Guber ist nach wie vor voll des Lobes für ihre Schüler. Sie habe großen Respekt vor diesen jungen Leuten, die in Deutschland bei null anfangen und sich eine neue Existenz aufbauen. Wie ihre Bilanz ausfällt? Die Lehrerin wirkt sehr nachdenklich:
    "Ich denke negativ, dass wir eventuell zu schnell zu viel wollen. Man muss hier wirklich sagen, man arbeitet mit traumatisierten Jugendlichen, jungen Erwachsenen, und dass man hier wirklich auch immer wieder die Menschen sieht."
    Im oberbayerischen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen leben heute etwa 600 Flüchtlinge und Asylbewerber. Weil der Flüchtlingsstrom nach Deutschland unvermindert anhält, dürfte sich diese Zahl bald verdoppeln. Auch deshalb plant die Berufsschule, im September zwei neue Klassen für diese jungen Menschen zu eröffnen. Die Lehrerin Sina Guber jedenfalls ist vom Erfolg ihrer Arbeit überzeugt:
    "Positiv, und zwar erst ihnen mal Deutsch zu lernen, und zwar auf diesem Niveau, dass sie sich hier in ihrer Umgebung verständigen können, das funktioniert mittlerweile sehr gut und auch dass sie gewisse Traditionen oder Kulturen hier kennenlernen und auch annehmen. Aber man muss natürlich auch immer wieder sehen, dass es sehr langsam vorangeht, aber doch sehr erfolgversprechend ist."