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Flüchtlingsaufnahme in Berlin
Warten in der Kälte

In Berlin treffen jeden Tag bis zu 700 neue Flüchtlinge ein. Die Berliner Behörden sind damit überfordert. Vor der Erstregistrierungsstelle in Berlin Moabit schlafen Menschen nachts auf der Straße, klagen Helfer - und jetzt wird es auch noch kalt. Ein Besuch vor Ort.

Von Philip Banse | 26.11.2015
    Flüchtlinge warten im Regen vor dem LaGeSo in Berlin auf einen Termin.
    Flüchtlinge warten im Regen vor dem LaGeSo in Berlin auf einen Termin. (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Alev ist 31, kommt aus Afghanistan. Er trägt eine gelbe Windjacke und sein Hab und Gut in einem Rucksack. Orientierungslos steht er auf dem Bürgersteig vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin Moabit, einem von drei Orten in Berlin, wo sich Flüchtlinge zuerst registrieren müssen. Jeden Tag kommen rund 700 Flüchtlinge nach Berlin. Alev kramt seine Papiere aus der Tasche.
    Anderthalb Monate sei er unterwegs. Iran, Türkei, Griechenland, Serbien. Aus Österreich brachte ihn ein Zug nach Eisenhüttenstadt, da bekam er eine ...
    "... Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber."
    Die Polizei in Eisenhüttenstadt habe ihn hierher nach Berlin geschickt, sagt Alev und zeigt einen ausgedruckten Reiseplan der Bahn.
    "Eisenhüttenstadt - Berlin"
    Doch Alev kommt zu spät. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales registriert neue Flüchtlinge nur bis 14.30. Jetzt ist es 17 Uhr. Das heißt, Alev steht mit etwa 150 anderen Flüchtlingen vor einem langen Bauzaun, der den Bürgersteig vom Gelände der Landesanstalt trennt. Sicherheitsleute bewachen den Bauzaun, lassen auch keine Journalisten durch.
    "Nein, hier kommt keiner mehr rein."
    Eigentlich genügend Platz: Einlass wird trotzdem nicht gewährt
    In drei weißen Zelten hinter dem Bauzaun auf dem Gelände der Landesanstalt sitzen weit über 100 Flüchtlinge auf Bierbänken. Sie hatten sich bis 14.30 registrieren lassen und warten jetzt auf Busse, die sie in Schlafunterkünfte fahren sollen, irgendwo in Berlin.
    Alev versteht nicht, wieso er nicht wenigstens in eines der Zelte gelassen wird. Eine Dolmetscherin hinter dem Bauzaun, erklärt ihm, sie habe eben im Zelt mit einem Vertreter des Landesamtes gesprochen, der für die Erstregistrierung der Flüchtlinge zuständig ist.
    "Ich habe gesagt, ich habe schon versucht, dich reinzuholen, damit du dich warm machen kannst. Er meinte: nein. Nur Familien dürfen rein, der Rest jetzt ist Schluss. Obwohl genug Platz ist da drin, es ist auch warm. Aber ich will das nicht diskutieren, lohnt sich nicht. Ich will nicht diskutieren mit Security, ich habe schlechte Erfahrungen gemacht. Ich möchte schreien und heulen, aber ich kann nicht, ich gehe kaputt."
    Offiziell gehen die Tore im Bauzaun erst wieder morgen früh um 9 Uhr auf. Auf die Busse will Alev nicht warten, wie all die anderen hier in der Kälte will er nicht weg. Er hat Angst, morgen nicht rechtzeitig wieder hier zu sein.
    "Er soll eine Stunde hier draußen bleiben und dann direkt da gehen ...."
    Mindestens 15.000 Flüchtlinge sind noch nicht registriert
    Die Dolmetscherin deutet auf eine erleuchtete Turnhalle, schräg über die Straße. Eine Notunterkunft. Weil die Verwaltung überlastet ist, sind mindestens 15.000 Flüchtlinge in Berlin noch nicht registriert.
    "Unorganisiert nur. Unorganisiert ohne Ende. Das kann man viel besser machen. Papierkram schneller werden, dauert ohne Ende. Ich weiß nicht, warum."
