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Flüchtlingsgipfel der Länder
Überforderte Kommunen und fehlende Konzepte

Bund und Länder wollen am Donnerstag ein umfangreiches Paket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beschließen. Allein in Hannover sind in diesem Jahr rund 3.000 Flüchtlinge angekommen, bis Januar soll sich die Zahl etwa verdoppeln. Die Probleme in der Landeshauptstadt von Niedersachsen stehen exemplarisch für ganz Deutschland.

Von Benjamin Dierks | 23.09.2015
    Ein Mädchen aus Eritrea steht neben seiner Mutter vor einem Absperrgitter in einer Turnhalle.
    Flüchtlinge benötigen mehr als nur ein Dach über dem Kopf. (dpa / Andreas Gebert)
    Amer und Youssef stehen an einer Tischtennisplatte und spielen sich ein paar Bälle zu. Aus einem Handy schallt Musik. Die beiden schlagen die Bälle etwas unbeholfen in hohem Bogen.
    Tischtennis, so etwas hätten sie in ihrer Heimat in Sindschar im Irak nicht gehabt, sagt Youssef. Er benutzt den kurdischen Namen Singal für die Stadt im Nordwesten des Irak an der syrischen Grenze. Und Amer, der schon ein paar Worte Deutsch aufgeschnappt hat, hilft ihm bei der Übersetzung. Zuhause, da hätten sie tagaus, tagein auf dem Feld gestanden. Ein wenig Fußball hier und da, das schon, aber Tischtennis habe es nicht gegeben. Amer und Youssef sind Jesiden und aus Sindschar geflohen, als die Stadt vom Islamischen Staat überfallen wurde, erzählen sie. Seit rund drei Monaten leben sie in einer Turnhalle im Hannoveraner Bezirk Linden-Limmer, den das Stadtmarketing als "bunten Stadtteil" beschreibt – viele Altbauten aus der Jahrhundertwende, Cafés, bemalte Kulturzentren, ein hoher Anteil an Zuwanderern, und ein grüner Bezirksbürgermeister. Die Turnhalle von Amer und Youssef hingegen ist trist.
    "Nicht gut", sagt Amer nur, und schüttelt den Kopf. Mit ihm sind hier nur Männer untergebracht, um die 50 sind es. Sie sind allein nach Deutschland geflohen, um Asyl zu beantragen, aus dem Irak, aus Syrien, aus einigen afrikanischen Staaten oder dem Westbalkan. Nun hausen sie auf engstem Raum in dem Rotklinkerkasten, der im Auftrag der Stadt vom Roten Kreuz als Notunterkunft für Flüchtlinge betrieben wird. Privatsphäre gibt es nicht, Langeweile bestimmt den Tag. Das Essen kommt von einem Lieferdienst. Dass Amer und Youssef Tischtennis spielen oder mal eine Radtour machen können, haben sie ihren Nachbarn zu verdanken. Im ehemaligen Grundschulgebäude nebenan leben Menschen in einem alternativen Wohnprojekt zusammen. Die haben kurzerhand den Zaun zwischen ihrem Grundstück und den zwei benachbarten Turnhallen geöffnet und die Asylbewerber eingeladen, ihren Hof und ihre Fahrradwerkstatt mitzubenutzen.
    Flüchtlinge laufen am 27.08.2015 mit Koffern bepackt auf einem Weg einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) entlang.
    Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ingelheim in Rheinland-Pfalz (picture alliance / dpa/ Christoph Schmidt)
    "Tomato, Aubergine, Paprika, und zusammen kochen, Kaffee trinken, Tee, Wasser."
    Amer erzählt, dass er und ein paar andere Flüchtlinge heute eingeladen sind, mit einigen Nachbarn aus dem Wohnprojekt gemeinsam zu kochen. In der Turnhalle können sie das nicht.
    "Das ist eigentlich was, was man verändern müsste, gerade weil gemeinsames Kochen ja nicht nur Nahrungsaufnahme ist, sondern auch soziales Miteinander, gemeinsames Essen, gemeinsames Kochen verbindet natürlich auch und das fehlt."
