Dienstag, 16. April 2024

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Flüchtlingspolitik
"Generelle Altersüberprüfung nicht erforderlich"

Vor den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD herrscht beim Thema Flüchtlingspolitik noch Uneinigkeit. Aus der CSU werden Forderungen nach Alterstests für Flüchtlinge laut. SPD-Vizefraktionschefin Eva Högl lehnt das ab. Gleichzeitig forderte sie im Dlf mehr Steuerung und Ordnung bei der Flüchtlingspolitik.

Eva Högl im Gespräch mit Silvia Engels | 04.01.2018
    Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl spricht im Bundestag
    Die von der CSU geforderten Leistungskürzungen für Asylbewerber sieht die Bundestagsabgeordnete Eva Högl kritisch: "Mit der SPD kommt es nicht infrage, dass Leute nicht ordentlich versorgt werden" (dpa / Rainer Jensen)
    "Wir wollen regeln, wer kommen darf und Schutz bekommen kann", so Högl. Deswegen habe die SPD ein Einwanderungsgesetz vorgeschlagen, um Einwanderung über den Asylbereich hinaus zu ermöglichen. Mit Blick auf Abschiebungen sagte Högl, es müsse konsequent unterschieden werden zwischen denen, die Schutz bekommen sollen und denen, die keinen bekommen können - die müssten in ihre Heimat zurückgeführt werden. Das sei schon immer Haltung der SPD gewesen. Vor allem Gefährder und Straftäter sollten abgeschoben werden. "Das ist Voraussetzung für unsere Willkommenskultur", sagte Högl.
    Die Studie zu Kriminalität von Flüchtlingen bezeichnete Högl als "gute Grundlage", um richtige Entscheidungen zu treffen. Sie betonte in diesem Zusammenhang die Relevanz des Familiennachzugs. Junge Leute bräuchten ihre Familien. Der Familiennachzug sei sehr wichtig für die Integration und zur Prävention von Straftaten. Gleichzeitig dürfe man damit keine Anreize schaffen, dass Familien ihre Angehörigen auf eine gefährliche Reise schickten.
    Verbesserungen beim Asylbewerberleistungsgesetz
    Die von der CSU geforderten Leistungskürzungen für Asylbewerber sieht Högl kritisch. Sie verwies auf das Bundesverfassungsgericht. Demnach sei es Ausdruck der Menschenwürde, dass alle Menschen ordentlich versorgt würden - egal, welchen Status sie hätten. "Mit der SPD kommt es nicht infrage, dass Leute nicht ordentlich versorgt werden". Verbesserungen des Asylbewerberleistungsgesetzes hält sie aber für möglich. So könnten etwa für diejenigen Leistungen gekürzt werden, die keine Bleibeperspektive hätten.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: In Sachen Flüchtlingspolitik hat sich die CSU vor ihrer heutigen Klausur im bayerischen ehemaligen Kloster Seeon und vor den Sondierungen mit der SPD am Wochenende positioniert. Mehr Abschiebungen und weniger Finanzhilfe für Asylbewerber. Dazu eine strengere Altersüberprüfung jugendlicher Flüchtlinge. So sieht in etwa der Forderungskatalog aus. Die SPD-Spitze hat das zurückgewiesen, SPD-Vize Stegner sprach von "Kraftmeierei", doch im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen war die SPD-Führung vergleichsweise schweigsam gegenüber diesen Provokationen aus München. Am Telefon ist nun Eva Högl, Vizefraktionschefin und Innenexpertin der SPD. Guten Morgen, Frau Högl!
    Eva Högl: Schönen guten Morgen, Frau Engels!
    Engels: Warum ist die SPD so still?
    Högl: Das liegt vor allen Dingen daran, dass wir die Forderungen der CSU, die auch jetzt wieder aus dem Kloster Seeon herausdringen, die kennen wir. Die kommen jedes Jahr wieder, das sind zum Teil die alten Textbausteine. Und diese Forderungen der CSU sind zum größten Teil weder praktikabel, noch sind sie vereinbar mit unseren internationalen Verpflichtungen, und die CSU hat diese Forderungen, die sie immer wieder stellt, auch bisher gar nicht durchgesetzt, vor allen Dingen, weil sie auch in der CDU nicht auf Zustimmung stoßen.
