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Flüchtlingslager in Griechenland
"Eine Schande für die EU"

Frank Schwabe, Beauftragter der SPD für Menschenrechte, hat dafür plädiert, mehr Druck auf EU-Länder auszuüben, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Die Situation für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sei eine Schande und lasse sich nur durch eine europäische Lösung ändern, sagte er im Dlf.

Frank Schwabe im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.01.2020
Wildes Flüchtlingscamp auf Samos
Wildes Flüchtlingscamp auf Samos (September 2019) - zum Teil sind die Lager dort elffach überbelegt (Michael Lehmann / Deutschlandradio)
Die griechische Insel Samos hat etwa 30.000 Einwohner. Für Flüchtlinge gibt es dort 650 offizielle Plätze in einem Lager nahe der Hauptstadt. Doch inzwischen leben auf der Insel mehr als 7.000 geflüchtete Menschen. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, aber auch aus Ländern wie Kamerun. Menschen leben unter Plastikplanen, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal und viele Frauen haben Angst vor sexuellen Übergriffen. Die griechischen Inselbewohner wiederum sind wütend, weil sie mit dem Problem alleine gelassen werden. Es gibt Streiks und Proteste, die sich gegen die Flüchtlinge und gegen die griechische Regierung wenden. Was die EU und Deutschland tun könnten, um die Lage der Flüchtlinge und der Bewohner zu verbessern, darüber spricht Mario Dobovisek mit Frank Schwabe, dem menschenrechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.
Mario Dobovisek: Kein Strom, schlechte Hygiene, es ist kalt, es gibt keine Perspektive – ist dieser Zustand menschenwürdig, Herr Schwabe?
Frank Schwabe: Nein, der ist natürlich nicht menschenwürdig, und das ist eine Schande am Ende für die Europäische Union. Ich bin mir sicher und ich hoffe jedenfalls, dass es mal Zeiten geben wird, in denen wir sehr beschämt darauf zurückblicken, dass wir das zugelassen haben.
Dobovisek: 650 Plätze, aber über 7000 Flüchtlinge allein auf Samos. Wir haben das gerade gehört. Das zermürbt die Menschen. Sie fühlen sich wie in einer Falle, berichtet unser Korrespondent, und diese Berichte gibt es immer wieder, seit Monaten schon. Wann ändern sich die Bedingungen?
Schwabe: Ja, das ist eine spannende Frage. Die ändern sich dann, wenn wir in der Lage sind, europäisch einheitliche Regelungen zu finden, und an denen wird ja nun lange gearbeitet, aber es geht nicht wirklich voran. Das ist die Aufgabe der neuen EU-Kommission, da jetzt Fortschritte zu machen, weil es ja nicht sein kann, dass die Länder, die an der Peripherie Europas liegen, am Ende die Lasten zu tragen haben, sondern wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die bleiben können, jedenfalls temporär in der Europäischen Union, am Ende auf andere Staaten der Europäischen Union verteilt werden. Das ist der Grundkonflikt und das Grundproblem, denen das Ganze zugrunde liegt.
"Es braucht eine Koalition der Willigen"
Dobovisek: Da gibt es keine absehbare Einigung. Seit Jahren wird genau darüber ja gestritten. Sollten dann – und das ist ja auch immer wieder Thema – einzelne Länder vorangehen?
Schwabe: Ich glaube, es gibt ein neues politisches Momentum mit der neuen Europäischen Kommission. Es gibt, glaube ich, auch ganz klare Ansagen, dass die Länder, die sich nicht beteiligen an einer solchen Lösung, am Ende auch bestimmte Leistungen der Europäischen Union nicht bekommen können. Das ist, glaube ich, eine wichtige Grundvoraussetzung. Ansonsten ja, ich glaube, es braucht eine Koalition der Willigen, eine gute Koalition der Willigen, und wir zeigen das gerade schon, dass bei so was wie der Seenotrettung es jedenfalls vorsichtige Fortschritte gibt, wo manche Länder in der Tat vorangehen, und Deutschland würde dazugehören.
"Solidarischer sein"
Dobovisek: Trotzdem müssen wir über ein Land reden, das Mitglied der Europäischen Union ist und in dem diese beschriebenen Zustände herrschen, an denen dringend etwas getan werden müsste.
Schwabe: Es ist ja immer beides. Es ist, auf der einen Seite die Europäische Union und die anderen Länder aufzufordern, solidarischer zu sein mit den Ländern an der Peripherie. Aber natürlich müssen wir auch die Länder an der Peripherie, die in einer schwierigen Lage sind, aber trotzdem auffordern, alles zu tun, um für menschenrechtlich halbwegs akzeptable Bedingungen zu sorgen. Es bringt nur nichts, mit dem Finger auf diese Länder zu zeigen, sondern wir müssen zeigen, wie die Länder aus dieser Misere herauskommen können, und da ist in der Tat noch viel Spielraum.
