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Flüchtlinge in Italien
"Statt unsere Kinder retten sie nur ihre Banken"

Italien fühlt sich allein gelassen bei der Aufnahme der vielen Flüchtlinge, die nahezu täglich über das Mittelmeer die Küsten des Landes erreichen. Was genau getan werden sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Regierungschef Matteo Renzo sieht die EU in der Pflicht.

Von Karl Hoffmann | 04.06.2014
    Auf einem Boot sind Flüchtlinge dicht gedrängt.
    Diese Flüchtlinge wurden von der italienischen Marine gerettet. (picture alliance / dpa - Giuseppe Lami)
    Kaum ein Tag ohne dramatische Rettungsaktion vor der sizilianischen Küste. Am vergangenen Wochenende retteten Männer der italienischen Küstenwacht genau 3.517 Menschen von Flüchtlingsbooten im Kanal von Sizilien, oft in höchster Not.
    Zur gleichen Zeit im Rathaus der Stadt Catania am Fuße des Ätna: eine Trauerfeier für 17 Opfer der jüngsten Bootstragödie, unter ihnen zwei Kinder. Felix Asante, ein junger Afrikaner, legt Blumen auf einen der Särge mit der Aufschrift "cadavere non identificato, nichtidentifizierte Leiche, Nr. 5, sesso femminile, weiblichen Geschlechts". Auch er hat die gefährliche Überfahrt beinahe mit dem Leben bezahlt:
    "Es ist so traurig, das mit anschauen zu müssen. Ich weiß, was diese Menschen mitgemacht haben, ich habe es ja selbst erlebt. Mich hat Gott gerettet, viele andere aus unserem Boot starben auf hoher See. Ich habe den Tod vor Augen gehabt."
    Priester Piero Galvano beklagt ohne Umschweife die fehlenden politischen Maßnahmen, um zu verhindern, dass bei den gefährlichen Überfahrten immer wieder viele Flüchtlinge ums Leben kommen.
    "Weder in Europa noch in Italien will man das Problem in die Hand nehmen. Dafür ist die Immigration inzwischen ein Riesengeschäft geworden, zum Beispiel für die Schlepper. Es wäre viel besser, für eine humane und sichere Überfahrt zu sorgen, oder den Menschen bei ihrer Flucht an andere Orte zu helfen. In jedem Fall müssen wir dringend die Aufnahmeregeln für Flüchtlinge in Europa ändern."
    Doch die Meinungen, wie das geschehen soll, gehen auch in Italien weit auseinander.
    "Wir sind bedroht von der Zuwanderung, die außer Kontrolle geraten ist. Wir können keinen einzigen Immigranten mehr aufnehmen. Verteidigen wir unsere Grenzen, stoppen wir die Invasion, wählt die Lega Nord."
    Das Kalkül im Werbespot der fremdenfeindlichen Lega Nord ging auf. Bei der Europawahl erreichte sie über sechs Prozent und will sich dem Lager der französischen Wahlsiegerin Marine Le Pen anschließen. Nicht minder erfolgreich war aber auch Italiens Regierungschef Matteo Renzo, indem er das Problem in seinem Wahlkampf Brüssel in die Schuhe schob.
    "Bei der EU denkt man sich alle möglichen Regeln aus, welchen Fisch man wie im Mittelmeer fangen darf. Doch um die Menschen, die aus Libyen und Afrika kommen und im Meer ertrinken, kümmert sich niemand. Wir Italiener geben für diese Menschen unser Bestes, aber keiner der europäischen Partner hilft uns. Statt unsere Kinder retten sie nur ihre Banken."
    Den Dauernotstand vor Italiens Küsten nutzt Renzi rechtzeitig zum Auftakt des im Juli beginnenden italienischen EU-Ratsvorsitzes - zum Schachern um europäische Institutionen, die eigentlich nach Italien gehörten
    "Die EU muss ihre Grenzen besser in den Griff bekommen. Wir haben da diese Agentur namens Frontex, die in Polen sitzt, aber unbedingt auf das Mittelmeer ausgerichtet werden muss. Auch außenpolitisch müssen wir aktiver werden."
    Was genau geschehen soll, sagt aber auch Renzi nicht. Und über die inzwischen untragbaren Verhältnisse, in denen die geretteten Bootsflüchtlinge in Italien leben, wird peinlich geschwiegen.
    Auf einer kleinen Landstraße an Siziliens Westküste stehen drei junge Afrikaner. Untätig, beinahe apathisch. Sie sind vor der Diktatur in Gambia geflohen. Nun warten sie schon seit über einem ein Jahr vergeblich auf einen Asylbescheid.
    "Wir leiden unter diesen Verhältnissen, wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wir sind normale Menschen und solch ein Leben nicht gewöhnt. Das Essen, jeden Tag das Gleiche, was sie Pasta nennen, Spaghetti. Nur wenn wichtige Leute das Lager inspizieren, wird schnell alles wunderschön hergerichtet und es gibt plötzlich Huhn zu essen. Und am nächsten Tag wieder Pasta."
    Millionen Euro, auch Gelder der EU, enden oft nicht auf den Tellern der Flüchtlinge, sondern in den Taschen der Lagerverwaltungen. So dürfe man mit diesen Menschen nicht umgehen, sagt der sizilianische Bischof Francesco Montenegro.
    "Europa denkt immer nur an eine Wirtschaft und ans Geld. Wir sollten aufhören, sie immer nur als Immigranten zu sehen, statt als Personen. Es genügt nicht, wenn man ihnen einen Teller Nudeln und einen Schlafplatz gibt. Man muss ihnen helfen ein normales Leben zu führen."