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Flüchtlingskrise
Im Libanon wachsen die Spannungen

Vor den Friedensgesprächen für Syrien fehlen den UNO-Hilfsorganisationen Milliarden für die Versorgung der Flüchtlinge. Die stockende Hilfe betrifft die Bedürftigen im Bürgerkriegsland selbst, aber auch die Nachbarländer. Und die haben dazu noch ganz eigene Probleme.

Von Jürgen Stryjak | 12.03.2016
    Gerade erst demonstrierten in Beirut Menschen gegen Korruption
    Gerade erst (am 12.3.2016) demonstrierten in Beirut Menschen gegen Korruption (picture alliance/dpa/Nabil Mounzer)
    Im Zentrum von Beirut sitzt Ahmed Itani in einem kleinen Ladenbüro. Er ist der Mokhtar des Viertels, eine Art Bevollmächtigter der Behörden, der sich die Probleme der Menschen anhört, auch die der Syrer. Ganz Syrien liege in Trümmern, klagt er, selbst in 50 Jahren würden die Flüchtlinge nicht in ihre Heimat zurückkehren können.
    Mindestens eine Million Syrer sind seit Beginn des Krieges in den Libanon geflüchtet, höchstwahrscheinlich deutlich mehr. Mancher Libanese redet von bis zu zwei Millionen. Wenn das stimmt, dann wäre jeder Dritte im Land bereits ein syrischer Flüchtling. "Am besten wäre es, die Vereinten Nationen würden eine Pufferzone an der Grenze einrichten, auf syrischem Boden. Dort könnten die Flüchtlinge versorgt werden. Wir haben selber große Probleme in unserem Land. Die Spannungen werden immer größer", sagt Itani.
    Legal dürfen Syrer seit gut einem Jahr nicht mehr in den Libanon einreisen. Sie erhalten vom Staat keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und auch kaum Unterstützung. Bente Scheller glaubt, dass dies die Syrer bewusst abschrecken soll. Sie leitet das Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut: "Man möchte gar nicht so viel Unterstützung für Flüchtlinge hier, um eben zu signalisieren: Je schneller sie das Land verlassen, desto besser."
    Viele der Kriegsflüchtlinge leben deshalb im Elend, so wie der 55-jährige Muhammad Osman. Für sich, seine Frau und die drei Kinder hat er auf einer Brachfläche in der Innenstadt eine kleine Hütte gebaut. "Wir wohnen in einem Verschlag aus Pappe. Wer möchte so leben? Wo sind die Menschen, die helfen? Ich sehe keinen, alle reden nur."
    "Das alles ist hoffnungslos"
    Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen unterstützt die Familie mit umgerechnet 90 Euro im Monat. Die Hälfte davon geht allein schon für Trinkwasser drauf. Medizinische Behandlung ist unerschwinglich. Und dann die Hoffnungslosigkeit. Auf die Frage, was er von den Friedensgesprächen in Genf erwartet, antwortet Muhammad: "Nichts. Sie sitzen ein paar Stunden zusammen und dann 'Tschüss, mein Lieber'. Erst beschimpfen sie sich, dann verabschieden sie sich, und das war’s. Das alles ist hoffnungslos."
    Anderthalb Autostunden von Beirut entfernt, im Bekaa-Tal, befindet sich das Dorf Mansoura, kurz vor der syrischen Grenze. Die meisten jener, die vor dem Krieg aus Syrien flüchteten, siedeln in dem Tal. Hier vermieten ihnen geschäftstüchtige Bauern Felder, auf denen Leute wie Shehada Illawi ihre Hütten errichten konnten. "Wir sind vor allen geflohen, vor dem Assad-Regime und vor den Dschihadisten, vor allen, die uns beschossen haben."
    Der Familienvater hat neun Kinder zu versorgen. Die Unterstützung der UN reicht gerade mal für Brot. Deshalb schickt er die beiden ältesten Töchter zur Feldarbeit. Umgerechnet sieben Euro erhalten sie pro Tag dafür. "Was wir uns am sehnlichsten wünschen, ist die Rückkehr in unsere Heimat. Wir sind weder gegen das Regime, noch gegen die Opposition. Wir akzeptieren jeden, der regiert, wenn wir nur zurückkehren können." Eine Verhandlungslösung in Genf, die erwartet auch er nicht.
    Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung glaubt, dass vor allem das Regime von Bashar al-Assad gar kein Interesse an einem Durchbruch hat. "Das sieht sich im Moment in der Situation, in der es die Möglichkeit hätte, militärisch zu gewinnen durch die Unterstützung Russlands und anderer. Und deswegen sehe ich da noch keine Kompromissbereitschaft."
    Auch die eigene Bevölkerung denkt über Flucht nach
    In dem Städtchen Shtoura, 15 Kilometer Luftlinie von der syrischen Grenze entfernt, leitet Rateb Shitto den Gasthof "Al-Dimashqi". Auch er ist vor dem Krieg in Syrien in den Libanon geflohen. "Jeder Krieg hat natürlich ein Ende, aber erst, wenn beide Seiten zu Kompromissen bereit sind. Erst dann ist der Krieg auch bei uns vorbei, vielleicht in fünf oder zehn Jahren." Viele seiner Gäste seien Syrer, und sie würden das ähnlich sehen.
    "Die meisten wollen nach Europa und versuchen fieberhaft, irgendwo das Geld dafür herzubekommen. Natürlich möchten auch welche nach Syrien zurückkehren, aber das sind nicht mal 50 Prozent, alle anderen wollen nach Europa."
    In Beirut, im Ladenbüro von Yussef Itani, dem Verwaltungsbevollmächtigten seines Viertels, treffen wir einen syrischen Kriegsflüchtling, dessen Entschluss längst feststeht. Er will sich demnächst auf den Weg machen, erzählt er, über die Türkei und das Mittelmeer nach Europa. Dort gebe es zwar auch Probleme, aber die Zustände im Libanon seien unerträglich.