"Signale der Menschlichkeit setzen"
Dobovisek: Vor ziemlich genau einem Monat hatte ja Grünen-Chef Robert Habeck einen ganz konkreten Vorschlag gemacht und gefordert, zumindest die Kinder aus den Lagern rauszuholen, natürlich dann auch zusammen mit ihren Eltern. Auch Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Ihre Parteifreundin, Herr Schwabe, hatte eine neue EU-Initiative gefordert. Aber bei den Forderungen ist es geblieben. Wo bleiben die Taten, dass dann zum Beispiel auch im Alleingang einzelner Länder Kinder rausgeholt werden?
Schwabe: Es gibt eine ganze Menge solcher Initiativen. Der niedersächsische Innenminister, Boris Pistorius aus meiner Partei, war ja auch vor Ort und hat Vorschläge gemacht. Wir sehen in dieser Woche hoffentlich noch mal Bewegung, weil ja auch viele Städte in Deutschland, über 100 Städte sich bereit erklärt haben, Menschen, gerade auch Kinder aufzunehmen. Am Ende muss es die Bewegung geben beim Bundesinnenminister. Selbst dann, wenn Länder oder Städte willens und in der Lage sind, Menschen aufzunehmen, muss am Ende das Verfahren über den Bund, am Ende über den Bundesinnenminister abgewickelt werden. Der hat sich durchaus ein Stück weit bewegt beim Thema der Seenotrettung. Da sind wir jedenfalls ein Stück weiter, als wir es vor ein paar Monaten waren. Aber auch da gab es dann schon massiven Gegenwind aus seiner eigenen Partei. Aber noch mal: Am Ende geht es nur über den Bundesinnenminister. Da gibt es ein Treffen auch in den nächsten Tagen mit Vertretern von Städten, und ich hoffe, dass wir dort auch Fortschritte erzielen. Wir werden nicht die ganz große Lösung hinbekommen über die Bundesrepublik Deutschland, aber ich glaube, in einer solchen Zeit müssen bestimmte Signale der Menschlichkeit gesetzt werden, und die Kinder dort rauszuholen, das wäre ein solches Signal.
"Der Unmut über die Situation, ist nachvollziehbar"
Dobovisek: Die Inselbewohner in der Ägäis wollen heute und morgen streiken, protestieren gegen die vielen Flüchtlinge, vor allem aber gegen ihre Regierung in Athen. Können Sie die Wut der Menschen verstehen?
Schwabe: Ja, kann ich verstehen. Ich kann manche Debatten, die auch in Deutschland geführt werden, nicht verstehen, wo in manchen Gegenden Menschen sich gegen Flüchtlinge wenden, obwohl sie sie praktisch gar nicht mitbekommen. Auf einer Insel, wo am Ende genauso viele Geflüchtete leben wie Einheimische, sind das wirklich schwierige Zustände, und das kann ich absolut nachvollziehen, solange die Proteste friedlich bleiben. Es gibt ja auf den Inseln weiterhin Hilfe für die Menschen. Beides gibt es ja. Aber der Unmut und die große Sorge über die Situation, das ist absolut nachvollziehbar.
Dobovisek: Die griechische Regierung, so hören wir aus Athen, plane, die Lager in geschlossene Lager umzubauen. Was halten Sie von einer solchen Idee?
Schwabe: Das ist am Ende auch keine Lösung, sondern es wirkt alles sehr hilflos. Es wird nicht anders gehen, als dass am Ende in Griechenland die Menschen von den Inseln aufs Festland gebracht werden. Im Rahmen der, sagen wir mal, großen Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre sind ja große Kapazitäten auch in Griechenland entstanden. Das war am Beginn des Jahres 2015/2016 eine schwierige Situation. Danach sind wirklich gute Zustände auch auf dem Festland geschaffen worden in Griechenland. Diese Kapazitäten müssen am Ende genutzt und im Zweifel auch ausgebaut werden, weil die Lösung über die Inseln und die Menschen auf den Inseln verbleiben zu lassen jedenfalls unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten völlig inakzeptabel ist.
"Nicht verantwortbar, Afghanen in die Türkei zurückzuführen"
Dobovisek: Wenn Sie sagen, aufs Festland zurückbringen, müssen wir auch die Türkei mit einbeziehen. Die verweigert die Annahme von aus Griechenland abgeschobenen Flüchtlingen und – mehr noch – droht immer wieder damit, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. Übermorgen will die Kanzlerin zu Präsident Erdogan nach Istanbul fliegen. Wie soll ihre Botschaft an ihn lauten?