    Die Erstaufnahme und die Unterbringung: ein einziger Krisenfall
    Auch Steffen Mallast lebt in dem benachbarten Wohnprojekt. Er ist Bezirksabgeordneter der Grünen in Hannover Linden-Limmer und kommt mit seinem kleinen Sohn auf der Schulter in den Hof getrottet. Er und viele aus dem Viertel hießen die Flüchtlinge willkommen, sagt er. Aber dass sie in einer Turnhalle wohnen müssten, sei nicht schön.
    "Hannover hat natürlich ähnliche Schwierigkeiten mit der Unterbringungssituation wie andere Städte, aber es ist hier in Hannover zumindest gelungen, Zeltstädte zu vermeiden, andererseits werden natürlich Turnhallen belegt, was ein bisschen schade ist, die Stadt hat halt lange eigentlich versäumt, auf die Entwicklung zu reagieren und entsprechend Unterkünfte zu bauen."
    Gut 3.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr bislang in Hannover angekommen. Bis Januar soll sich diese Zahl in etwa verdoppeln. Die Probleme in der 500.000-Einwohner-Stadt stehen exemplarisch für ganz Deutschland. Die Erstaufnahme und die Unterbringung von Flüchtlingen sind ein einziger Krisenfall. Überall werden Feldbetten in Turnhallen gestellt, Kasernen belegt, öffentliche Gebäude umgewidmet und Zeltstädte errichtet. In den schlimmsten Fällen mussten Familien mit Kindern im Freien übernachten. Städte und Gemeinden klagen, dass sie heillos überlastet seien und von Bund und den Ländern mit den Problemen allein gelassen würden. Die Bundesländer werfen der Regierung in Berlin vor, dass sie die Zahl der Flüchtlinge eklatant falsch eingeschätzt habe und Anträge viel zu langsam bearbeite. Länder und Kommunen fordern vom Bund schnellere Asylverfahren, mehr logistische Unterstützung – und vor allem mehr Geld. Nun soll ein erneutes Gipfeltreffen mit Angela Merkel am morgigen Donnerstag Klarheit schaffen. Die Ministerpräsidenten erwarten, dass sie von der Bundeskanzlerin belastbare Zusagen erhalten. Die Bundesregierung hat bereits versprochen, die Ausgaben 2016 um sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Davon will der Bund die Hälfte selbst ausgeben, etwa für schnellere Asylverfahren. Die anderen drei Milliarden Euro sollen die Länder erhalten. Die Zuschüsse in diesem Jahr werden um eine Milliarde erhöht. Merkel hörte aus den Ländern allerdings postwendend, dass auch diese Summen nicht reichen würden. Aydan Özoguz, Merkels Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, teilt diese Sicht:
    "Wir müssen realistisch sein und sagen, ja, in dieser augenblicklichen Lage werden die drei Milliarden nicht reichen."
    Zwar wisse niemand genau, wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Auch müssten die Menschen gleichmäßiger in Europa verteilt werden.
    "Aber wir dürfen ja auch nicht immer nur abwarten, sondern müssen natürlich darauf gefasst sein, dass die Flüchtlingszahlen vielleicht nicht abnehmen. Und deswegen müssen wir uns auch so rüsten, dass wir sagen, ja, Länder und Kommunen bleiben handlungsfähig."
