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Flüchtlingspolitik
Hass und Gewalt gegen Politiker in Sachsen

Politiker in Sachsen, die sich offen für Flüchtlinge einsetzen, ernten zurzeit massenhaft digitale Anfeindungen, Morddrohungen und manchmal sogar direkte Gewalt. Oft kommt der Hass gegen Politiker von bislang unbescholtenen Bürgern.

Von Nadine Lindner | 20.08.2015
    Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Stadtrat von Freital, Michael Richter
    Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Stadtrat von Freital, Michael Richter - bei einer Sprengstoffexplosion wurde sein Auto zerstört. (picture alliance / dpa/ Arno Burgi)
    "Windschutzscheibe ist raus, die Scheibe von der Fahrertür ist raus, die Scheibe von der Beifahrertür ist raus. Die Heckklappenscheibe auch."
    Das Auto von Linken-Stadtrat Michael Richter ist völlig kaputt. Aber es war kein Unfall, sondern eine Sprengstoffexplosion. Ende Juli, mitten in der Nacht, direkt vor seiner Haustür. Ein illegaler Böller mit Dynamit explodierte im Innenraum. "Zwischen die Türen kann man seine Hände stecken. Die Wucht der Explosion war so groß, dass die Türen so weit nach außen gesprengt hat, dass man dazwischen greifen kann." Die Täter sind noch nicht gefasst. Aber weil bei Richters Auto ein politischer Hintergrund der Tat nicht ausgeschlossen wird, liegt der Fall beim Operativen Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Polizei. Die Einheit, die sich um rechts- oder linksextremistisch motivierte Straftaten kümmert.
    "Öffentlich nie alleine bewegen"
    Michael Richter setzt sich in Freital für Flüchtlinge ein, deswegen hatte es massive Drohungen auf Facebook gegen ihn gegeben. Jetzt sitzt der 39-jährige im Büro der Linken in Freital, und wirkt entschlossen. Er sagt, dass er sich nicht einschüchtern lässt. Die Kleinstadt Freital bei Dresden war Ende Juni in die Schlagzeilen geraten, weil sich Demonstranten dort vehement gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im ehemaligen Hotel Leonardo ausgesprochen hatten.
    Gegner der Flüchtlingsunterkunft stehen am 26.06.2015 in Freital (Sachsen) in der Nähe des ehemaligen Leonardo-Hotels, das jetzt als Flüchtlingsheim dient.
    Demonstrationen gegen Flüchtlinge in Freital. (dpa / picture-alliance / Oliver Killig)
    Mittlerweile macht sich auch die linke Landespartei Gedanken über die Sicherheit ihrer Mitglieder. Eine Statistik führen sie nicht, aber sie merken, dass der Ton rauer werde, wie zuletzt in den 90er-Jahren. Deshalb greifen sie auf bewährte Hinweise zurück, die Thomas Dudzak von der Landesgeschäftsstelle erklärt:
    "Im öffentlichen Raum sollen sich Genossinnen und Genossen nie alleine bewegen, wenn sie ihrer Parteitätigkeit nachgehen. Beispielsweise beim Plakatieren oder am Infostand, immer ein Handy griffbereit haben, um in Gefahrenlagen schnell Hilfe rufen zu können."
    Polizeipräsident: "Wir müssen das ernst nehmen"
    Hasserfüllte Mails, Facebook-Kommentare mit Aufruf zur Gewalt, Anfeindungen auf offener Straße, Demonstrationen direkt vor dem privaten Wohnhaus, Morddrohungen. All das ist in den vergangenen Monaten bei sächsischen Politikern, ehrenamtlichen Flüchtlingsunterstützern oder Journalisten aufgelaufen, wenn sie sich zum Thema Asylbewerber positiv geäußert haben. Wie werden diese Fälle geahndet? Besuch beim Operativen Abwehrzentrum in Leipzig.