    Die Dolmetscherin heißt Mahnaz Siavashi, sie ist vor 26 Jahren selbst aus dem Iran geflohen. Drei Monate hat sie hier ehrenamtlich gedolmetscht, jetzt hat sie das Landesamt angestellt.
    Alev, der Flüchtling aus Afghanistan, fragt die Dolmetscherin, wie das hier für ihn in den nächsten Tagen weitergeht.
    "Sogar, wenn ich frage, was passiert die nächsten Tage: Keiner kann mir antworten. Keiner weiß das!"
    "Ich habe es jetzt hierher geschafft", sagt Alex. "Aber ich bin nicht glücklich. Meine Familie ist noch in Afghanistan, ich weiß nicht, wann ich sie wiedersehe und ich frage mich, was ich hier soll, was mir diese Sicherheit hier bringt."
    Lange Schlangen, Menschen übernachten in der Kälte - die Zustände vor dem Landesamt und der Registrierungsstelle sind seit Monaten Thema in Berlin. Eine zweite Registrierungsstelle hat nicht viel Entlastung gebracht. Jetzt sollen neue Mitarbeiter eingestellt werden, verspricht die Landesregierung. Vor allem die Sicherheitsleute sorgen für Ärger. Anfang Oktober prügelten Mitarbeiter der Sicherheitsfirma SpySec auf Flüchtlinge ein, die am Boden lagen.
    Jetzt veröffentlichte die Boulevard-Zeitung "BZ" ein Video. Es zeigt einen Sicherheitsmann, der im Pförtnerhäuschen des Landesamts über Flüchtlinge herzieht. Seine Stimme wurde unkenntlich gemacht.
    Angesichts der Flüchtlinge sagt der Sicherheitsmann:
    - "Allein da kriege ich Hakenkreuze in den Augen, nur bei so etwas"
    - "Pegida und AfD ist gut. Alles ist gut, was dazu dient, der Sache."
    Helfer und Gutmenschen seien die ersten, die verschwinden werden.
    - "Wir haben noch genug Ferienlager. Ich schöre dir, die werden wieder genutzt. Auf das Tor: Arbeit macht frei."
    Strafanzeige gegen Sicherheitsfirma
    Die Piraten im Berliner Landtag haben Strafanzeige gestellt, die Opposition fordert, der Sicherheitsfirma Gegenbauer zu kündigen.
    "Manche sagen, die reden mit uns wie mit Tieren, wir haben kein Wert hier. Jeder schreit uns an hier."
    Mahnaz Siavashi, die Dolmetscherin.
    "Ich versuche, die Leute miteinander in Kontakt zu bringen, damit sie nett miteinander reden."
    Alev, der Mann aus Afghanistan, geht mal rüber zur Turnhalle, wo die Betten stehen. Es ist zwar noch nicht 7 Uhr, aber Busse sind auch noch nicht aufgetaucht.
    - "Wie kommt man denn in die Turnhalle?"
    - "Später!"
    - "Was heißt denn später?"
    - "Ab acht."
    - "Ab acht?"
    Dieter Burmeister ist Rentner und arbeitet ehrenamtlich in der Notunterkunft. Er macht eine kurze Führung durch die aufgeräumte Turnhalle mit den 120 Betten, aber Alev, der Afghane, muss draußen bleiben.
    "Weil das Notaufnahme ist. Die Busse fahren bis um acht. Die Busse können ihn bis um acht in andere Notaufnahmelager mitnehmen und hier ist es wirklich allerletzte Not. Ansonsten wird es hier sofort voll und die, die nach acht kommen, haben keine Chance mehr."
    Wieder vor dem Bauzaun am Landesamt. Auf einmal öffnen Sicherheitsleute ein Tor und lassen ein Dutzend Flüchtlinge aufs Gelände. Mit dabei Alev, der Afghane, in seiner gelben Windjacke. Er kommt noch mal zum Zaun, küsst mir durch die Stäbe auch die Wange und verschwindet lächelnd im Zelt. Willkommen in Deutschland.