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Flüchtlingskrise
NGOs werden zu Sündenböcken gemacht

Ärzte, Notfallpsychologen, Sanitäter - es sind Freiwillige, die für Einsätze auf Rettungsschiffen wie von Ärzte ohne Grenzen ihren Urlaub opfern. Und doch sind sie zu Prügelknaben im Streit um die Migranten aus Afrika geworden. Deutsche und österreichische Politiker kritisieren die Rettungseinsätze als "Shuttle"-Service.

Von Karl Hoffmann | 05.07.2017
    Zwei Flüchtlinge lehnen über den Rand des Rettungsschiffs "Prudence" der Organisation Ärzte ohne Grenzen
    Das Schiff "Prudence" von Ärzte ohne Grenzen rettet Migranten, die auf überladenen Schlauchbooten der Gewalt in Libyen entfliehen und versuchen, nach Europa zu gelangen. (Deutschlandradio / Karl Hoffmann)
    Am Hafen von Reggio di Calabria hat soeben die "Prudence" angelegt. Ein Hochsee-Versorgungsschiff, 75 Meter lang, voller Menschen, die knapp dem Tod entkommen sind. Die "Prudence" von Ärzte ohne Grenzen rettet Migranten, die auf überladenen Schlauchbooten der Gewalt in Libyen entfliehen und versuchen, nach Europa zu gelangen. Mit an Bord Gabriele Eminente, Italiens Chef der Hilfsorganisation:
    "An Bord sind 1.044 Personen, 866 Männer 158 Frauen, 20 Kinder, von den Frauen sind 20 Prozent schwanger, leider sind das in der Regel keine gewollten Schwangerschaften, sondern die Folge von Misshandlungen. Eine der Frauen hat erst bei uns an Bord erfahren, dass sie schwanger ist. Sie hatte einen Test machen wollen, weil sie in Libyen vergewaltigt wurde."
    An der Hafenmole sind die Hilfsmannschaften, Grenzpolizei, Zivilschutz, das Rote Kreuz und auch die Caritas endlich bereit. Die Flüchtlinge dürfen an Land, nach Tagen auf teilweise stürmischer See. Freude und Erleichterung macht sich breit.
    Dieser letzte Einsatz sei besonders heftig gewesen. Fünf Tage, zehn Flüchtlingsboote, heftiger Wellengang.Friedericke Andernach reibt sich die Augen unter der gleißenden Morgensonne. Die Mühen?
    "Unbeschreiblich. Wenn wir an Land kommen, sind wir völlig am Ende. Wir müssen dann erst mal schlafen und uns ausruhen. Es ist wirklich unheimlich anstrengend, weil ich zu allem Überfluss auch noch furchtbar seekrank geworden bin. Und mich gestern zwischendurch auch hinlegen musste, weil mir unheimlich übel war, aber davor die Nächte - man schläft eigentlich kaum."
    Viele opfern ihren Urlaub für Einsätze
    Friederike ist eine junge Notfall-Psychologin aus Nordrhein-Westfalen, sie kümmert sich um verschreckte, verängstigte Menschen am Rande des Zusammenbruchs, versucht, ihnen die Spannung zu nehmen, nachdem sie den Tod vor Augen hatten. Und das bei Wellengang und im Dauereinsatz. Und zur Not hilft sie auch den Kollegen von der Medizin:
    "Wenn in den Schlauchbooten Benzin ausläuft, was oft passiert, weil sie ja die alten Motoren haben, wenn da Benzin ausläuft und sich mit dem Salzwasser vermischt, dann gibt es furchtbare Verbrennungen auf der Haut. Und die letzten Menschen in dem letzten Gummiboot, das wir nachts fanden, hatten unheimlich viele von denen Verbrennungen, so dass wir sie nachts noch abduschen mussten, um das ganze Benzin von den Körpern zu bekommen, damit nicht die Haut verätzt."
    Friederike macht das ebenso wenig für Geld und Ruhm wie die Ärzte an Bord. Sie erhalten für ihren Einsatz, wofür sie ein paar Monate unbezahlten Urlaub nehmen, eine symbolische Vergütung. Ein Viertel eines Krankenhausgehaltes. Andere Hilfsorganisationen zahlen überhaupt nichts. Purer Idealismus.
    Vorwurf an NGOs: "Shuttle-Service"
    Und doch sind sie zu den Prügelknaben im Streit um die Migranten aus Afrika geworden. Deutsche und Österreichische Politiker sprechen von Shuttle- und Taxi- Service. Italien will seine Häfen schließen. Dabei wurden zwei Drittel der in diesem Jahr bereits 85.000 geretteten Migranten von privaten Handelsschiffen, von der italienischen Küstenwache und den Einheiten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Italien an Land gebracht. Und auch das restliche Drittel wäre eigentlich nicht die Aufgabe der freiwilligen Hilfsorganisationen, sagt Gabriele Eminente:
    "Es ist lächerlich, dass die freiwilligen Organisation nun beschuldigt werden, die Menschenrettung zu übernehmen, die gar nicht ihre Aufgabe ist. Das müssten eigentlich die Institutionen der EU übernehmen in einer gesamteuropäischen Rettungsaktion."
    "Lybische Küstenwache ist nicht in der Lage, die Migranten zu retten"
    Doch daran hapert es. Italien will auf dem Gipfel in Tallin nun einen Vorstoß machen – mehr EU Präsenz im Mittelmeer – bessere Umverteilung der in Italien angelandeten Flüchtlinge. Nicht einmal zehn Prozent der vereinbarten Quote wurde bisher in anderen EU-Staaten aufgenommen. Die EU versucht vielmehr, die libysche Küstenwache massiv zu finanzieren und so den Flüchtlingsstrom an der nordafrikanischen Küste zu unterbrechen. Mit zweifelhaften Methoden, meint der sizilianische Rechtsexperte Fulvio Vasallo Paleologo, was seiner Meinung nach die wahren Hintergründe der Kampagne gegen die freiwilligen Helfer erhellt:
    "Die Anwesenheit von humanitären Organisationen dort, wo die libysche Küstenwache jetzt tätig werden soll, wäre ein Problem, weil die freiwilligen Organisationen zu unbequemen Zeugen würden, dass die libysche Küstenwache gar nicht in der Lage ist, die Migranten aus den leicht sinkbaren Schlauchbooten zu retten, und auch Zeugen einer politischen Wende, die die Migranten abwehrt, ohne zu garantieren, dass die Menschenrechte auf hoher See beachtet werden."
    Weil der Flüchtlingsstrom auch wegen der unmenschlichen Bedingungen in Libyen vorerst nicht abreißen wird, müssen auch die freiwilligen Helfer wohl notgedrungen weiter im Einsatz bleiben, um zu verhindern, dass Tausende von Menschen vor den Toren Europas ertrinken. Wer ihre Arbeit als Shuttle-Service bezeichnet, sollte mal persönlich bei ihr vorbeikommen, sagt Friederike Andernach:
    "Ich würde diese Leute bitten, doch mal mit uns auf eine Rettungsaktion zu kommen und sich anzuhören, warum diese Leute auf das Schiff gekommen sind und warum sie überhaupt auf den Schlauchbooten landen, was der Weg war. Ich glaube, wenn man die Geschichten von den Menschen hört, dann nimmt man ganz schnell Distanz von dieser Äußerung."