    Die Aufnahme von Flüchtlingen ist ein kompliziertes föderales Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen. Wenn Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Deutschland bei einer Behörde angegeben haben, dass sie Asyl beantragen wollen, werden sie in der nächstgelegenen Erstaufnahmeeinrichtung registriert und einem Bundesland zugewiesen. Dafür gilt der Königsteiner Schlüssel. Das Quotensystem legt fest, wie viele Flüchtlinge ein Land aufnehmen muss. Entschieden wird zu zwei Dritteln nach Steueraufkommen und zu einem Drittel nach Bevölkerungszahl. Zudem spielt für die Verteilung die Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen und die Herkunft der Flüchtlinge eine Rolle. Denn ihr Asylantrag wird in den Aufnahmeeinrichtungen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, bearbeitet. Das Amt unterhält seine Außenstellen meist angegliedert an die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder. Und nicht jede Außenstelle bearbeitet jedes Herkunftsland. Anträge aus Pakistan zum Beispiel werden in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern nicht bearbeitet. In der Erstaufnahmeeinrichtung müssen Asylsuchende anfangs bis zu drei Monate lang wohnen. Zur Unterbringung und Verpflegung sind laut Asylverfahrensgesetz die Länder verpflichtet. Nach der Zeit in der Erstaufnahme werden die Asylbewerber in den Flächenländern nach dem dort geltenden System an die Landkreise, kreisfreien Städte und Gemeinden verteilt. Diese sind dann für die Unterbringung verantwortlich. Nur im Fall Bayerns sind es zunächst die Regierungsbezirke, also weiterhin das Land.
    "Das Problem, das wir gegenwärtig haben, ist, dass es keineswegs gesetzlich geregelt ist, dass die drei Monate, die für die Landeseinrichtungen vorgesehen sind, auch vonseiten der Länder ausgenutzt werden, sondern es ist leider die Praxis, nachdem die Kapazitäten in diesen Landeseinrichtungen nicht ausreichen, dass auch schon wesentlich früher – zum Teil nach wenigen Wochen, wenigen Tagen bereits die Betroffenen in die Kommunen transferiert werden, was natürlich einen hohen Aufwand bedeutet, wenn die eigentlichen Asylanträge gestellt werden, die dann häufig noch gar nicht vorliegen."
    Die Lage in vielen Erstaufnahmeeinrichtungen macht kaum Hoffnung
    Sagt Helmut Fogt, Dezernent für Recht und Verwaltung beim Deutschen Städtetag. Vertreter von Kommunen beklagten schon vor dem stark vermehrten Zuzug von Flüchtlingen der letzten Wochen, dass sie oft über Nacht erst von der Ankunft neuer Flüchtlinge erfahren haben. Die Aufnahmebeamten der Länder hingegen sagen, dass sie dem Andrang in den Erstaufnahmeeinrichtungen nur dann Herr werden können, wenn sie die Flüchtlinge auf die Kommunen verteilen. Sie klagen, dass die langsame Bearbeitung der Asylanträge durch das BAMF das Hauptproblem ist. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft:
    "Wenn dort 200.000 Verfahren entschieden werden können und wir gleichzeitig wissen, es gibt einen Berg, der noch gar nicht abgearbeitet worden ist von rund 270.000 und es kommen 800.000 und mehr Neue, dann ist klar, wo der Flaschenhals ist."
    Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern sitzen und liegen im Erstaufnahmelager der Bayernkaserne in München (Bayern) in den Betten ihrer Unterkunft, die in einer ehemaligen Bundeswehr-LKW-Garage eingerichtet wurde.
    Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München. (Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Der mittlerweile zurückgetretene Chef des Bundesamts, Manfred Schmidt, hatte eine Fehleinschätzung eingeräumt. Nun muss es sein Nachfolger Frank-Jürgen Weise richten. Das Amt war von 450.000 Asylsuchenden in diesem Jahr ausgegangen. Das Bundesinnenministerium erhöhte seine Schätzung im August auf 800.000. SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht bereits von einer Million Menschen, die nach Deutschland kommen werden. Flüchtlingshilfsorganisationen kritisieren, dass die Unterbringungsmöglichkeiten seit Jahren gekürzt worden seien. Dabei sei es absehbar gewesen, dass die Flüchtlingszahlen steigen würden.
    "Das Bundesamt hat dennoch sein Personal immer weiter zurückgefahren. Und deswegen werden auch im Moment immer noch zu wenige Asylanträge zeitnah entschieden. Während der Zeit brauche ich Unterbringungsplätze. Und im Moment liegen die aktuellen Engstellen insbesondere im Erstaufnahmeverfahren."