    Einwanderungsgesetz mit dem Motto: "Steuerung und Ordnung"
    Engels: Sie sagen, zum größten Teil seien die Vorschläge nicht praktikabel. Gibt es denn irgendetwas, das Sie mittragen könnten von der CSU?
    Högl: Es ist ja so, dass wir uns in der letzten Legislaturperiode auch verständigt haben und gemeinsam regiert haben. Es gibt natürlich Vorschläge, die kommen von uns, aber eben auch von CDU und CSU, die dafür sorgen sollen, dass wir noch mehr Ordnung und eine bessere Steuerung im ganzen Bereich der Migrationspolitik bekommen. Die SPD hat ja den Vorschlag gemacht, auch ein Einwanderungsgesetz zu entwickeln. Das Motto ist "Steuerung und Ordnung". Wir wollen ja regeln, wer bei uns bleiben darf, wer hier Schutz bekommen kann und wer auch unter anderen Bedingungen vielleicht zu uns kommen kann. Deshalb hat die SPD den Vorschlag gemacht, ein Einwanderungsgesetz zu entwickeln, damit wir Zuwanderung über den Bereich des humanen Asylrechts hinaus ermöglichen. Und da habe ich mich gefreut, dass sogar im CSU-Papier auch etwas von einem Einwanderungsgesetz steht, sodass ich ganz optimistisch bin, dass wir jetzt bei den Sondierungen auch Gemeinsamkeiten identifizieren und nicht nur Trennendes.
    Familiennachzug sei zur Prävention von Straftaten sehr wichtig
    Engels: Daneben gibt es ja jetzt neue Studien, die vordergründig Wasser auf die Mühlen der CSU sind. Ich spreche von der Kriminalitätsstudie aus Niedersachsen, die ja auch ein breites Echo fand. Danach sind in der Tat die Gewalttaten in Deutschland angestiegen, überproportional häufig begangen durch Asylbewerber oder abgelehnte Asylbewerber. Nun muss man sagen, dass das zu einem Teil daran liegt, dass als Asylbewerber besonders viele junge Männer kommen, und das ist eine Gruppe, die generell häufiger kriminell wird als ältere Menschen oder Frauen. Dennoch gibt die Studie der CSU mit ihrer Forderung zum Beispiel nach mehr konsequenter Abschiebung derjenigen, die hier eigentlich keine Bleibeperspektive haben, recht.
    Högl: Die Studie ist zunächst mal eine gute Grundlage für uns, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die richtigen Maßnahmen in den Blick zu nehmen. Sehr erfreulich ist ja, dass die Gewalt insgesamt abnimmt und Jugendkriminalität deutlich zurückgegangen ist. Das Problem alleinreisende Männer ist bekannt, und da gibt uns die Studie auch noch mal ganz klare Hinweise, wie wichtig Prävention ist, wie wichtig es ist, Perspektiven zu entwickeln und die Personen, die zu uns gekommen sind, insbesondere die jungen Männer, zu integrieren. Und ich sage auch ganz deutlich natürlich mit Blick auf Familiennachzug muss die Studie auch Ausgangspunkt sein zu sagen, natürlich brauchen junge Leute, die zu uns kommen, auch ihre Familie, und deswegen ist der Familiennachzug für die Integration und natürlich auch zur Prävention von Straftaten sehr wichtig. Also wir werden diese Studie genau anschauen und hoffentlich auch gemeinsam die richtigen Konsequenzen daraus ziehen.
    Keine Anreize für die Flucht von Kindern und Jugendlichen schaffen
    Engels: Aber die alte SPD-Forderung nach Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem, also nachgeordnetem Schutz, ist ja von der CSU schon abgewiesen worden. Landesgruppenchef Dobrindt warnt generell heute die SPD davor, überzogene Erwartungen in den Sondierungen zu haben. Ist das nicht etwas illusorisch, mit diesem Ziel voran zu wollen?
