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Flüchtlinge
Keine Zukunft in Bulgarien

Mehr als 5.300 Flüchtlinge haben in diesem Jahr bereits in Bulgarien Zuflucht gesucht. Die meisten wollen jedoch nicht bleiben, denn das Land hat kein Interesse an den Flüchtlingen. Ein Ortstermin im größten bulgarischen Flüchtlingscamp Harmanli zeigt, warum viele Gestrandete hier keine Zukunft sehen.

Von Karla Engelhard | 01.06.2016
    Der kleine Hevi lebt mit seinen Eltern und den beiden Schwestern in einem Zimmer im Flüchtlingslager Harmanli. Vater war Händler in Syrien - jetzt möchten sie nach Deutschland.
    Der kleine Hevi lebt mit seinen Eltern und den beiden Schwestern in einem Zimmer im Flüchtlingslager Harmanli in Bulgarien. Hevis Vater war Händler in Syrien - jetzt möchten sie nach Deutschland. (BR / Karin Straka)
    Die Kinder im bulgarischen Flüchtlingscamp Harmanli kennen einen Ausweg aus dem Flüchtlingsalltag. Der liegt am Ende eines dunklen Ganges, hinter einer abgeschlossenen Tür.
    Die runde Britin Saidie hat hier ihre Playschool, ein Zimmer in Schulklassengröße, voller Spielzeug, einer kleinen Kochecke, ein Fernseher, der nicht läuft und vielen gemalten Zeichnungen.
    Rund 15 Kinder zwischen 6 bis 12 Jahren toben herum, bauen einen Turm aus großen, leichten Plastesteinen oder kochen in der Puppenküche Lufttee. Den servieren sie uns um die Wette. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan oder Irak, aus Ländern in denen der Gast stets einen Tee bekommt, wenn nicht gerade Krieg ist. Vor dem sind sie mit ihren Eltern geflohen oder vor der Armut. Auf der Flucht ist keine Zeit zum Spielen. Die junge Lehrerin Sadie betreibt mit ihrer Mutter die Spielschule schon mehr als zwei Jahre:
    "Wir haben schnell begriffen, dass diese Kinder nicht einfach sitzen und lernen können, sie sind dafür noch nicht bereit. Sie müssen lernen, überhaupt wieder still zu sitzen, ihr Verhalten zu kontrollieren und sie müssen wieder spielen lernen. Unsere Spielschule ist ein sicherer Platz für die Kinder. Sie können mehr als zwei Stunden spielen und wir geben dabei zwanglosen Englischunterricht. Wir lernen den Kindern, wie man lernt."
    Der zierliche Hevi geht regelmäßig in die Spielschule. Er kam mit seinen zwei Schwestern und den Eltern aus Syrien. Im Flüchtlingscamp leben sie in einem Zimmer, im schmalen Flur wird gekocht.
    Wir werden von Hevis Vater herzlich empfangen, der uns ihre Geschichte erzählt. Die fünfköpfige Familie wollte nach Deutschland, umgerechnet 8.000 Euro zahlte der syrische Händler an die Schlepper - für einen Fußmarsch durch den Wald. Doch bulgarische Grenzer griffen sie auf und brachten sie nach Harmanli. Doch sie wollen weiterziehen, denn eine Zukunft für ihre Kinder sieht das syrische Paar nur in Deutschland, nicht in Bulgarien.
    Bulgarien hat kein Interesse an Flüchtlingen
    Die Sozialarbeiterin Diana Dimova hört das oft, sie gehört zum Netzwerk "Freunde für Flüchtlinge" und ist regelmäßig in Harmanli, Bulgariens größtem Flüchtlingscamp. Derzeit ist es fast leer, um die rund 120 Flüchtlinge kümmern sich circa 100 Beamte, die vor allem den Flüchtlingen schnell einen Flüchtlingsstatus vergeben. Diana Dimova kritisiert die bulgarische Flüchtlingspolitik scharf:
    "Die Regierung hat den angekündigten Integrationsplan für Flüchtlinge noch immer nicht verabschiedet, drei Jahr dauert dieser Prozess schon. Das macht die Regierung mit Absicht, sie will, dass die Flüchtlinge weiterziehen, dass sie einfach aus Bulgarien verschwinden."
    Der Frust unter den wartenden Flüchtlingen ist groß, für sie ist Bulgarien nur eine Zwischenstation. Etliche Wohnbaracken in Harmali wurden von Flüchtlingen demoliert, durchgetretene Pappwände und Türen, unbenutzbare Toiletten, herausgerissene Waschbecken. Die neurenovierte Kaserne wirkt von innen heruntergekommen. In der staatlichen Flüchtlingsagentur in Sofia meint deren Vizepräsident Daniel Indzhiev genervt:
    "Wir haben uns Flüchtlingscamps in Italien und Deutschland angesehen. Aber es gibt einen großen Unterschied. Deutschland ist Zielland und dort befolgen die Flüchtlinge die aufgestellten Regeln. Bulgarien ist ein Transitland und niemand schert sich um Regeln."
    Im größten Flüchtlingscamp von Harmanli stehen neue Wohncontainer für mehr als 400 Menschen bereit. Im Sommer werden wieder viele Flüchtlinge erwartet. Für viele von ihnen nur eine Zwischenstation ins Nirgendwo.