    Bernd Mesovic ist stellvertretender Geschäftsführer von ProAsyl. Er fürchtet, dass die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen noch schlimmer werden könnte, wenn, wie von Bundesinnenminister Thomas de Maizière geplant, Flüchtlinge statt bis zu drei sogar sechs Monate dort ausharren müssen. Obendrein sollen sie statt eines Taschengeldes lediglich Sachleistungen erhalten.
    "Wenn man das tun will in dieser schwierigen Situation, dann wird man - meiner Berechnung nach - viele Zehntausend zusätzliche Plätze in der Erstaufnahme brauchen – ich weiß nicht, wo die herkommen sollen. Mir scheint hier eine widersprüchliche Politik zu existieren, einerseits den Aufenthalt dort für Viele zu verlängern, was mehr Plätze braucht und andererseits das Provisorium doch beseitigen zu wollen. Es kann nur eines gehen aus meiner Sicht."
    De Maizières Absicht ist, vor allem Flüchtlinge aus den Ländern des Westbalkans dort unterzubringen, die kaum eine Aussicht darauf haben, dass ihr Asylgesuch anerkannt wird. In Bayern wird schon so verfahren. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, glaubt allerdings, dass diese längere Aufenthaltsdauer erst möglich wird, wenn die Asylverfahren beschleunigt worden sind und damit der Druck auf die Erstaufnahmeeinrichtungen abnimmt.
    "In der jetzigen Lage sehe ich es kaum, dass wir Menschen länger in der Erstaufnahme halten können, wenn die anderen dann dafür auf der Straße übernachten müssen, das geht ja gar nicht."
    Die Lage in vielen Erstaufnahmeeinrichtungen macht kaum Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit zu einer Entlastung kommen könnte. Und die Probleme dort bestehen nicht erst seit der jüngsten Zunahme der Flüchtlingszahlen.
    Die Erstaufnahmeeinrichtung in der Motardstraße am Berliner Stadtrand. Im Haus 3 hat die Essensausgabe begonnen. Einige Männer und Frauen stehen mit ihren Kindern im kargen Flur und werden einzeln aufgerufen. Dann können sie sich entscheiden zwischen einem Gericht mit Pute und einem mit Huhn, angeliefert von einem Catering-Service und eingeschweißt in eine Plastikform mit Folie. Dazu ein paar Brötchen, Käse oder Salami. Das Heim ist die älteste Einrichtung Berlins. Der marode Container-Bau wurde 1989 als Übergangslösung für Spätaussiedler errichtet und später umgewidmet. Er steht mitten in einem Industriegebiet direkt neben einem Kohlekraftwerk. Wenn der Wind schlecht steht, sind die Fensterbänke morgens mit Kohlestaub bedeckt, erzählt Manaf Saeed. Er ist der Sozialbetreuer in der von der AWO betriebenen Unterkunft. Als er den Flur entlang geht, kommt er mit jungen Männern aus Syrien und dem Irak ins Gespräch.
    Der Bund will 40.000 eigene Erstaufnahmeplätze schaffen
    Sie berichten vor allem über die Lage im Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, das zum Symbol geworden ist für das Scheitern des Aufnahmeverfahrens in Deutschland. Tausende saßen im Juli und August vor der Behörde auf der Straße in Berlin-Moabit. Das Amt ist für die Registrierung von Asylsuchenden in Berlin zuständig und kapitulierte vor dem Andrang. Seit einer Woche stehe er jeden Morgen früh vor dem Eingang, erzählt ein junger Iraker. Und noch immer habe er sich nicht einmal registrieren können. Manaf Saeed ist 1991 selbst aus dem Irak geflohen und hat viel Verständnis für die Sorgen der Bewohner. Gut 550 Menschen leben hier offiziell. Viele blieben schon jetzt länger in der Unterkunft als die vorgesehenen drei Monate, erzählt Saeed.
    "Die bleiben durchschnittlich sechs Monate hier, es gibt auch Leute, die seit einem Jahr hier sind."
