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Flüchtlingsobergrenze in Österreich
Nach der Einigung ist vor dem Konflikt

Am Mittwoch erst hat die österreichische Regierung eine Obergrenze für Flüchtlinge in diesem Jahr festgelegt. Doch schon streiten ÖVP- und SPÖ-Politiker darüber, was die Entscheidung bedeutet und was sie bedeuten kann. Ein Politikwissenschaftler bescheinigt: Die Koalition verhalte sich schlicht unprofessionell.

Von Ralf Borchard | 22.01.2016
    Flüchtlinge gehen in der Nähe der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld in ein Zelt
    Flüchtlinge in der Nähe der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld (picture alliance / dpa / Christian Bruna)
    Seit die Koalition in Österreich eine Obergrenze von 37.500 Asylbewerbern für dieses Jahr beschlossen hat, herrscht Streit - auch innerhalb der Regierung. Für die konservative ÖVP ist klar: Obergrenze heißt Obergrenze. Fraktionschef Reinhold Lopatka auf die Frage, was mit Asylbewerber Nummer 37.501 passiert: "Der findet dann an der Grenze in Österreich den Grenzzaun, oder unsere Polizei, die hier für Recht und Ordnung zu sorgen hat, und wird in Slowenien bleiben."
    Von der sozialdemokratischen SPÖ kommt die gegenteilige Antwort. Hans Peter Doskozil, von Kanzler Werner Faymann gerade zum neuen Verteidigungsminister ernannt, sagt: "Ich hänge nicht an der Zahl 37.500, für mich ist das ein Richtwert. Und ich gehe davon aus, dass wenn der Erste über dieser Zahl kommt, dass der auch einreisen kann, dass der, wenn er einen Asylantrag stellt, nicht zurückgewiesen werden darf."
    "Keine Lösung, sondern Placebo"
    SPÖ-Landespolitiker kritisieren den Obergrenzen-Beschluss besonders lautstark. Für die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely ist klar, "dass das keine Lösung, sondern nur ein Placebo ist." Und der SPÖ-Landesparteichef von Salzburg Walter Steidl spricht von Unfug: "Unfug, weil es eine Illusion ist, die in wenigen Wochen zerplatzen wird."
    Anton Pelinka, einer der angesehensten Politikwissenschaftler des Landes, nennt das Erscheinungsbild der Regierung schlicht "unprofessionell". Sozialdemokraten und Volkspartei hätten, wie schon beim Thema Grenzzaun, der rechtspopulistischen FPÖ nachgegeben: "Unabhängig vom Inhalt ist klar, dass die FPÖ etwas vorgibt, die ÖVP zieht nach, und am Schluss fällt die Sozialdemokratie um."
    Das Argument von ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz, man setze so andere EU-Staaten unter Druck, um am Schluss europäische Lösungen zu erreichen, hält Pelinka für abwegig. Geholfen sei vor allem der bayerischen CSU: "Unter Druck gesetzt ist die deutsche Bundeskanzlerin. Aber die hat eigentlich immer am ehesten eine europäische Linie vertreten. Wenn wir uns die Reaktion des bayerischen Ministerpräsidenten ansehen, der Verlierer oder die Verliererin ist Angela Merkel. Und das hat die österreichische Bundesregierung erreicht. Ob sie darauf stolz sein kann, wage ich zu bezweifeln."
    Zunehmend hysterisch
    Die Politik handle beim Thema Flüchtlinge insgesamt zunehmend hysterisch, bilanziert Pelinka: "Überhaupt ist die sogenannte Flüchtlingskrise, die eigentlich eine Krise Europas ist und nicht der Flüchtlinge, eine Krise, die an sich objektiv ohne besondere Krisenerscheinungen zu bewältigen wäre. Sie wird jetzt hochstilisiert zur Existenzkrise, und da reagiert man dann sehr nervös."
    Und der bereits erkennbare Domino-Effekt entlang der Balkanroute? Der bewirke einen Flüchtlings-Rückstau in Griechenland. Auch das helfe der EU wenig: "Griechenland wird hier im Regen stehen gelassen. Griechenland wird allein gelassen, auch durch diese österreichische Entscheidung."