    Högl: Es ist zunächst einmal völlig normal, dass sich vor Sondierungsgesprächen und Verhandlungen jede Seite positioniert. Für die SPD ist ganz klar, dass der Familiennachzug einen wichtigen Beitrag leistet für die gute Integration der Personen, die hier zu uns kommen, auch der subsidiär Schutzberechtigten, die ja überwiegend aus Syrien kommen, wo wir alle wissen, dass dort nicht übermorgen Frieden herrscht. Aber wir wollen natürlich mit dem Familiennachzug auch keine Anreize schaffen, dass Familien aus den Herkunftsländern ihre Kinder und Jugendlichen auf die gefährliche Reise schicken. Deswegen werden wir versuchen, eine gute Regelung zu finden. Und die Gespräche haben ja gestern auch schon begonnen, und ich bin auch da ganz optimistisch, dass sich auch da Einigendes finden lässt. Und das CDU- und CSU-Geklapper jetzt im Vorfeld der Sondierungen, das haken wir mal ab und konzentrieren uns auf gute Regelungen.
    "Gefährder und verurteilte Straftäter konsequenter zurückzuführen"
    Engels: Aber es gibt auch an anderen Punkten eine mögliche Berührung zwischen CSU und SPD. Denn Ihr Parteifreund, der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, hat auf Grundlage der gerade besprochenen Studie nun auch gefordert, härter abzuschieben. Gehen Sie da mit?
    Högl: Selbstverständlich. Weil wir nämlich von Anfang an gesagt haben als SPD, dass es wichtig ist, konsequent zu unterscheiden zwischen denen, die hier bei uns Schutz und Sicherheit bekommen sollen, und denjenigen, die leider aus welchen Gründen auch immer keinen Schutz bekommen können. Und diese Personen müssen wir konsequenter zurückführen. Das ist Position der SPD schon immer. Und wir wollen jetzt bei den Sondierungen auch ausloten, inwieweit die Union da mitgeht, dass wir sagen, wir nehmen gegebenenfalls vielleicht den Bund stärker in die Verpflichtung bei der Rückführung. Wir konzentrieren uns, dass die Rückführung noch intensiviert werden kann. Und wir wollen gerade Gefährder und straffällig gewordenen Personen und verurteilte Straftäter auch konsequenter in ihre Heimatländer zurückzuführen, denn das ist Voraussetzung für unsere Willkommenskultur, um anderen Personen hier guten Schutz und eine gelungene Integration zu ermöglichen.
    Keine Lebensgrundlage mehr in den Heimatländern
    Engels: Dann gehen wir noch auf eine weitere Forderung der CSU ein. Alexander Dobrindt hat auf den Tisch gelegt Leistungskürzungen für Flüchtlinge. Er will, dass Asylbewerber länger als bisher nur eine Grundversorgung bekommen und erst nach 36 Monaten Unterstützung auf Höhe der Sozialhilfe. Sind Sie da dabei?
    Högl: Das ist auch ein ganz alter Hut, und wir haben schon sehr lange diskutiert über das Asylbewerberleistungsgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat uns ganz deutlich gesagt, und darauf beruhen auch die zurzeit geltenden Regelungen, dass es ein Ausdruck der Menschenwürde und des Menschenrechts aller Menschen ist, dass sie ordentlich versorgt werden. Und wir wissen natürlich, dass wir keine Anreize schaffen wollen, dass Menschen zu uns kommen, weil sie sich hier besser versorgt sehen als in ihren Heimatländern. Deswegen ist es so wichtig, ein Einwanderungsgesetz zu schaffen. Aber die Menschen, die hierher kommen, die fliehen ja nicht, weil sie hier in die sozialen Sicherungssysteme einwandern wollen, wie die CSU immer unterstellt, sondern weil sie in ihren Heimatländern keine Lebensgrundlage mehr haben. Und mit der SPD kommt es nicht in Frage, dass Menschen hier nicht ausreichend versorgt werden. Aber es liegen auch schon veränderte Vorschläge am Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Tisch. Die werden im Bundesrat demnächst weiter beraten, und wir gucken, was wir da machen können.
