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Flüchtlingspolitik in der EU
"Die Quote scheitert nach wie vor am Egoismus Einzelner"

Vor dem Jahr 2015 habe auch die Bundesregierung jede Quote in Europa fundamental abgelehnt, sagte Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, im Dlf. Trotzdem ist er optimistisch, dass es bei der Flüchtlingsfrage in Europa eine Lösung geben werde. Grundvoraussetzung dafür sei aber die Sicherung der Außengrenzen.

Manfred Weber im Gespräch mit Sarah Zerback | 14.06.2017
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, während des CSU-Parteitages in München
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament (imago / Sven Simon)
    Sarah Zerback: Was das nun für die Flüchtlingspolitik heißt, das können wir nun Manfred Weber fragen. Der CSU-Politiker ist Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament. Guten Morgen, Herr Weber!
    Manfred Weber: Hallo, guten Morgen!
    Zerback: Der Innenkommissar Avramopoulos hat gestern von sich selbst gesagt, er sei kein besonders glücklicher Mann, und meinte damit das Verfahren, das er jetzt auf den Weg bringen muss. Und Sie? Sind Sie darüber glücklich?
    Weber: Über so ein Verfahren ist man nie glücklich aus europäischer Sicht, weil wir eine Rechtsgemeinschaft sind. Wir hoffen, dass das, was wir rechtlich vereinbaren, was wir verbindlich festsetzen in Europa als Staatengemeinschaft, dass das dann auch respektiert wird. Und insofern ist das Vorgehen der EU-Kommission absolut in Ordnung, absolut richtig. Wir müssen bestehendes Recht durchsetzen. Und man muss sich ja vergegenwärtigen, wir besprechen jetzt im Moment bei dieser Rechtslage noch nicht den dauerhaften Solidaritätsmechanismus, den wir ja eigentlich anstreben. Im Moment geht es nur um eine einmalige Aktion, um wenige Tausend, die Polen, Ungarn oder auch die Tschechische Republik aufnehmen müssten. Und nur diese konkrete Zahl steht jetzt zur Debatte. Langfristig braucht Europa allerdings angesichts der fundamentalen Frage der Flüchtlingsherausforderung eine verbindliche Lastenverteilung. Wir müssen schlicht Solidarität praktizieren auf diesem Kontinent.
    Zerback: Und dass dieses Verfahren jetzt etwas bringt, da sagen Sie, da hoffen Sie drauf. Glauben Sie denn tatsächlich, dass sich die Viktor Orbans dieser Welt davon beeindrucken lassen, also dass das wirklich dazu führen wird, dass sie mehr Flüchtlinge aufnehmen?
    Weber: Das eine ist die Rechtsfrage, und das andere ist die politische Debatte. Die kann man durch Verfahren, durch Rechtsverfahren nicht ersetzen. Und deswegen müssen wir im Gespräch bleiben. Ich habe die osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen, auch die Staats- und Regierungschefs immer so verstanden, dass bei der Flüchtlingsfrage, die ja vor allem 2015, als wir diese großen Zahlen hatten, richtig virulent war, ich habe sie immer so verstanden, dass sie zunächst gesagt haben, es müssen Grenzen gesichert werden. Und wenn es uns gelingt, unsere Außengrenze ordentlich zu sichern, wenn wir die Kontrolle des Staates wieder zurückgewinnen, dann können wir auch über interne Fragen reden. Und ich würde jetzt schon auch mal Bilanz ziehen, weil es zum Beispiel auf der Balkanroute vor allem durch das Türkei-Abkommen jetzt gelungen ist, die illegale Migration zu bekämpfen und wir zu geregelten Verhältnissen kommen, wo wir der Türkei unter die Arme greifen, ohne dass wir Rechte sozusagen außer Kraft setzen. Und die große Frage, die noch auf dem Tisch liegt, ist das Mittelmeer, Libyen. Wenn es uns auch dort gelingt, die Ströme zu kontrollieren und vor allem die Schlepperbanden zu bekämpfen, dann, glaube ich, haben wir gute Argumente, auch den Mittel- und Osteuropäern zu sagen, so, jetzt ist die Grenze gesichert, aber jetzt müssen wir auch bei der Solidarität zu Potte kommen.
    "Wir haben uns klar von Ungarn distanziert"
    Zerback: Sie sagen jetzt, im Gespräch bleiben, Bilanz ziehen. Das wirft schon die Frage auf, ob wir über diesen Schritt jetzt nicht langsam mal hinauskommen müssten. Das Europaparlament wirft Ungarn vor, Rechte von Minderheiten zu verletzen. Es läuft bereits ein Verfahren wegen des umstrittenen Hochschulgesetzes, und trotzdem sitzen Sie ja gemeinsam in einer Fraktion im Europaparlament. Muss sich da nicht die EVP endlich mal klar von Ungarn distanzieren?