    "Wir müssen das unbedingt ernst nehmen", sagt der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, der gleichzeitig das OAZ leitet. "Gegenwärtig haben wir im Bestand 24 Straftaten, mit 15 Geschädigten. Mit Mandatsträgern, mit Bürgern, Bürgermeistern, Landräten, Ministern. Also Leute, die im ganzen Komplex Asyl und Flüchtlinge von irgendjemanden bedroht werden, bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit oder beim Mandat, die Verfahren bearbeiten wir."
    Schon seit den 90er-Jahren hat Merbitz Erfahrung mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus. Aber die Fälle aus dem asylfeindlichen Lager, mit denen er jetzt zu tun hat, stimmen ihn nach den ersten Fahndungserfolgen sehr nachdenklich:
    "Was mich an der ganzen Sache verwundert, ist, dass bei den fünf Tätern es sich um Personen handelt, die ihren Hass gegenüber Asylbewerbern, Flüchtlingen zum Ausdruck bringen. Aber für mich ist das Erschreckende, dass es zum allergrößten Teil keine polizeilichen Erkenntnisse im Vorfeld gegen diese Leute vorgelegen hatten. Die sich also aus einem Stimmungsbild heraus gegen Politiker und andere Personen wenden."
    Um es kurz zu sagen: Diejenigen die auf einmal anfangen Morddrohungen zu schreiben, sind bislang unbescholtene Bürger gewesen.
    Facebook-Seiten als Katalysator
    Was Polizeipräsident Merbitz nun umtreibt, ist folgende Frage:
    "Dass der Eindruck entsteht, dass der Hass unter normalen Leuten entsteht. Und die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie kommt es zu diesem Hass?"
    Einer der Orte, an denen der Hass zu Hause ist, sind Facebook-Seiten mit dem Titel "Nein zum Heim - Asylbetrug stoppen". Es sind immer die gleichen Inhalte, die zu finden sind: Links zu Artikeln über vermeintlich kriminelle Asylbewerber, Demonstrationsaufrufe, Gerüchte. Der sächsische Verfassungsschutz beobachtet mittlerweile über 50 dieser Seiten.
    Für Julia Schramm von der Amadeu-Antonio-Stiftung sind es Orte, an denen sich Bürgerliche radikalisieren:
    "So eine Gruppe wie 'Nein zum Heim' ist ein Katalysator."
    Die Amadeu-Antonio-Stiftung setzt sich für die Opfer von rechter Gewalt ein und hat kürzlich zum ersten Mal das Thema "Hate Speech" also Hass-Reden ausführlicher untersucht.
    "Traditionell war es so, dass die organisierten Nazis in ihrer Subkultur geblieben sind. Und das Netz hat das aufgebrochen. Das führt dazu, dass in Anführungsstrichen normale Leute, Bürgerinnen und Bürger von denen man denkt, dass sie eigentlich ein Maß an Toleranz haben, dass die auf einmal Nazi-Sprech benutzen, Begriffe von Nazis benutzen", sagt Schramm.
    Was macht das alles mit unserer Zivilgesellschaft? Einer derjenigen, der die politische Kultur im Freistaat bestens kennt, ist Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung. In den vergangenen Monaten hat er unzählige Podiumsdiskussionen zum Thema Asyl moderiert. Er wirkt nachdenklich, als er nach den Gründen für die harsche Ablehnung gefragt wird:
    "Viele beziehen ihr Sozialkapital in dieser Gesellschaft daher, dass sie sich gegen andere positionieren. Das mag damit zusammenhängen, dass sie schwach sind. Und sie kompensieren diese eigene Schwäche mit den Attacken gegen andere."
    Verbitterung oder Einschüchterung will auch Frank Richter nicht zulassen. Stattdessen müssten alle Engagierten ein gutes Beispiel abgeben und voran gehen. Seine Botschaft ist klar:
    "Den moralischen Standard in der politischen Auseinandersetzung darf ich mir nicht von anderen diktieren lassen."