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Flüchtlingsdebatte
Herrmann: Abschiebungen zu hintertreiben, ist nicht okay

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat sich hinter Parteikollege Alexander Dobrindt gestellt, der mit dem Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" Diskussionen auslöste. Es gebe in Deutschland politische Kräfte, die jede Abschiebung verhindern wollten, sagte der CSU-Politiker im Dlf. Das könne aber nicht hingenommen werden.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Dirk Müller | 08.05.2018
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) äußert sich in Berlin, vor ihm die Mikrofone mehrerer Sender.
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) (Jörg Carstensen/dpa)
    Dirk Müller: Der Großeinsatz der Polizei in Ellwangen, der notwendig war, um einen abgelehnten Asylbewerber abzuschieben, hat die Flüchtlingsdiskussion hierzulande aufs Neue voll entfacht, emotionalisiert, polarisiert, auch in der Koalition. Alexander Dobrindt spricht von einer aggressiven Anti-Abschiebe-Industrie und meint damit Anwälte, Hilfsorganisationen und vielleicht auch viele in der Politik, viele Grüne, vielleicht sogar auch Sozialdemokraten, Koalitionspartner. Die Aufregung, die Empörung bei letzteren ist groß. Natürlich müssen die Möglichkeiten des Rechtsstaates genutzt werden, heißt es von Seiten der SPD, und das sieht auch die Kanzlerin so, ebenfalls die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer.
    Jemand, der viel und häufig mit seinem Parteifreund Alexander Dobrindt spricht und kommuniziert und von Amtswegen für innere Sicherheit und für Flüchtlinge zuständig ist, ist der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, bei uns jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott!
    "Bin kein Einflüsterer für Alexander Dobrindt"
    Müller: Herr Herrmann, haben Sie ihm gar diese Formulierung eingeflüstert?
    Herrmann: Nein, ich bin kein Einflüsterer für Alexander Dobrindt. Aber dass es schon einige problematische politische Kräfte gibt in unserem Land, die generell jede Abschiebung verhindern wollen, das ist ein echtes Ärgernis.
    Müller: Werden Sie diesen Begriff aggressive Anti-Abschiebe-Industrie auch verwenden?
    Herrmann: Jeder hat seine eigene Wortwahl und ich glaube, es kommt darauf an, dass wir insgesamt eine erfolgreiche konstruktive Asylpolitik gestalten. Das heißt: Diejenigen, die wirklich verfolgt sind, werden aufgenommen bei uns und bestmöglich integriert. Aber diejenigen, die rechtskräftig abgelehnt sind in ihrem Antrag, die müssen unser Land auch wieder verlassen. Beides muss unser Staat konsequent durchsetzen.
    Müller: Es sind nicht Ihre Worte und Sie werden sie auch nicht benutzen?
    Herrmann: Wir brauchen jetzt keine Wortklauberei betreiben. Jeder hat seine eigene Art, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Wir sind für Inhalte der Politik zuständig und wenn Sie über die speziellen Worte von Alexander Dobrindt mit ihm sprechen wollen, dann tun Sie das. Ich bin nicht dazu da, ständig alle anderen Politiker zu kommentieren.
    Müller: Da haben Sie völlig recht. Wir haben auch versucht, Alexander Dobrindt zu gewinnen für heute Morgen. Das hat aber nicht geklappt.
    Herrmann: Er ist beim Treffen der Koalitionsspitzen entsprechend aktiv.
    "So können wir das nicht hinnehmen"
    Müller: Herr Herrmann, wir wollen auch keine Wortklauberei betreiben. Trotzdem danke, dass Sie sich diesem Thema stellen heute Morgen. Es war ja klar, dass wir beide darüber reden. Ich möchte aber noch einmal darauf zurückkommen. In der Flüchtlingsdebatte, in der angeheizten, aufgeladenen, emotionalen und emotionalisierten Flüchtlingsdebatte, ist es da klug, einen solchen Gassenhauer rauszuhauen?
    Herrmann: Das Entscheidende ist doch, wenn ich mir diese Zustände in Ellwangen anschaue, dass sich viele Menschen in unserem Land natürlich empören, wenn es da zu solchem gewalttätigen Widerstand von Menschen kommt, die in unser Land kommen, weil sie hier Zuflucht suchen, die hier Asyl begehren. Und wenn man dann gewalttätig wird gegenüber unserer Polizei, dann ist das einfach völlig indiskutabel. Und wenn dann bestimmte Gruppierungen auch noch eher Sympathie haben für solche, die sich ihrer Abschiebung widersetzen wollen, und dann eher den Rechtsstaat kritisieren, dann muss man schon zurecht auch sagen, so können wir das nicht hinnehmen.
