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Flüchtlingsdrama auf der Bühne
"Ein Blick von der Brücke" in Mannheim

Die Flüchtlingsproblematik ist auch auf deutschen Theaterbühnen ein Thema. Die Frage ist nur, wie. Beim Versuch des Mannheimer Nationaltheaters, dem Sujet künstlerisch zu begegnen, wurde jene dramaturgische Unbedarftheit sichtbar, die sich immer dann einstellt, wenn der gute Wille Sanitäter spielt.

Von Christian Gampert | 05.10.2015
    Das Nationaltheater Mannheim, aufgenommen 2004
    Das Nationaltheater Mannheim (picture-alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Natürlich muss das Theater auf die Migrationsbewegungen in Europa reagieren. Die Frage ist nur, ob es die ästhetischen Mittel dazu hat. In einem dreigeteilten Abend im Mannheimer Nationaltheater hielt zunächst der Migrationsforscher Klaus Bade einen schneidigen antikapitalistischen Vortrag, in dem er eine "Weltkrise" konstatierte, die Fluchtbewegungen erzeuge. Angela Merkels Ausruf "Wir schaffen das" hat laut Bade nun einen "Schabowski-Effekt" zur Folge – eine Vokabel, über die man mal nachdenken sollte...
    Als das meist ergraute und wohlsituierte Publikum sich dann aus dem Foyer in den Theatersaal begab, aus der Volkshochschule in den Raum der Kunst, kam es zum Offenbarungs-Eid: es wurde – leider - jene dramaturgische Unbedarftheit sichtbar, die sich immer dann einstellt, wenn der gute Wille Sanitäter spielt. Der Schauspielintendant Burkhard Kosminski hat ein Stück zum Thema gesucht und Arthur Millers "Blick von der Brücke" gefunden, ein ziemlich halbgares Eifersuchtsdrama im amerikanischen Immigrantenmilieu. Das dramaturgische Problem besteht darin, dass Miller einerseits eine psychologische Studie des alternden Arbeiters Eddie Carbone bieten möchte, der seine nun flügge werdende Nichte Cathy in New York aufgezogen hat und nun heftig begehrt – andererseits mit dem Anwalt Alfieri eine altmodische Erzählerfigur einführt, die ständig persönliche und politische Kommentare abgibt. Das wirkt mehr als antiquiert – obgleich die Regie gerade jener Figur aktuell-politische Reflexionen in den Mund legt.
    Die armen sizilianischen Verwandten, die nun ohne Arbeitserlaubnis nach Amerika einreisen, bringen auch nicht viel Bewegung in Kosminskis statuarisches Puppenspiel: der junge Rodolpho ist zwar (bei Alexey Ekimov) ein netter Filou, und es ist klar, dass die frische Cathy sich eher von ihm flachlegen lässt als von dem dumpf grübelnden Onkel, der eher mit seiner Ehefrau ein paar Dinge klären sollte. Aber das Ganze kommt in Mannheim über ein verschwitzt brütendes Stadttheater-Pathos nie hinaus. Der eifersüchtige böse Onkel wird Rodolpho, den Illegalen, bei der Polizei denunzieren, ein mitgereister Verwandter wird sich blutig rächen. Zwecks besserer Verständlichkeit huschen immer wieder heutige Migranten über die Bühne, und der Anwalt Alfieri gibt uns politisch Korrektes mit auf den Weg.
    Fragen, die sich das Theater nur ungern stellt
    Während die Miller-Inszenierung also die Perspektive des Sexualneids bedient und wegen Plattheit grandios scheitert (die alte Urangst "die jungen Einwanderer nehmen uns unsere Frauen weg" müsste bei der Hauptfigur viel genauer untersucht werden), kommt der Abend in einem dritten Teil dann endlich zum Punkt. Der Journalist Peter Michalzik hat sich mit Mannheimer Migranten unterhalten und diese Interviews zu einem Text verdichtet, der uns diese Einzelschicksale auf anrührende Weise nahebringt. Schauen wir einfach mal nach, was das für Menschen sind, über die wir andauernd politisch debattieren – das ist der Ansatz. Woher sie kommen, was sie erlebt haben, warum sie bleiben wollen. Das Ganze ist von Burkhard Kosminski ein bisschen sakral inszeniert, wie in der Kirche, aber es braucht vielleicht einfach diese Ruhe und Feierlichkeit, um diesen Menschen einmal zuzuhören.
    "Wir leben zu siebt in einer 2-Zimmer-Wohnung. Klar ist das ein Problem, wenn ich lernen will, oder wenn jemand schlafen will. Wir haben dem Sozialamt gesagt, dass es manchmal Schwierigkeiten mit dem Lärm gibt. Aber wir haben Geduld. Besser ein Zimmer hier als fünf Zimmer in Afghanistan."
    Wir lernen kennen: Ghafar aus Afghanistan, dessen Bruder zu Hause die Wohnung nicht mehr verlassen kann wegen der Taliban; Fariha und Muna, zwei Mädchen aus Libyen, dem Bürgerkrieg entkommen, Bootsflüchtlinge; Shagufta aus Pakistan und Linda aus dem Kosovo, die vor ihren Männern davonliefen; Poulina aus dem umkämpften Mossul im Irak; Ali aus Somalia, der von der Al-Shabab-Miliz bedroht wurde, unter dem Affenbrotbaum seiner Frau Treue schwor und sie nach langer Zeit in Europa wiederfand. Und Modou aus Gambia, den die deutschen Behörden einfach vergessen haben. Diese Geschichten sind komplexer, als es der eng gefasste Asylparagraf zulässt, Geschichten von Armut, radikaler Frauenunterdrückung und Krieg; getrennte Familien, zerstörte Bildungsbiografien.
    Das Absurde ist, dass die meisten dieser Flüchtlinge wegen der Rechtssicherheit in Deutschland sind: endlich keine direkte Gewalt mehr. Dass aber genau die Exekutive dieser Rechtssicherheit, die Bürokratie, ihnen das Leben schwer macht. Natürlich schwingt dieser letzte Teil des vierstündigen Abends auch die Moralkeule, aber die Regie tut dies relativ vorsichtig und dezent. Die strukturellen Probleme, die die Migrantenbewegungen in Europa verursachen, werden durch die Betrachtung dieser Einzelschicksale nicht gelöst. Aber es wird klarer, wen wir da wohin zurückschicken – wenn wir sie denn zurück schicken ... Oder auch nicht.
    Aber die Frage bleibt: Wer soll in den Herkunftsländern dieser Migranten eigentlich für Veränderung sorgen, wenn die Besten gehen?? Das ist eine Frage, die das Theater sich nur ungern stellt.