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Flüchtlingspolitik auf dem Kirchentag
"Toleranz heißt nicht Friede, Freude, Eierkuchen"

Auch beim Evangelischen Kirchentag in Berlin ist die Flüchtlingspolitik allgegenwärtig. In Diskussionen und Planspielen treffen Wünsche und Realität aufeinander. Besonders polarisiert haben die Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière.

Von Thorsten Jabs | 27.05.2017
    Bundesinnenminister de Maizière beim 36. Evangelischen Kirchentag in Berlin.
    Bundesinnenminister de Maizière beim 36. Evangelischen Kirchentag in Berlin. (dpa/picture-alliance/Maurizio Gambarini)
    Bei dem ausgebuchten Planspiel "Wir schaffen das – aber wie?" übernehmen die Teilnehmer Rollen von Verantwortlichen in der fiktiven Gemeinde Heesenbeeck. Sie sollen erfahren, wie auf lokaler Ebene versucht wird, Integration zu meistern. Bei den Podiumsdiskussionen müssen sich dagegen Politiker, die in der Realität Flüchtlingspolitik machen, kritischen Fragen stellen – wie etwa Innenminister Thomas de Maiziere, der mit seinen Aussagen auf dem Kirchentag polarisiert:
    "Toleranz heißt nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Und das wird manchmal auch von Kirchen so gesagt. Toleranz ist aber ein verdammt mühsames Geschäft. Ich muss etwas erdulden, was der Andere hat, was mich wirklich stört."
    Der CDU-Politiker steht zu seinen Entscheidungen – zum Beispiel beim Familiennachzug:
    "Wir hatten vorher eine Regelung gemacht für einen Anspruch auf Familiennachzug für diejenigen, die subsidiär schutzberechtigt sind, auf der Basis niedriger Zahlen. Hätten wir diese Regelung weiterlaufen lassen, wäre nach unserer Auffassung die Zahl derer, die noch kommen, für unser Land zu groß geworden."
    Auch Martin Schulz kommt an der Flüchtlinsgfrage nicht vorbei
    Viele Kirchentagsbesucher wollen die Politiker live erleben, um sich ein Bild von Person und Position zu machen – wie im Fall des Innenministers:
    "Er gehört weiterhin einer christlichen Partei an, dem Namen nach, aber manche christlichen Verhaltensweisen kann ich bei ihm nicht entdecken. Für mich war vieles bekannt."
    "Ein paar neue Sachen, glaube ich, habe ich bekommen."
    "Ich habe insofern neue Erkenntnisse gewonnen in der Form von Bestätigung, dass schon ganz viel läuft und dass ganz viel Gutes angeregt wurde. Aber es ist noch Potenzial nach oben."
    Ähnlich geht es den Besuchern bei SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. In seiner Veranstaltung geht es um Glaubwürdigkeit in Zeiten des Populismus – an der Flüchtlingsfrage kommt aber auch er nicht vorbei:
    "In meiner Lebenszeit als Deutscher war außer den großen Tagen der Wende das Verhalten des größten Teils der Männer und Frauen in unserer Gesellschaft, der deutschen Bürgerinnen und Bürger, in den Tagen, als die große Zahl von Flüchtlingen zu uns kam, ein wunderbarer Ausweis für die Reife unserer Demokratie. In meiner Lebenszeit gehören diese Tage zu den Leuchttürmen der Geschichte, die ich als Bürger dieses Landes miterleben durfte."
    Schweigeminute für ertrunkene Flüchtlinge
    Flucht, Integration und der Zusammenhalt der Gesellschaft sind beherrschende Themen des Christentreffens. Die Diskussion mit Martin Schulz wird wie das gesamte Kirchentagsprogramm für eine Schweigeminute unterbrochen. Es wird an das Schicksal der Tausenden Toten erinnert, die auf der Flucht im Mittelmeer ums Leben kamen. Die Kontrahentin des SPD-Chefs heißt Angela Merkel – mit Barack Obama vor dem Brandenburger Tor zeigt sie auf großer Bühne, wie sich ihre "Wir schaffen das"-Politik verändert hat:
    "Wir dürfen die Menschen, die keine Erlaubnis haben hier zu sein, nicht erst in die Gemeinden schicken und mit Ehrenamtlern so viel Arbeit dort investieren. Schneller nach Hause schicken – das ist die bessere Variante."
    Ob Wahlkampfhilfe oder nicht – es ist der ehemalige US-Präsident der die Massen anzieht und begeistert. In der Flüchtlingspolitik stärkt er der Kanzlerin den Rücken. In den Augen Gottes verdiene ein Kind auf der anderen Seite der Grenze genauso viel Barmherzigkeit wie sein eigenes. Aber man sei Staatschef von Nationalstaaten endlichen Aufnahmekapazitäten, sagte Obama.
    Im fiktiven Heesenbeeck ist die Integration in der Gemeinde schon schwer genug – und am Ende des Planspiels geht es vielen Teilnehmern ähnlich: Über Politik reden und Politik machen sind zwei verschiedene Dinge:
    "Man merkt, wie die große Politik vor einer ganz schwierigen Aufgabe steht, diese Menschen, die zu uns gekommen sind, irgendwie zu integrieren. Und was heißt Integration?"