Schwabe: Ich glaube, man muss immer noch mal unterscheiden - ich habe mir das vor Ort in der Türkei ja auch mehrmals angeguckt – zwischen unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen. Bei den Syrern ist es so, dass die Bedingungen sicherlich nicht einfach sind in der Türkei, aber die Syrer haben eine Chance, dort unter vernünftigen Bedingungen auch eine Zeit lang zu leben. Bei Afghanen sieht das zum Beispiel schon wieder ganz anders aus. Dort gibt es kein vernünftiges Asylrecht in der Türkei. Ich halte das nicht für verantwortbar, Afghanen in die Türkei zurückzuführen. Aber natürlich muss die Kanzlerin deutlich machen, es gibt Geld – und das gibt es ja auch -, aus Deutschland, aus der Europäischen Union, aber dafür muss die Türkei entsprechend sich an die Regeln auch halten, und das macht auch Sinn. Es gibt ja viel Kritik an diesem Deal. Ich finde aber, es macht Sinn, dass Menschen, die aus Syrien flüchten, möglichst nahe an Syrien auch verbleiben können, unter vernünftigen Bedingungen. Die Türkei trägt allerdings eine große Last, das ist eine große Verantwortung, und dabei muss die Europäische Union ihr helfen.
Dobovisek: Wenn wir uns die steigenden Zahlen derer anschauen, die zum Beispiel auf die griechischen Inseln fliehen, drängt sich die Frage auf: Funktioniert der Flüchtlingsdeal mit der Türkei denn überhaupt noch?
Schwabe: Na ja. Er funktioniert bedingt zumindest, weil ja in der Türkei deutlich mehr Menschen sind, als sie jetzt nach Griechenland übersetzen. Aber man hat den Eindruck, dass in der Tat der türkische Präsident versucht, Druckpotenzial entsprechend zu entwickeln, und das ist dann schon ein Problem und die Fragen müssen auch angesprochen werden. Es ist natürlich klar: Wenn in einer großen Zahl von Geflüchteten deutlich wird, dass die Verabredungen nicht funktionieren, dann wird man am Ende auch den ganzen Deal nicht mehr halten können. Aber da sind wir noch nicht und ich glaube, dass am Ende der Präsident der Türkei selbst ein großes Interesse daran hat, dass diese Vereinbarung hält.
"Es braucht humanitäre Sofortlösungen"
Dobovisek: Wenn wir über die Bedingungen der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und auch in der Türkei sprechen, dann sollten wir auch auf jene blicken, die in Libyen interniert sind. Ich glaube, das kann man gar nicht anders ausdrücken. Nach der Konferenz am Sonntag in Berlin bleibt die Frage offen, wie es nun weitergehen soll. Was würde den Menschen in diesen Lagern am meisten helfen?
Schwabe: Ich glaube, man muss immer unterscheiden zwischen einer grundsätzlichen Lösung sowieso nicht, aber einem grundsätzlichen Herangehen an das Fluchtthema. Die großen Lösungen braucht man auf der einen Seite und auf der anderen Seite braucht es humanitäre Sofortlösungen für absolut untragbare und katastrophale Zustände. Das ist ja auch der Unterschied. Manche fragen, jetzt holen wir die Menschen aus Griechenland, warum holen wir die nicht aus Jordanien. – Weil die Verhältnisse dort auch schwierig sind, aber weil sie geordneter sind. Ähnlich wie in Griechenland ist die Lage zurzeit auch in Libyen. Die Lage ist verheerend. Die Beschreibungen der Einrichtungen, der Lager – anders kann man sie gar nicht nennen – sind verheerend. Deswegen muss auch dort dafür gesorgt werden, dass die Menschen schnell herauskommen. Es gibt ja Programme, die Menschen über Niger und andere Staaten entsprechend auch wieder rauszuholen aus den Lagern, aber die Zahlen, über die wir reden, sind viel zu gering.
Dobovisek: Gleichzeitig muss die Lage im Land selber stabilisiert werden, das sich ja noch im Bürgerkrieg befindet. Am Ende auch – und das ist ja die große Diskussion dieser Tage – mit militärischen Mitteln?
Schwabe: Wir müssen auch dafür sorgen, dass diese Lager sich nicht wieder füllen. Die Menschen rauszuholen ist das eine. Wenn aber die Strukturen bleiben, irgendwelche Milizen, die ihre Geschäfte mit Menschenleben machen, dann würden sich die Lager wieder sehr schnell füllen. Insofern braucht es eine gesamtlibysche Lösung. Bei der Frage der militärischen Mittel bin ich erst mal sehr vorsichtig. Ich glaube, dass wir die Welt nicht besser machen können, indem wir überall Militär einsetzen. Wir haben ganz andere Möglichkeiten, auch der humanitären Hilfe, der Krisenprävention. Die nutzt Deutschland auch sehr intensiv. Aus meiner Sicht gerne mehr. Am Ende des Tages muss man sich die Lage dort angucken, aber im Moment, glaube ich, ist das eine verfrühte Debatte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.