    Engels: Was könnte da rauskommen?
    Högl: Für die SPD ist wichtig, dass alle Menschen hier gut versorgt werden, und das Asylbewerberleistungsgesetz leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
    Engels: Aber welche Änderungen sind denn da gerade im Bundesrat?
    Högl: Das sind eher Dinge, die wir jetzt auch in den weiteren Verhandlungen noch mal erörtern müssen. Wir haben gesagt, dass die Personen, die auf keinen Fall als Asylberechtigte hier anerkannt werden können, dass die auch weniger Leistungen bekommen sollen, weil sie absehbar das Land verlassen müssen. Aber alle anderen, die hier länger bleiben, die berechtigte Asylbewerber sind und deren Anträge dann auch anerkannt werden, die müssen über das Asylbewerberleistungsgesetz auch weiterhin ausreichend versorgt werden.
    Engels: Die CSU will mit ihrer Forderung nach Leistungskürzungen ja offenbar auch die Kritik vieler Wähler aufnehmen. Viele fühlen sich im Vergleich zu Leistungen, die Asylbewerber bekommen, zurückgesetzt. Können Sie dieses Benachteiligungsgefühl denn verstehen?
    Högl: Wir müssen in unserer Gesellschaft aufpassen, dass wir keine Spaltung bekommen. Es brauchen alle Leute guten Wohnraum, es müssen alle Menschen ausreichend Grundlagen haben, um ihr Leben zu führen. Es führt überhaupt nicht weiter, wenn Rechte und rechtsextreme Hetzer jetzt die Flüchtlinge dafür verantwortlich machen, wenn es Menschen in Deutschland nicht gut geht. Deswegen ist Überschrift für die Politik in den nächsten Jahren "Zusammenhalt in unserer Gesellschaft". Wir brauchen eine gute Grundlage dafür, dass wir die gleichen Lebensverhältnisse haben in allen Teilen Deutschlands und für alle Menschen, die hier leben. Und in der Flüchtlingspolitik halte ich tatsächlich die Überschrift "Steuerung und Ordnung" für ganz entscheidend, damit sie auch auf Akzeptanz bei allen Menschen in Deutschland stößt.
    "Gucken, wo Altersüberprüfungen hilfreich sein können"
    Engels: Dann kommt noch die Forderung nach regelmäßiger Altersprüfung mutmaßlich minderjähriger Flüchtlinge aus den Reihen der CSU. Das haben Sie zurückgewiesen, auch, weil es keine sichere medizinische Methode gibt. Die CSU hält dagegen, man müsse es dennoch versuchen, weil das Staatsinteresse überwiegt. Und jetzt?
    Högl: Wir hatten ja bisher die Möglichkeit, dass diejenigen, die einer Straftat verdächtigt werden, dass dort auch das Alter überprüft werden kann. Die Bundesländer machen das auch. Die SPD hat ganz klar gesagt, dass sie es für sinnvoll hält, wenn wir hier zu einem einheitlichen Vorgehen in den Kommunen und in den Bundesländer kommen, dass wir gucken, wo Altersüberprüfungen hilfreich sein können, auch um den Schutz der Jugendlichen zu gewährleisten, die ja eine besondere Behandlung bekommen, wenn sie jugendlich sind. Und was ich ganz interessant finde und was wir uns näher angucken sollten, sind auch diese Clearing-Stellen, wie sie beispielsweise das Saarland hat, wo zunächst geprüft sind, wie alt die jungen Leute sind, und dann entschieden wird, wo sie untergebracht werden und welche integrationsmaßnahmen sie bekommen oder wie das Asylverfahren geführt wird. Also, das ist ein wichtiges Thema, aber eine generelle Altersüberprüfung für alle, ohne dass irgendein Anlass dafür besteht, das halte ich jedenfalls nicht für erforderlich.
    Engels: Eva Högl, Vizefraktionschefin und Innenexpertin der SPD mit der Diskussion um die Flüchtlings- und Asylpolitik. Vielen Dank für das Gespräch!
    Högl: Danke auch, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.