    Etwa 100 Bewohner kommen pro Woche hinzu und ziehen auch wieder aus, sagt Saeed. Und immer wieder komme es vor, dass mehr Menschen vor der Tür stehen, als im Haus Platz ist.
    "Es kommt oft dazu, dass die Plätze überhaupt nicht vorhanden sind für diese Flüchtlinge, die hierher kommen. Dann müssen wir der Lage Herr werden, dann müssen wir überall anrufen und Plätze für diese neuen Bewohner finden. Zum Beispiel Samstag war so ein Tag, ich war selbst hier. Es kamen 28 neue Flüchtlinge und manche von ihnen hatten nicht einmal die richtigen Papiere gehabt, die haben vergessen, ihnen die Papiere zu geben."
    Ahmad Ismail ist aus Syrien geflohen und war wochenlang auf dem Weg über die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und schließlich Österreich bis nach Deutschland. Er schließt die Tür zu seinem Zimmer auf. Zwölf Quadratmeter für zwei Personen. Zwei Metallbetten stehen im Raum, ein verbeulter Kühlschrank, ein Tisch und zwei zusammengewürfelte Stühle, dazu ein Metallspind. Die Wände sind fleckig, die Deckenverkleidung hängt an vielen Stellen lose herunter. Jedes Jahr herrscht bei der Heimleitung das bange Hoffen, dass die anfällige Heizung noch einen Winter durchhält. Eigentlich sollte dieses Heim schon mehrmals geschlossen und abgerissen werden. Die beiden letzten Fristen dafür 2013 und 2014 verstrichen aber, weil es keine Alternative gab.
    "2013, 2014 waren nicht so dramatisch wie heute. Wenn es damals nicht geschafft werden konnte, dann ist es jetzt überhaupt nicht möglich."
    Trotz der mangelhaften Unterbringung setze er alles daran, den Flüchtlingen so gut zu helfen wie möglich, sagt Manaf Saeed. Und denen mache vor allem die Ungewissheit zu schaffen. Deswegen halte er auch nichts davon, die Aufenthaltsdauer in Heimen wie diesem sogar noch zu verlängern.
    "Jeden Tag kommen Flüchtlinge, die sind erschöpft, aber voller Hoffnung. Nach zwei Wochen, drei Wochen, vier Wochen, sagen wir zwei Monate, ist diese Hoffnung dann verschwunden."
    Die Notlage in den Unterkünften macht vergessen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eigentlich mehr bieten soll als ein Dach über dem Kopf. Bundeskanzlerin Merkel hat jüngst im Bundestag gemahnt, dass alles getan werden müsse, um die Menschen zu integrieren, die vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland geflohen sind. Sie müssten in die Gesellschaft eingebunden werden, anders als die Gastarbeiter in den 60er- und Asylbewerber in den 90er-Jahren. Das Entgegenkommen in der Bevölkerung sei heute größer, sagt die Integrationsbeauftragte Özuguz.
    Bundeskanzlerin Merkel und ein Flüchtling blicken Kopf an Kopf in die Handykamera des Mannes.
    Selfie mit Kanzlerin: Merkel lässt sich nach dem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin-Spandau zusammen mit einem Flüchtling fotografieren. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Und wir versuchen natürlich, all die Fehler nicht mehr zu machen, die wir damals gemacht haben, zu sagen, warte mal einfach, bis die irgendwann wieder gehen. Sondern zu sagen, die müssen ganz schnell eine Sprachausbildung bekommen, die müssen schnell bei uns in Arbeit kommen können, schnell eine Ausbildung machen können."
    Die SPD-Politikerin würde gern auch vonseiten des Bundes mehr Aufgaben bei der Unterbringung von Flüchtlingen direkt übernehmen, aber das ist im föderalen System leichter gesagt als getan. Bislang stellt der Bund den Ländern vor allem eigene Gebäude wie etwa Kasernen zur Verfügung, um sie für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Die Bundesanstalt für Immobilienfragen prüft regelmäßig, welche Liegenschaften sie den Ländern anbieten kann. Zudem will der Bund nun 40.000 eigene Erstaufnahmeplätze schaffen, um die Länder zu entlasten. Das Angebot machte Merkel den Ministerpräsidenten der Länder bei einem Treffen vor einer Woche.