    Weber: Wir haben uns klar von Ungarn distanziert, und wir haben klar gemacht, dass wir bestimmte Schritte nicht dulden, nicht akzeptieren, beispielsweise in der Frage der Transparenz. Diese NGO-Gesetzgebung, die Orban gemacht hat, und auch bei der Frage der Universität, da gibt es klare rote Linien. Und man muss darauf hinweisen, dass Ungarn erst diese Woche das Gesetz für die Transparenz der NGOs geändert hat und dabei die Vorgaben der EU-Kommission vollumfänglich angenommen hat. Also insofern, Orban ist jemand, der gern Limits austestet, was ich nicht gut finde, was wir nicht gut finden, aber er ist am Schluss auch jemand, der Recht akzeptiert. Und deswegen darf er auch so lange Mitglied im Club bleiben, solange er das Recht akzeptiert.
    "Ich mache mir viel mehr Sorgen um Polen"
    Zerback: Aber Entschuldigung, Herr Weber, wenn ich Sie da unterbreche, aber da picken Sie jetzt natürlich einen Punkt von ganz vielen raus. Bei den anderen funktioniert es ja nicht. Wir haben die Zahlen gehört: Null Flüchtlinge hat Ungarn aufgenommen von den 1.294, die es hätte aufnehmen müssen. Da sehen Sie keinen Handlungsbedarf?
    Weber: Auch gegen Deutschland läuft eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren, die wir zu klären haben als deutsche Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, Vertragsverletzungsverfahren heißt noch nicht, dass jemand sozusagen aus der EU irgendwie ausgeschlossen werden muss oder Probleme hat. Wir setzen Recht durch in der Europäischen Union, und solange jemand die Vorgaben aus Brüssel akzeptiert, ist es gut. Ich mache mir viel mehr Sorgen um Polen, weil nämlich Kaczynski die dortige Regierung nicht mal mehr mit der Kommission im Gespräch ist. Dort steht wirklich ein fundamentaler Angriff auf die Verfassung derzeit und auf die Unabhängigkeit der Justiz derzeit an. Insofern muss man das im Einzelfall abwägen, wie weit man geht. Nochmal: Solange jemand die Vorgaben aus Brüssel einhält und dann auch, zwar widerwillig, aber immerhin akzeptiert, was in Brüssel vorgeht, solange darf er Mitglied im Club bleiben. Und wenn nicht, dann muss man mit aller Härte vorgehen, und da ist die EVP dann auch bereit dazu, mit aller Härte gegen alle Staaten vorzugehen, die unsere europäischen Grundwerte nicht einhalten. Einen Punkt darf ich übrigens noch sagen: Es ist schon so, dass wir Deutsche jetzt im Moment, die deutsche Bundesregierung massiv eine europäische Lastenverteilung einfordert. Aber man muss auch dazu sagen, dass vor dem Jahr 2015 die Bundesregierung, auch die deutsche Politik jede Quote in Europa fundamental abgelehnt hat. Erst seitdem die Flüchtlinge auch bei uns in Deutschland ankamen, kann es den Deutschen nicht schnell genug gehen.
    Zerback: Ja gut, da hat ja die Solidarität auch in Bayern ihre Grenzen. Die lässt sich ja sogar beziffern, auf 200.000.
    Weber: Ich kritisieren ja auch Deutschland. Ich kritisiere Deutschland, egal welche Regierung vorher im Amt war. Das war die klare Ansage in Brüssel, dass man keine Quote will. Und ich will damit einfach nur vergegenwärtigen, dass wir leider Gottes Europa nicht als Gesamteinheit sehen, sondern wir sehen es egoistisch, aus nationaler Sicht.
    Zerback: Ist also das Quotensystem gescheitert, Herr Weber?
    Weber: Nein, es ist nicht gescheitert. Wir müssen weiter arbeiten daran. Bei großen Fragen, denken Sie an die Euro-Krise, war es so, dass wir immer Zeit brauchen in Europa, bis sich so ein großer Kontinent einigt und vereinigt auf ein Thema und Lösungen findet, dauert es leider Gottes manchmal etwas länger. Aber es gelingt uns immer. Und deswegen bin ich auch bei der Flüchtlingsfrage optimistisch, wenn es uns gelingt die Außengrenzen zu sichern, das muss die Vorbedingung sein, dann können wir auch über interne Solidarität reden und dann auch die Mittel- und Osteuropäer überzeugen.
    Zerback: Und wenn nicht, Herr Weber, wenn das nun nicht funktioniert, wenn diese rote Grenze überschritten ist, was muss dann passieren?
    Weber: Es gibt viele, die bereits mit weitergehenden Drohungen unterwegs sind. Ich gehöre zu denen, die die Erfahrung machen im Europäischen Parlament, dass wir miteinander reden müssen. Und wir haben das auf der Brüsseler Ebene bewiesen, weil die EU-Kommission, in der ja auch Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa sind, und auch im Europäischen Parlament, wo wir auch Kollegen aus Polen und Ungarn haben, in beiden Institutionen Europas haben wir klare Mehrheiten für eine Lastenverteilung in Europa. Das heißt, Brüssel ist ready, Brüssel ist fertig, wir wollen diese Quote, und es scheitert nach wie vor am Egoismus Einzelner. Insofern, Reden hilft, Arbeiten an dem Thema hilft, und wir kommen auch Schritt für Schritt voran.
    Zerback: Danke, dass Sie mit uns geredet haben heute Morgen in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Manfred Weber war das, CSU-Politiker und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament. Besten Dank und einen schönen Tag!
    Weber: Ich bedanke mich. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.