Mittwoch, 24. April 2024

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Flüchtlinge in Köln
"Wir wollen Frieden, eine Arbeit, ein einfaches Leben"

In Köln sind auch Flüchtlinge schockiert von den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht am Hauptbahnhof. Sie sind teilweise selbst Opfer geworden, lehnen Übergriffe auf Frauen entschieden ab und wünschen sich eine lückenlose Aufklärung von der Polizei. Denn seit Silvester lastet auf vielen der Generalverdacht, Vergewaltiger und Kriminelle zu sein.

Von Birgit Morgenrath | 12.01.2016
    Eine Luftaufnahme zeigt das Panorama von Köln abends - mit Dom und Rhein.
    Viele Flüchtlinge stehen nach den Attacken an Silvester in Köln unter Generalverdacht (picture-alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Rund 70 Erwachsene und Kinder sind an diesem Sonntag ins Jugendheim gekommen. Sie unterhalten sich, spielen miteinander, völlig entspannt, trotz des großen Gedränges. Im Flur wird eifrig Kicker gespielt, im ersten Stock steht ein Billardtisch.
    Pünktlich zu Beginn kommen fünf junge Araber in die Werkstattstraße in Köln Nippes. Adrett gekleidet, freundlich und sofort gesprächsbereit.
    "Ich wohne in Köln Herkulesstraße 42, ich bin 35 Jahre alt ..."
    Flüchtlinge erstatten selbst Anzeige
    Mouaffaq-Al Obidi, ist Elektrotechniker und vor fünf Monaten aus dem Irak geflüchtet. Er spricht Englisch und übersetzt für seine Freunde. Sie waren in der Silvesternacht gemeinsam unterwegs. Âbbas Saif aus Syrien zeigt eine Anzeige der Kölner Polizei..
    "Mein Smartphone wurde mir am Hauptbahnhof gestohlen, ein iPhone 6 plus. Wir standen am Eingang zum Kölner Dom. Eine Gruppe von fünf Marokkanern kam auf uns zu. Ich war am telefonieren und einer von denen hat mir das Handy direkt vom Ohr weggeschnappt."
    Das wollte Abbas loswerden – jetzt geht er kickern. Aber Alrseed d'Omar, der Älteste aus der Gruppe will endlich etwas sagen.
    "Es tut mir so leid, weil diese Diebe gestohlen und Frauen angegriffen und dieses Feuerwerk in die Leute reingefeuert haben. Wir sind ja in einem anderen Land. Wir sind Flüchtlinge, wir wollen Frieden, eine Arbeit, ein einfaches Leben, keine Probleme."
    Mehrmals wiederholt der Iraker sein Statement. Er will sich unbedingt entschuldigen. Mouaffaq-Al Obidi ist der gleichen Meinung. Aber er wird verlegen, als er auf Nachfrage erklärt, dass Frauen im Irak abends nicht so locker gekleidet ausgehen wie die Frauen hierzulande. Mehr will er dazu nicht sagen. Vielleicht aus Höflichkeit. Da trifft es sich gut, dass eine junge Frau mit Kopftuch draußen vor dem Zentrum eintrifft. Die Syrerin Ismil Ihamn, Hausfrau und Mutter von drei Kindern, sagt entschieden:
    "Ich lehne solche Übergriffe auf Frauen total ab. Das gehört nicht zu unseren Werten. Solche Taten werden weder in Syrien noch in Deutschland akzeptiert. In Syrien laufen viele Frauen europäisch gekleidet herum wie hier. Das ist für uns ganz normal. Nur die Konservativen finden das anstößig. Auch sexuelle Attacken sind verboten. Die werden in der ganzen Welt abgelehnt. Menschen aller Nationen und Religionen sind frei, sich zu kleiden, wie sie wollen."
    Jetzt haben sich vor dem Zentrum viele um mein Mikrofon versammelt. Sie wollen sich äußern, zum Beispiel der junge Mann mit dem langen Haar in dem auffälligen weiß-schwarz karierten Jackett...
    ... er hat gesehen, wie Frauen angegriffen wurden und er hat die Polizei vermisst. Die Täter müssten abgeschoben werden, meint er. Und der Mann neben ihm ergänzt, so etwas wolle niemand in Deutschland erleben, ganz egal, welcher Herkunft die Täter seien.
    Dem schließt sich Johnny Montana an, ein erfahrener Asylbewerber, der seit drei Jahren in Deutschland auf seine Anerkennung wartet. Der Mann aus Burkina Faso hat genau zugehört und seine Meinung zurechtgelegt. Unmenschlich seien die Taten:
    "Besonders wenn es geht um die schwache Geschlecht, die Frau. So viele Männer auf einmal kommen und versuchen, mehrere Frauen sexuell zu belästigen. Das hat mir persönlich getroffen und sehr weh getan."
    Wunsch nach Aufklärung der Taten
    Aber Johnny Montana kritisiert auch, dass Presse und Polizei bereits nach fünf Tagen die angebliche Herkunft der Täter genannt hätten.
    "Ich habe selber Erfahrung gemacht, nach diese fünf Tage ich war in der U-Bahn. Ich habe hingesessen, zu ein paar ältere Damen, die haben mir gesehen als Farbiger, die sehen mich direkt als der Vergewaltiger oder als der Mittäter, obwohl in Silvester Nacht ich war zu Hause geschlafen habe. Ich bitte die, die Sache gründlich zu prüfen."
    Er bittet die Politiker, sich mehr Zeit für eine eingehende Analyse der massiven Vorfälle zu nehmen. Denn Deutsche sähen in ihm nur den Schwarzen. Er und andere stünden für ganz Afrika, auch wenn die Tatverdächtigen aus dem arabischen Raum stammten.
    Langsam schließt das Flüchtlingscafé. Manche Besucher wechseln in den ersten Stock. Dort beginnt eine andere Gruppe Ehrenamtlicher gerade mit der Zubereitung eines Abendessens.