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Flüchtlinge
Schweden streitet über Anerkennung von Kinderehen

In Schweden sind Ehen mit Minderjährigen verboten. Ein Phänomen, das es ohne Flüchtlinge aus muslimischen Ländern kaum gab. Jetzt müssen die Behörden immer öfter über solche Kinderehen entscheiden – und schwanken zwischen Grundsatz und Großzügigkeit.

Von Carsten Schmiester | 03.11.2016
    Zwei Darsteller von "Terre des Femmes" spielen ein junges Mädchen im Hochzeitskleid und einen älteren Mann im Anzug
    Protestaktion von "Terre des Femmes" im November 2015 in Berlin. (imago / Christian Ditsch)
    Alaa Kara Mohammed aus Syrien ist als Flüchtling nach Schweden gekommen, aber nicht alleine, sondern mit seiner Frau, der minderjährigen Noura. Nach schwedischem Recht ein absolutes No-Go. Ehen mit Nicht-Volljährigen sind strikt verboten. Das entsprechende Gesetz ist seit 2014 in einer neuen aktualisierten Fassung in Kraft. Es sieht, anders als früher, grundsätzlich keine Ausnahmen mehr vor - und das macht die Sache schwierig: Für die schwedische Einwanderungsbehörde, aber natürlich auch für die jungen Flüchtlinge. Alaa Kara Mohammed hatte sich seine Ankunft in Schweden jedenfalls ganz anders vorgestellt, leichter, mit einem spürbaren "Willkommen". Das war ein Irrtum.
    "Wir kamen zuerst nach Malmö, dann nach Stockholm. Sie haben uns unsere Pässe abgenommen. Sie haben Noura fünf Tage von mir getrennt und sie hat geweint: 'Wie kannst du mich alleine lassen?' Aber ich konnte ja nichts tun. Dann haben sie uns interviewt. Bis dahin wussten sie nicht, dass sie schwanger ist. Ich habe ihnen gesagt, dass sie ihr Kind verlieren könnte, wenn sie die ganze Zeit weint und dass sie dann Schuld wären."
    Dunkelziffer liegt wohl weit höher
    Wenn es um verheiratete Flüchtlingskinder geht, dann schwankt Schweden zwischen Grundsatz und Großzügigkeit. Zuständig sind immer die Verwaltungen auf kommunaler Ebene, es gibt also keine verlässlichen nationalen Zahlen. Niemand weiß genau, wie viele "Kinderpaare" eigentlich im Land sind. Im vergangenen Jahr sind gut 130 solcher Paare, bei denen er, meist aber sie, jünger war als 18 Jahre, vom "Skatteverket", der schwedischen Steuer- und Meldebehörde "anerkannt" worden, so viel steht fest.
    Die Dunkelziffer dieser Paare dürfte aber weit höher liegen. Die Mädchen sind in den meisten Fällen zwischen 15 und 17 Jahre alt, manchmal jünger. Wenn sie sich bei den örtlichen Behörden als verheiratet melden und den Wunsch äußern, mit ihrem Ehepartner zusammenleben zu wollen, wird darüber vor Ort entschieden.
    In vielen Fällen wird der Bitte entsprochen, aber es gibt auch Städte und Gemeinden, die sich strikt an das Gesetz halten, Göteborg zum Beispiel. Dort nimmt man es den minderjährigen Flüchtlingsmädchen nicht ab, dass sie freiwillig geheiratet haben. Juno Blom ist Verwaltungsrat in Östergötland und beschreibt die Zwickmühle, in der sie und ihre Kollegen sich befinden.
    "Dann kommen diese Kinder nach Schweden, die sich schon in einer Ehe befinden. Dafür haben wir ein Gesetz, das es schon seit einiger Zeit gibt. Und trotzdem wird es widersprüchlich: Sollen wir diese Ehe anerkennen? Es ist wichtig, dass kein Zwang mit im Spiel ist, denn dann können wir das nicht tun. Auf der anderen Seite muss das Wohl des Kindes an erster Stelle stehen."
    Suche nach Kompromiss ist schwierig
    Åsa Regner ist Kinder- und Gleichstellungsministerin in Schweden. Erst vor wenigen Tagen hat sie in einem Rundfunkinterview erklärt, dass das Gesetz gegen Kinderehen zurzeit erneut auf dem Prüfstand steht. Der Konflikt ist erkannt, die Suche nach einem Kompromiss aber offenbar schwierig:
    "In Schweden soll es keine Kinderehen geben. Deshalb haben wir Ausnahmen für unter 18-Jährige abgeschafft. Aber dabei an Personen gedacht, die schon in Schweden leben, nicht an Immigranten. Uns ist es wichtig, dass Kinder, die nach Schweden kommen und verheiratet sind, trotzdem die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, wie alle anderen Kinder auch."
    Noura Khalaf, die minderjährige und schwangere Frau von Alaa Kara Mohammed, hofft, dass sich auch mit einem neuen Gesetz für sie nichts ändert. Denn ihre Ehe ist als eine der Ausnahmen anerkannt worden, sie durfte nach der kurzen Trennung wieder zu ihrem Mann ziehen.
    "Ich bin so glücklich. Weil ich bei ihm sein kann und das Baby behalten darf, unser Baby!"