    Müller: Wen meinen Sie denn mit diesen Gruppierungen?
    Herrmann: Es ist doch offenkundig geworden, und das erlebe ich ja selbst auch bei uns in Bayern jede Woche, dass hier Leute mit besonderen Sympathien für Flüchtlinge letztendlich sich dem klaren Vorgehen auch unseres Rechtsstaates da widersetzen wollen, dass der Staat dafür, dass er Recht durchsetzt, kritisiert wird. Wir haben Leute, die wollen überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen. Von denen erwarte ich, dass sie die rechtsstaatlichen Entscheidungen akzeptieren. Und wenn dieser Rechtsstaat entschieden hat, da hat jemand Anspruch auf Asyl und wird bei uns aufgenommen, dann muss das jeder Bürger in unserem Staat akzeptieren.
    Umgekehrt gilt aber auch: Wenn dieser Rechtsstaat mit einem rechtsstaatlichen Verfahren, mit Verwaltungsgerichtsverfahren, wie es sie in kaum einem anderen Land der Welt gibt, sorgfältig geprüft hat und entschieden hat, da ist jemand, der hat keinen Anspruch, hier zu bleiben, dann muss das auch von den Bürgern akzeptiert werden und wird es ja auch von den allermeisten. Aber wir können nicht hinnehmen, dass da ein paar meinen, sie könnten sich über den Rechtsstaat hinwegsetzen.
    "Wenn es gewalttätig wird, hört der Spaß auf"
    Müller: Aber meinen kann man ja viel. Meinen dürfen wir ja noch in Deutschland. Dafür setzen Sie sich ja auch immer ein, für die Meinungsfreiheit.
    Herrmann: Ja, für die Meinungsfreiheit schon. In dem Moment, wo das dann aber gewalttätig wird, hört der Spaß auf. Wenn jemand planmäßig versucht, Abschiebungen zu hintertreiben, dann ist das eben nicht okay.
    Müller: Gewalt hat Dobrindt bestimmt in dem Zusammenhang nicht gemeint. Aber Sie sagen bewusst hintertreiben. Wer ist das? Können Sie uns ein Beispiel nennen? Sind das Organisationen, sind das Anwälte, wer ist das?
    Herrmann: Ja. Natürlich wird zum Beispiel immer wieder versucht, auch von Flüchtlingsorganisationen …
    Müller: Also Pro Asyl zum Beispiel?
    Herrmann: Wenn klar ist, da wird jetzt jemand nächste Woche wahrscheinlich versucht, ihn in seine Heimat zurückzubringen, dann wird den Menschen geholfen unterzutauchen. Dann sind die verschwunden, so dass dann die Polizei erst wieder nach denen fahnden muss, um sie wieder einzufangen. Das wird von manchen natürlich - und das meint Dobrindt – wirklich planmäßig unterstützt. Die Meinungsfreiheit wird in unserem Land selbstverständlich respektiert und wenn einer dafür propagieren will, dass wir jeden auf der Welt bei uns aufnehmen, dann darf er das sagen. Es ist aber auch klar, dass unser Staat einen anderen Auftrag hat kraft Gesetzes.
    "Das sind absurde Vorstellungen"
    Müller: Sind das offizielle Hilfsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, die Sie meinen, wie Pro Asyl beispielsweise?
    Herrmann: Also bitte, was jetzt Alexander Dobrindt ganz konkret gemeint hat, das fragen Sie ihn bitte selbst.
    Müller: Nein, was Sie meinen. Ich frage Sie ja: Was meinen Sie denn? Sie sagen, Sie erleben das als Innenminister in Bayern so gut wie täglich oder jede Woche.
    Herrmann: Zum Beispiel in Bayern der sogenannte selbsternannte Flüchtlingsrat, der entsprechend hier ständig alles, was der Freistaat Bayern tut, kritisiert, die Abschiebungen kritisiert, grundsätzlich behauptet, das sei alles menschenrechtswidrig und dergleichen mehr. Das sind absurde Vorstellungen und auch solche, die klar unserer Rechtsordnung widersprechen, und ich denke, so wie die ihre Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen, so darf natürlich auch ich als Innenminister erklären, dass ich das für wirklich Unfug halte, was die treiben.
    Müller: Bleiben wir mal bei diesem bayerischen Flüchtlingsrat. Der wird vielen jetzt nicht so viel sagen. Der Flüchtlingsrat ist immer wieder in der Presse. Das heißt, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, machen die Dinge, die illegal sind?
