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Flüchtlingskrise
Italien plant Investitionen in afrikanische Länder

Entwicklungshilfe und Grenzkontrollen innerhalb Afrikas: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi will die Flüchtlingskrise an der Wurzel packen. Für seinen "Migration Compact" braucht er jedoch die finanzielle Unterstützung der EU über sogenannte Euro-Afrika-Bonds. Die Bundesregierung hat das bereits abgelehnt und auch Experten halten Renzis Plan für unzulänglich.

Von Karl Hoffmann | 31.05.2016
    Afrikanische Flüchtlinge auf Sizilien sind in Wärmedecken eingehüllt.
    Hilfsorganisationen kritisieren die Situation in vielen italienischen Flüchtlingslagern. In Mineo, einem der größten Lager Europas, leben zurzeit 3.000 Flüchtlinge auf Sizilien. (picture alliance / dpa / Olivier Corsan)
    Die Einsatzkräfte der europäischen Seenotrettung EUNAVFOR arbeiteten auf Hochtouren, um immer neue Bootsflüchtlinge an Land zu bringen. Doch dort sind die Aufnahmekapazitäten inzwischen erschöpft, sagt Fabia Calo von der Hilfsorganisation Ärzte für Menschenrechte:
    "Wegen des Andrangs sind überall Sonderaufnahmelager eingerichtet worden. Wo die Menschen nur ein Bett und etwas zu essen bekommen, praktisch keine Sprachkurse, keine juristische Beratung und vor allem keine psychologische Betreuung. Kurz: Diese Lager wiedersprechen den von der EU im letzten Jahr verabschiedeten Regeln für Aufnahmezentren von Flüchtlingen und Asylbewerbern."
    Vor dem Lager von Mineo, mit 3.000 Flüchtlingen eines der größten in Europa, gelegen im Inneren der Insel Sizilien, läuft eine Gruppe junger Eritreer in zerfetzten Gummisandalen auf und ab. Nach glücklicher Rettung sind die Flüchtlinge jetzt verzweifelt:
    "Hier gibt es nichts, kein Internet, wir haben nicht einmal die Möglichkeit zu telefonieren. Wir kriegen auch kein Taschengeld, nicht mal frische Kleider. Es fehlt an allem. Und niemand informiert uns darüber, was nun weiter passieren soll. Keiner spricht mit uns. Und deshalb hauen die meisten Eritreer einfach ab."
    Prekäre Zustände in Italiens Flüchtlingslagern
    Dabei haben sie noch Glück: Viele geretteten Flüchtlinge werden in den Hotspots als illegale Migranten registriert und erhalten einen Ausweisungsbescheid. Eine fatale Regelung, findet Fabia Calo:
    "Damit produzieren wir illegale Flüchtlinge am laufenden Band, weil viele Immigranten, die in Sizilien landen, entgegen den Menschenrechtskonventionen aufgefordert werden, das Land zu verlassen, was sie gar nicht können. Das heißt, sie müssen untertauchen und fallen am Ende auch noch der Mafia als billige Arbeitskräfte in die Hände."
    Offiziell wird das Problem in Rom heruntergespielt. Ministerpräsident Matteo Renzi verweist auf die jüngsten Flüchtlingszahlen, die bisher noch niedriger sind als die des Vorjahrs. Doch in der Zwischenzeit wurden Hotspots zur Identifizierung in Sizilien eingerichtet, die Flucht endet offiziell in Italien, wo sich nun die Menschen massiv stauen werden.
    Deshalb will Matteo Renzi das Übel an der Wurzel packen. Zuletzt auf dem G7-Gipfel in Japan pries er seinen Plan "Migration Compact", eine Art Marshall-Plan für bestimmte afrikanische Länder, um die Flucht von dort zu stoppen:
    "Die meisten Immigranten, die bei uns anlanden, kommen aus Nigeria, gefolgt von Eritrea. Dann gibt es Herkunftsländer, in denen die Lebensbedingungen gar nicht so schlecht sind, wie zum Beispiel Ghana. Wenn man nun gezielt dort investiert, wenn es uns gelingt, die neue Regierung in Libyen zu stabilisieren, dann werden die Zahlen in wenigen Wochen drastisch abnehmen."
    Finanzielle Unterstützung soll Auswanderung aus Afrika aufhalten
    Der "Migration Compact" sieht unter anderem Entwicklungshilfe und Grenzkontrollen innerhalb Afrikas vor, sowie Rückführungen für Wirtschaftsflüchtlinge. Dafür sollen diese Länder finanziell unterstützt werden, so wie zwischen der EU und der Türkei vereinbart. Schwer zu realisieren, doch Renzi begegnet Kritikern mit patriotischem Optimismus:
    "Natürlich muss noch daran gearbeitet werden. Aber ich würde mal sagen: Der 'Migration Compact' aus Italien zeigt der EU den richtigen Weg, über den sie sich auch auf dem G7 Gipfel einig waren."
    Doch schon beim Geld hört die Einigkeit auf. Italien ist notorisch pleite und fordert eine Finanzierung über sogenannte Euro-Afrika-Bonds, die Bundesregierung hat das bereits abgelehnt. Auch Experten halten den "Migration Compact" für unzulänglich. Giancarlo Perego ist Chef der katholischen Organisation Migrantes:
    "Wenn der Plan auch den Aufbau von Bildungswesen, Arbeitsplätzen, Wohnraum und Gesundheitswesen in den afrikanischen Ländern vorsieht, dann wäre er wohl sinnvoll. Aber davon ist in dem Papier ja nicht die Rede."
    Wichtiger als ferne Zukunftspläne für Afrika sei jetzt konkretes Handeln in Italien, so Perego:
    "Europa muss jetzt ein klares Signal für die Aufnahme der Flüchtlinge geben. Man kann zum Beispiel den Menschen, die dem Inferno in Libyen entronnen sind, nicht das Asyl verweigern."