    Angela Merkel, die kümmert sich um uns
    "Ich hätte mir schon gewünscht, dass es eine stärkere strukturelle Unterstützung durch den Bund gibt, die einfach transparenter ist, wo der Bund bestimmte Dinge übernimmt. Die Länder wünschen sich aber durchaus eher so eine Art Kopfpauschale, womit sie alles quasi finanzieren können bzw. auch ihren Kommunen weitergeben können."
    Das Geld vom Bund aber ist nicht das einzige Problem. Die finanzielle Erstattung der Unterbringung von Flüchtlingen durch die Kommunen regeln die 16 Bundesländer höchst unterschiedlich. Sie reicht von Bayern, wo das Land die Unterbringung eins zu eins finanziert, über eine Mischkalkulation bis hin zu einer pauschalen Vergütung pro Kopf wie etwa in Niedersachsen. Die Unterschiede, die der Föderalismus mit sich bringt, machen die Lösung nicht leichter. Viele Kommunen klagen zudem, dass die Vergütung nicht ausreiche und sie draufzahlen müssten, sagt Helmut Fogt vom Deutschen Städtetag.
    "Es gibt einige Länder, die sehr vorbildlich die Kosten fast vollständig erstatten. Mecklenburg-Vorpommern etwa aber auch Bayern auf der einen Seite und andere Bundesländer mit dem Schlusslicht Nordrhein-Westfalen, wo die Kosten nur zu einem geringeren Teil erstattet werden."
    Nun zeichnet sich ab, dass die Kommunen einheitlich eine Pauschale pro Flüchtling erhalten sollen. Die Höhe soll auf dem Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag entschieden werden. Die Pauschale könnte über das Finanzausgleichsgesetz vom Bund an die Länder gezahlt und an die Kommunen weitergegeben werden.
    "Wir brauchen auch eine strikte Unterscheidung zwischen den offensichtlich unbegründeten Fällen und Flüchtlingen etwa aus Syrien und dem Irak, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Flüchtlinge anerkannt werden können."
    Da die im Moment einen hohen Anteil der Asylsuchenden in Deutschland ausmachen, fordern Organisationen wie ProAsyl, dass Bund, Länder und Kommunen ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm starten, damit Menschen nicht dauerhaft in behelfsmäßigen Unterkünften wohnen müssen. Die dezentrale Unterbringung in Wohnungen, die sich Länder wie Niedersachsen und Berlin eigentlich zum Ziel gesetzt haben, sei die beste Möglichkeit, um Menschen zu integrieren.
    Um die Tischtennisplatte vor der Turnhalle in Hannover stehen Amer und Youssef mit zwei weiteren Bewohnern, Guhdar und Omar. Omar ist zu seinem Schlafplatz gegangen und hat einen Stoß ausgedruckter Fotos geholt, die er nun auf der Platte ausbreitet. Sie zeigen die Überreste seines Hauses in Kobane in Syrien.
    Das eingestürzte Betondach hat alles unter sich begraben. Terroristen des Islamischen Staats hätten es beschlagnahmt, sagt er. Und US-Jets hätten es daraufhin bombardiert. Amer holt sein Handy hervor, die einzige Verbindung, die er noch zu seinem alten Leben hat. Er zeigt ein Bild seiner Mutter, sein einziges Bild. IS-Leute hätten sie erschossen, erzählt er. Gemeinsam mit Youssef habe er sie begraben. Auch die anderen beiden streichen nun über ihre Bildschirme und zeigen Bilder, die schwer zu ertragen sind. Bilder erschossener Kinder aus Sindschar.
    Niemand kümmert sich um uns Jesiden, sagt Guhdar, vor allem der Irak und Syrien nicht. Aber Angela Merkel, die kümmert sich um uns.