    Herrmann: Sie erklären ständig, dass das, was der Rechtsstaat tut, was eindeutig dem gesetzlichen Auftrag entspricht, menschenrechtswidrig sei, dass das nicht okay sei und vieles mehr, und damit darf man sich auch kritisch auseinandersetzen und ganz klar sagen, die Polizei, die Verwaltungsgerichte, die vollziehen das, was Parlamente in Deutschland klar beschlossen haben, was sich aus unserer Verfassung ergibt. In der Verfassung steht nicht, dass jeder, der nach Deutschland kommt, hier aufgenommen werden soll und auf Dauer hier bleiben kann, sondern da steht, dass politisch Verfolgte, rassistisch, religiös Verfolgte Anspruch auf Asyl haben. Die und nicht jeder, der in unser Land kommt. Das ist Auftrag gesetzlicher Organe, dieses umzusetzen.
    "Es wird natürlich auch planmäßig hintertrieben"
    Müller: Um da noch mal nachzufragen? Das heißt, Sie regen sich jetzt darüber auf, dass dieser Flüchtlingsrat, wer auch immer, welche Organisation auch immer das permanent kritisiert, oder geht das weiter, weil kritisieren dürfen wir ja?
    Herrmann: Ja, es wird natürlich auch planmäßig hintertrieben, wenn Abschiebungen stattfinden sollen. Es wird dann Personen offensichtlich auch beim Untertauchen geholfen und und und. Ich denke, so etwas anzusprechen, ist richtig. Trotzdem ist es der Auftrag des Staates, dass wir klar entsprechend umsetzen. Wir helfen den Menschen, die hier bleiben können, aber wir sagen genauso klar, diejenigen, die rechtskräftig abgelehnt worden sind, müssen unser Land wieder verlassen, und das wird Schritt für Schritt auch weiter durchgesetzt.
    Müller: Sind Sie dann, Herr Herrmann, auch häufiger sauer auf die Kirchen, auf einige in den Kirchen, die ja auch hin und wieder Flüchtlinge aufnehmen, vielleicht sogar verstecken, verbergen?
    Herrmann: Ich sage, was ich im Einzelfall davon halte. Es wird jeder Einzelfall geprüft und da bin ich dankbar für das, was übrigens auch viele Menschen ehrenamtlich leisten zur Integration von Flüchtlingen. Aber ich sage genauso kritisch auch, wenn jemand hier über das, was letztendlich der gesetzliche Rahmen in unserem Land bietet, deutlich hinausschießt.
    Müller: Flüchtlinge zu verstecken, nachdem klar ist, dass sie abgeschoben werden können und sollen, rechtskräftig, ist das noch eine Frage der Toleranz, oder kommt das alles zur Anzeige?
    Herrmann: Das Oberlandesgericht München hat erst in der vergangenen Woche wieder klar entschieden, dass natürlich, wenn es sich um illegalen Aufenthalt handelt, das auch nicht zulässig ist. Und da muss man klar sehen: Es ist nicht zulässig, dass jemand, wo festgestellt worden ist, dass er kein Recht zum Aufenthalt hat, hier sich trotzdem in unserem Land aufhält, das ist nach geltendem Recht, was unstrittig ist auch im Deutschen Bundestag, das ist ein Straftatbestand illegaler Aufenthalt.
    Pfarrgemeinden sollen sich an die Vereinbarungen halten
    Müller: Und dann greifen Sie auch zu, ganz egal wo das ist, auch bei Kirchen?
    Herrmann: Wir respektieren in Bayern seit jeher die besondere Stellung der Kirchen, auch in Punkto Kirchenasyl. Aber ich denke, wir müssen auch da Grenzen erkennen. Es gibt eine klare Vereinbarung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit der Katholischen und der Evangelischen Kirche, und ich kann nur dringend raten, dass sich die zahlreichen Pfarrgemeinden, die mit diesem Thema beschäftigt sind, auch an diese Vereinbarung halten.
    Müller: Hat es da Verstöße gegeben in der jüngsten Zeit, in den zurückliegenden Wochen? Wissen Sie das?
    Herrmann: Wir haben auf jeden Fall über die letzten zwei Jahre schon eine ganze Reihe von Fällen gehabt, wo sich in der Tat Kirchengemeinden vor Ort nicht an die abgesprochenen Verfahren gehalten haben. Das habe ich auch gegenüber den Kirchen wiederholt kommuniziert.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Danke für das Gespräch. Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Herrmann.
    Herrmann: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederschauen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.